«Unsere Politik ist oberflächlich und dumm»

Afghanistan-Kenner Albert A. Stahel über die Zuwanderung junger Paschtunen und die Versäumnisse des Bundes.
BaZ: Welchen Unterschied machte es für die Beurteilung des Täters von Würzburg, ob dieser nun aus Afghanistan oder Pakistan kommt?

Albert A. Stahel: Wenn es sich um einen Paschtunen handelt, grundsätzlich keinen. Es handelt sich um dieselbe Ethnie beidseits der Grenze, wobei die Stämme teilweise auch die gleichen sind. Die Durand-Linie zwischen Afghanistan und Pakistan wurde zur britischen Kolonialzeit Ende des 19. Jahrhunderts bewusst mitten durch das Paschtunengebiet gezogen. Entsprechend gilt auch heute noch auf beiden .Seiten der Grenze der Stammeskodex der Paschtunen, das Paschtunwali. Den Einfluss von aussen in Form von Staatsmacht sucht man dort vergebens, denn diese wird bekämpft und nicht akzeptiert.


Bekannt wurde über den Täter, der mit einer Axt im Zug auf Passagiere losging, dass er betreut in Deutschland war und sogar eine Lehrstelle in Aussicht hatte. Genügen solche Massnahmen, um junge Paschtunen auf westlich zu .trimmen?


Nein. Das reicht nicht, denn er wuchs ja in seiner Familie, seinem Clan auf. Dort wurde er von jung auf durch das Gesetz der Paschtunen bestimmt, eben das Paschtunwali. Dieses ist älter als der Islam, man kann es als archaisch bezeichnen. Dieses Gesetz gleicht übrigens inhaltlich stark dem Kanun der Albaner.

Welches ist das Wesen dieses Paschtun.wali, des Paschtunentums?

Wichtig sind drei Begriffe. Der erste lautet nang – die Ehre. Zu nang gehört das Führen einer Waffe, genannt topak garzai. Der zweite Begriff ist tor und kann mit schwarz übersetzt werden, was beispielsweise die Kompromittierung der Keusch- und Reinheit einer Frau betrifft. Wenn irgendetwas tor wurde, ist die Ehre verletzt – dies ist das schlimmste Vergehen. Dann kommt der dritte wichtige Begriff ins Spiel: badal. Badal bedeutet Rache und kann im Falle von tor nur mit dem Tod geahndet werden. Beides kann über Generationen hinweg gelten und ausgeübt werden, denn der Besitz von Frauen, Gold und Geld sowie Land darf gemäss diesem Gesetz niemals infrage gestellt .werden.


Das klingt alles reichlich unversöhnlich mit westlichen Wertvorstellungen.

Das ist es auch. Jedenfalls lassen sich paschtunische Wertvorstellungen nicht durch Psychologen und Sozialarbeiter ohne Kenntnis über das Paschtunwali beiseitewischen. Auch nicht mit Praktika und Versprechen von Lehrstellen.


Junge Afghanen, nicht alles Paschtunen, kommen zu Hunderten jedes Jahr als Flüchtlinge auch in die Schweiz. Ihre Waffen, die Sie angesprochen haben, dürfen sie natürlich nicht mitnehmen. Was bedeutet die Entwaffnung für einen Paschtunen?

Beim Erreichen des Mannesalters erhalten die jungen Paschtunen vom Vater eine Waffe, meistens ein Gewehr. Nur wer eine Waffe führt, ist ein Mann. Früher war diese Waffe ein Vorderlader und ein langer Dolch, heute ist es ein Gewehr. In Pakistan ist dies nur in den Stammesgebieten erlaubt. Eine Entwaffnung, wie dies eine Flucht nach Europa zur Folge hat, bedeutet streng genommen den Verlust der Männlichkeit, genannt saritob.


Es ist kaum vorstellbar, dass ein solches Vorgehen an sich, wie es sich im Zug bei Würzburg abgespielt hat, ohne Drogeneinfluss möglich ist. Täuscht das?

