Selten werden Wähler und Wählerinnen als Interviewpartner seitenlanger Exklusivartikel erkoren. Vorzeigebürger kennt man eigentlich nur aus etwas autoritäreren Systemen, die sich gerne der Vorbilder aus dem Volk bedienen:

Birgit Strohmaier, 76, CDU-Wählerin, Reutlingen
CDU-Wählerin „Unserem Land geht es gut mit Merkel, alle wollen hierher“
CDU-Wählerin Birgit Strohmaier schätzt die Kanzlerin sehr – auch dafür, dass sie Männern wie Putin und Erdogan Paroli biete. Merkel müsse aber eine wichtige Aufgabe in ihrer Partei angehen. Von Schulz hält sie „nichts“.
Birgit Strohmaier, 76, CDU-Wählerin, Reutlingen



DIE WELT: Liebe Frau Strohmaier, was haben Sie heute vor?

Brigitte Strohmaier:
Ich werde die Konzerttermine für ein russisches Bläserquintett vorbereiten, das seit 2010 jeden Winter für ein paar Wochen bei uns in Baden-Württemberg gastiert. Alles großartige Solisten, die aber bei ihren Heimatorchestern meist nicht mehr als 250 Euro im Monat verdienen. Für diese Musiker ist es sehr wichtig, auch bei uns zu spielen.
DIE WELT: Wie geht es Ihnen persönlich?


Strohmaier: Ich möchte mich als eine glückliche Bürgerin bezeichnen. Als Rentnerin lebe ich allein, habe aber einen großen Freundeskreis und wunderbare Nichten. Als Christin engagiere ich mich unter anderem im Leitungsteam unserer Vesperkirche: Da bekommen bedürftige Menschen, ob nun Arme, psychisch Kranke, Obdachlose oder Alleinerziehende vier Wochen lang Mittagessen und Vesperpakete. Neben dem Essen sind für diese Menschen vor allem die Gespräche und Begegnungen eine Hilfe gegen Einsamkeit und Verzweiflung. Wir koordinieren 250 ehrenamtliche Helfer.
DIE WELT: Was haben Sie beruflich gemacht?



Strohmaier: Ich war Gynäkologin mit eigener Praxis. Gott sei Dank habe ich eine gute Nachfolgerin gefunden. Aus meiner beruflich aktiven Zeit stammen aber auch Bedenken, was zum Beispiel das Thema Integration betrifft: Ich konnte zum Teil besser Türkisch als meine türkischstämmigen Patientinnen Deutsch. Obwohl die schon jahrelang hier waren! So funktioniert die Sache natürlich nicht.
DIE WELT: Gibt es andere politische Themen, die Sie irritieren?


Strohmaier: Oh ja! Sogar eine ganze Menge. Mich verstört die allgemeine Gier nach Geld und Macht. Mich stören der um sich greifende Egoismus und die Rücksichtslosigkeit. Mich stören – jawohl, auch wenn schon Sokrates darüber geklagt hat – die schwindenden Manieren der jungen Leute.
Dann: Das Internet ist wunderbar, aber seine dunklen Seiten von Hassmails über Pornografie bis Mobbing erschrecken mich. Schließlich stört mich, dass wir Deutschen aus unserer historischen Verantwortung eine Übertoleranz für Einwanderer ableiten, die unsere Werte verachten und sich nicht integrieren wollen. Das scheint mir der falsche Schluss aus der Geschichte zu sein. Und weltpolitisch beunruhigen mich, wie wohl die meisten Menschen, Trump, Putin und Erdogan.
DIE WELT: Was mögen Sie an Deutschland?


Strohmaier: Deutschland ist ein so schönes und liebenswertes Land! Frieden und Freiheit sind unbezahlbar. Das weiß bei uns nicht jeder ausreichend zu schätzen – und das sollte auch jeder verstehen, der zu uns kommen möchte. Durch meine weltweiten Reisen kann ich mir schon ein Urteil bilden.
DIE WELT: Wie informieren Sie sich?


Strohmaier: Ich lese tatsächlich noch Tageszeitungen, sehe die Fernsehnachrichten, schaue aber auch immer öfter im Internet nach. Für meine Meinungsbildung sind Diskussionen im Freundeskreis unverzichtbar. Sehr bereichernd waren für mich auch immer die Gespräche mit unserem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Ernst-Reinhard Beck. Ein kluger Mann.
DIE WELT: Sie werden auch bei der Bundestagswahl CDU wählen?


Strohmaier: Natürlich. Ich war immer schon schwarz, ohne Mitglied zu sein. Unserem Land geht es sehr gut mit Frau Merkel, alle wollen hierher. Von Herrn Schulz halte ich nichts, deshalb wäre ich im Zweifelsfall nach der Wahl für eine Koalition mit der FDP.
DIE WELT: Was könnte Frau Merkel anders machen?


Strohmaier: Ich finde es gut, wenn sie Gestalten wie Putin, Erdogan oder Trump klarmacht: Wir sind freundlich, aber wir sind selbst auch wer. Darin ist sie stärker geworden, finde ich. Was sie aber wohl tun müsste: an den Aufbau eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin denken.
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