Darum geht es nicht. Wer nach dem Paschtunwali erzogen worden ist, wird bei einer tiefen Ehrverletzung töten, so zum Beispiel bei tor. Natürlich gibt es die Einrichtung der Loya Jirga, über die eine Abgeltung erreicht werden kann. Dazu braucht es aber viel Geld.


Wieso tun sich die Verantwortlichen bei uns so schwer, derart massive kulturellen Unterschiede auch nur ansatzweise zur Kenntnis zu nehmen? Das Wissen wäre ja verfügbar.

Natürlich könnte man wissen, womit man es zu tun hat. Zum einen hat sich unsere westliche Kultur über die letzten Jahrhunderte seit dem Mittelalter vom Verhalten entfremdet, das jenem der Paschtunen von heute gleicht. Zum anderen geht es beim notwendigen Wissen nicht ums Können, sondern ums Wollen. Man will sich nicht ernsthaft mit fremden Kulturen auseinandersetzen, um zu wissen, was da auf uns zukommt. Gerade auch auf politisch verantwortlicher Ebene in Bern herrscht das Gefühl vor, unsere Kultur, unsere Werte und unsere Errungenschaften seien derart fortschrittlich und überlegen, dass sie automatisch auch massgebend sind für alle anderen. Das ist aber oberflächlich und dumm.


Und dabei fühlen wir uns im Allgemeinen doch ziemlich weltoffen.

Ja, aber auf eine sehr oberflächliche und naive Weise. Will man wirklich andere Kulturen hier integrieren, muss man begreifen, was auf uns zukommt. Das gilt nicht nur beim Paschtunwali, sondern auch beim Kanun oder der Scharia. Tun wir das nicht, ist letztlich in einem solchen Konflikt unsere Zivilisation dem Untergang geweiht, weil unsere .Wertvorstellungen, unsere Kultur auf diese Weise keine Überlebenschancen haben.

Muss es denn zwingend zum Konflikt kommen, wenn Paschtunen hierherkommen?

Zwingend nicht. Solange das Paschtunwali kompatibel ist mit unserem Verhalten, gibt es diesen Konflikt nicht. Ist dies nicht der Fall – dann allerdings wird umgesetzt. Unter Paschtunen kann sogar der eigene Onkel, der eigene Cousin zum Gegner werden, wenn diese die Ehre verletzen. Es muss nicht zwingend zum tödlichen Konflikt kommen. Aber es kann. Jederzeit. Das muss man .wissen.


Ist es eigentlich ein Zufall, dass das Stammesgebiet in Pakistan auch das Rückzugsgebiet für die afghanischen Taliban ist?

Den afghanischen Taliban dienen die pakistanischen Stammesgebiete als Rückzugsgebiete. Juristisch bedeutet dies, dass dort der Staat Pakistan nichts zu sagen hat. Es gibt dort keine pakistanischen Richter, dafür Dorfchefs. In dieser Machowelt ist nur der Mann erbberechtigt, die Frau hat gar nichts zu sagen! Die afghanischen Taliban sind durch die Paschtunen begründet worden. In diesen Stammesgebieten verwalten sich die paschtunischen Stämme selbst. Sie sind gegenüber jeglicher Autorität des pakistanischen Staates in einem permanenten Abwehrkampf.


Kann man Paschtunen aus dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet bei uns überhaupt integrieren? Müsste man nicht sagen, nein, das geht nicht? Das Risiko ist zu gross?


Erhebt man den Anspruch, solche Leute bei uns zu integrieren, braucht es sicherlich das entsprechende Hintergrundwissen. Einen unwissenden Sozialarbeiter loszuschicken, kann tödlich enden, denn die Grenze zwischen Wohlwollen und Totschlag des zu Integrierenden ist schmal.
http://bazonline.ch/das-beste-aus-de...story/10516475

[QUOTE]

Die einzelnen Komponenten des Paschtunwali

Melmastia: Das erste Gesetz des Pashtunwali. Es steht für die Gastfreundschaft allen Gästen gegenüber ohne die Erwartung einer Gegenleistung, und ggf. Verteidigung der Gäste gegen ihre Feinde.

Badal: Das zweite Gesetz des Pashtunwali: Es steht für das "Rache nehmen", wenn einem Ungerechtigkeit/Böses getan wurde. Wörtlich übersetzt bedeutet es "Tausch".

Nanawatay: Das dritte Gesetz. Nanawatay leitet sich ab von dem Verb "hingehen, hereingehen" und steht dafür, wenn der Besiegte in das Haus des Siegers geht und um Vergebung bittet. Nanawatay kann nicht eingefordert werden, wenn der Disput die Entehrung oder Verletzung einer Frau beinhaltet.

Nang (Ehre): Das vierte Gesetz. Nang besteht aus den untenstehenden Punkten, die zusammengefasst die Ehre eines Pashtunen oder die seiner Familie ausmachen.
Tor (Schwarz): Bezieht sich auf Fälle, in denen es um die Ehre einer Frau geht. Tor (Schwarz) kann nur in Spin (Weiß) durch den Tod des Verursachers umgewandelt werden.

Tarboor (Cousin): In der paschtunischen Gesellschaft hat der "Tarboor" (oder der Sohn des Bruders des Vaters) die Anmutung bzw. Nebenbedeutung einer Rivalität bzw. Feindschaft.

Laschkar: Laschkar ist die Stammesarmee. Sie setzt die Entscheidungen der Jirga um.

Jirga: Die Jirga ist die Versammlung der Stammesältesten, die zu verschiedensten Gelegenheiten oder für verschiedenste Fälle einberufen werden bzw. tagen kann. Beispiel: Dispute innerhalb des Stammes oder zwischen verschiedenen Stämmen.

Chalweshti / Zalwesti: Das Wort leitet sich von dem Wort "Vierzig" ab und steht für die Umsetzung der Entscheidungen der Jirga, d.h. jeder 40. Mann ist ein Mitglied. In Kurram heißt diese Gruppierung "Shalgoon", welches sich von dem Wort "Zwanzig" ableitet und dafür steht, dass jeder 20. Mann Mitglied dieser Gruppe wird.

Teega / Kanrai (Stein): Teega steht für ein festes Datum, zu dem alle Feindlichkeiten zwischen streitenden/kämpfenden Parteien unterbrochen werden müssen. Der Stamm sichert dann die Umsetzung der "Teega".

Nikkat: Nikkat ist abgeleitet von dem Wort "Nikka", welches für "Großvater" steht. Es steht für die Verteilung von Profiten und Verlusten innerhalb von Stämmen und Unterstämmen. Der Verteilungsschlüssel richtet sich nicht unbedingt nach demographischen Werten, sondern kann auch vor Generationen festgeschrieben sein und einem Außenstehenden ungerecht erscheinen.

Badragga: Badragga steht für eine Stammeseskorte, die für gewöhnlich aus Mitgliedern dieses Stammes besteht. Ein Angriff auf eine "Badragga" kann eine Stammesfehde nach sich ziehen.

Hamsaya (Nachbar): Hamsaya steht für eine Gruppe von Schutzabhängigen, die sich in den Schutz bzw. die Obhut eines stärkeren begeben. Jeder Angriff auf die "Hamsaya" wird als Angriff auf deren Beschützer gewertet.

Qalang (Miete oder Steuer): Qalang wird von dem Gutsherrn gegen seine Pächter erhoben. In diesem Kontext ist er typisch für den Stamm der Yusufzai, kann allerdings auch andere Bedeutungen bei anderen Stämmen haben.

Malatar: Malatar steht für die Mitglieder einer Gruppe, die an einem Kampf teilnehmen stellvertretend für deren Führer oder gemeinsam mit ihm.

Mu'ajib: Mu'ajib steht für die jährliche oder halbjährliche, feste, Auszahlung eines Betrages an Stämme und/oder Unterstämme durch die politische Macht.

Lungi: Lungi steht für die Auszahlung durch die politische Macht an einzelne Führer.

Nagha: Nagha ist eine Strafsumme, die durch die Stammesältesten festgelegt und einem Verurteilten / zu bestrafenden auferlegt wird. Die Umsetzung dieser Maßnahme kann ggf. durch die "Lashkar" vollzogen werden.

Rogha: Rogha steht für die Niederlegung eines Disputs zwischen streitenden Fraktionen.

Hujra: Eine Hujra ist ein Verweil- oder Schlafplatz für Gäste und männliche, unverheiratete Mitglieder eines Dorfes. Die Kosten werden für gewöhnlich durch die Bewohner des Dorfes geteilt. Jede "Hujra" hat für gewöhnlich eine anliegende Moschee, die an die Dorfstruktur gekoppelt ist.

Swara: Eine Form der Sühneleistung für Mord, Ehebruch oder Entführung. Eine Frau aus der Sippe des Täters wird mit einem Mann der geschädigten Sippe verheiratet (auf Beschluss der Jirga).

Das Paschtunwali ist ein Kanon an Gesetzen und Verhaltensregeln, ein Kodex aus der Zeit, als moderne Rechtsprechung nicht existierte. Das Paschtunwali führte zu einer Ordnung und bot die Existenzgarantie für die Paschtunen. Viele Elemente des Paschtunwali, z.B. die Jirgas (Loya Jirga, wolesi Jirga) wurden vom afghanischen Staat übernommen, und als die Amerikaner nach dem 11. September 2001 auf der Suche nach einer Neustrukturierung von Afghanistan waren, war es die Loya Jirga, die der Regierung Karzai ihre Legitimität gab.
https://de.wikipedia.org/wiki/Paschtunwali

Paschtunwali ist nicht nur das paschtunische Stammesrecht, sondern auch ein Ehrenkodex. Im Laufe der Zeit wurde dieses Stammesrecht, was überwiegend mündlich, aber auch teilweise, insbesondere in den Landai-Gedichten schriftlich fixiert, auch als Ehrenkodex der Paschtunen bezeichnet und hat allmählich - wie in jeder oralen Gesellschaftsstruktur üblich, pathetische Züge angenommen.


"Landai"-Gedichten, (das paschtunische Wort "minna" bedeutet Liebe) sind Minnesang der Paschtunen, in denen Unabhängigkeit, Gast- und Asylrecht, Heldenmut, Tapferkeit, Widerstand, Liebe und Ehre besungen wurden.

Die zunächst für die Zusammenarbeit der Stämme und Sippen in den Jirgas konzipierten Direktive des Paschtunwali wurden nicht nur zu Werten der Gemeinschaft avanciert, sondern sie nahmen auch regulative Funktionen ein. Folgende Gesetze sind zwar in allen Stämmen und Volksgruppen Afghanistans vorhanden, aber nicht unter dem Begriff Paschtunwali. Z.B. Gastrecht, Asadi (Freiheit) Esteqlal oder Khpolwaki (Unabhängigkeit) ist bei allen afghanischen Volksgruppen und Ethnien vorhanden. Allerdings straffe Stammesrecht besitzen die Turkmenen und Paschtunen des Landes.

Ghairat (Ehre): Ehre ist das oberste Prinzip des Paschtunwali.

Badal = Tausch oder Rache

Badraga = Begleitschutz für eine Gemeinschaft oder für eine Person, damit sie ihr Ziel unversehrt erreichen, auch wenn sie feindliches Gebiet durchqueren. Es ist unehrenhaft auf die Person und ihre Begleitung zu schießen.

Barabari = Gleichheit

Gattlaka = „heiratsfähig“. Das Wort ist ein Kompositum aus „Gatta = Finger“ und „Lakawol = Stehen und bedeutet in Afghani genauso viel wie Peghla = Mädchen. Allerdings handelt es sich um ein Mädchen, auf das die Männer aufmerksam geworden sind.

Gond = “Partei“, Wettbewerb zwischen Leitern von Stämmen im Bezug auf das Wohlergehen des Stammes: bei Essenausgabe, Gastfreundschaft, Tapferkeit, Heldenhaftigkeit usw. Dadurch entstehen zwei oder mehrere Parteien. Gond regelt diesen Wettbewerb.

Istegamat = Widerstand bzw. Beharren

Jarga bzw. Jirga = Versammlung, Kreis, Zelt; siehe auch www.afghan-aid.de/loya-jirga.htm

Kana oder (Tiga=Stein) = Schlichtung bei einem Streit

Karkhanda = wörtlich „Linie“ bedeutet „jemanden unfreiwillig
schleppen“.

Kodday oder Koddakha = Hütte auf dem Berg, in der der Hirte schläft.

Konda = Frau bzw. Braut, deren Mann gestorben ist

Lashkar = Armee zur Verteidigung der Heimat

Mahreka = Verhandlungen

Melmastia = Gastrecht

Meschrano Jarga bzw. Jirga = Ältesten Rat, Senat (Legislative)

Nagona = Entschädigung beim Diebstahl von Tieren

Namus = Schutz der Frau, der Familie, Heim sowie Heimat

Nanawatai = Asyl bzw. Vergebung, Entschuldigung

Pana =Asylrecht

Pur = eigentlich „Leihen“ Ausgleich bzw. Entschädigung, Geldstrafe, jedes Körperorgan hat seinen eigen Preis.

Rogha = „Gesundheit“ ; bedeutet soviel wie Frieden. Friedenschluss nach Jarga bzw. Mahreka

Siali o Schariki = Siali = Wettbewerb unter Verwandtschaft bzw. Sippschaft; Schariki = Teilhabe

Sor Lassi = „rote Hände“, wird verwendet für Kapitalverbrecher bzw. Mittäter

Spin = wörtlich „weiß“, alle Organe, die nicht durch Kleidung bedeckt sind oder derjenige, der sich nichts zu Schulden kommen lässt.

Spin patscha = „blankes Bein“; Frau, die ohne Hochzeitsfeierlichkeit, ohne Musik und Brautgabe verheiratet wird.

Tiga (Tiza) = „Stein“
A) Stein wird von dem Ältesten auf den Boden gelegt, um für eine bestimmte Zeit z.B. für drei Monate, einen Waffenstillstand zwischen den Stämmen zu vereinbaren, damit in dieser Zeit Verhandlungen zum Frieden aufgenommen werden können.
B) Jeder Stamm hat seinen eigenen Stein. Die Steine der Stämme wie Ahmadzai, Mohmmand, Afridi und Djadran sind die bedeutendsten Steine. Sie sind erstklassig. Steine der Tochis, Hotaks und Durani kommen an zweiter Stelle. Stein bedeutet in diesem Zusammenhang Preis. Manchmal wird Tiga (Stein) auch für Jirga bzw. Jarga (Verhandlung im Kreis bzw. Zelt gebraucht.

Tor = wörtlich „schwarz“, Organe, die durch Kleidung bedeckt sind oder jemand, der schuldig ist.

Turra = "Schwert" bedeutet Verdienst an der Allgemeinheit

Wolesi Jarga (Dschirga)= Volksvertretung, Unterhaus, Parlament (Legislative)

Zalwekhtai = Exekutive

Zar = "Gold", Eigentumsrecht
Die obengenannten Begriffe beschrieb Ustad Abdul Rahman Pazwak (1917 bzw. 1919 bis 1995 in seiner Abhandlung unter dem Thema "rechtlichen und strafrechtlichen Praktiken und deren Wechselwirkung innerhalb und außerhalb der afghanischen Stämme". Die Abhandlung ist in dem Jahrbuch Nr. 8 (Salnama Nr. 8) im Jahre 1939 in Kabul erschienen.

zu Asyl und Gastrecht (Melmeistia) ist nicht nur bloße Gastfreundschaft, sondern ist eine Frage der Ehre. Dem Gast (auch Feind) zu dienen und zu schützen, ist eine Angelegenheit der Ehre. Sollte die Ehre, welche als oberste Rechtsgut, gekränkt werden, kann diese Verletzung durch Asyl- und Gastrecht wiedergut gemacht werden, indem die Beleidiger die Familienoberhaupt besucht. Hier wird eine Jirga abgehalten. Dort wird solange diskutiert, bis eine Einigung erzielt ist.

zu Nanawati (Asylrecht) wörtlich bedeutet "Herein" ist eine Möglichkeit, Konflikte zwischen Gegnern beizulegen. Es ist unehrenhaft, Bitte um Verzeihung eines Gegners, der hereingekommen ist, abzuschlagen.

zu Roghai (Friede schließen, Versöhnen): die traditionellen Anlässen wie Geburt, Hochzeit, Beschneidung, Verlobung und religiösen Festen sind gute Gelegenheiten, die bestehenden Konflikte durch gegenseitige Besuche beizulegen.

zu. Badal (Tausch): Um Blutrache zu vermeiden, werden Geld oder eine Tochter bzw. eine Frau an die Opferfamilie übergeben.

zu Jirgas: Versammlungen: In jeder Familie (Sippe), und in jedem Stamm wird zu besonderen Anlässen Versammlungen abgehalten. Es wird solange diskutiert, bis eine Einigung erzielt ist. Jirga bedeutet Disput, Streit, Beratung, Verhandlung, Handeln.

zu Tega/Kanrai = "Stein" An anberaumten Datum müssen alle Feindlichkeiten zwischen streitenden/kämpfenden Parteien unterbrochen werden. Der Stamm sichert dann die Umsetzung der "Tega" (Frieden).



weitere Begriffe:

Nang = "Schande"; Bei Nang handelt es sich um die Verletzung der Ehre eines Pashtunen oder die seiner Familie durch eigenen Verhaltensweisen oder Nichthandeln oder durch äußeren Umstände.

Tor = Schwarz . Bezieht sich auf Fälle, in denen es um die Ehre einer Frau oder die Verletzung eines Körperorgans geht. Tor (Schwarz) kann nur in Spin (Weiß) durch eine bestimmte Strafe umgewandelt werden.

Tarboor = "Cousin"; In der pashtunischen Gesellschaft hat der "Tarboor" (oder der Sohn des Bruders des Vaters) die Anmutung bzw. Nebenbedeutung einer Rivalität bzw. Feindschaft.

Lashkar = "Stammesarmee". Sie setzt die Entscheidungen der Jirga um.

Nikkat = Vorfahre ; ist abgeleitet von dem Wort "Nikka", welches für "Großvater" steht. Es steht für die Verteilung von Profiten und Verlusten innerhalb von Stämmen und Unterstämmen. Der Verteilungsschlüssel richtet sich nicht unbedingt nach demographischen Werten, sondern kann auch vor Generationen festgeschrieben sein und einem außenstehenden ungerecht erscheinen.

Hamsaya = "Gleiche Schatten teilen" = Nachbar" ; Jeder Angriff auf die "Hamsaya" wird als Angriff auf eigene Familie gewertet.

Qalang "Miete oder Steuer"; Qalang wird von dem Gutsherrn gegen seine Pächter erhoben. In diesem Kontext ist er typisch für die Yusufzai, kann allerdings auch andere Bedeutungen bei anderen Stämmen haben.

Malatar steht für die Mitglieder einer Gruppe, die an einem Kampf teilnehmen stellvertretend für deren Führer oder gemeinsam mit ihm.

Muajib steht für die jährliche oder halbjährliche, feste, Auszahlung eines Betrages an Stämme und/oder Unterstämme durch die politische Macht.

Lungi = "Turban" Lungi steht für die Auszahlung durch die politische Macht an einzelne Führer. Bei Friedensverhandlungen bekommen sie Lungi.

Nagha ist eine Strafsumme, die durch die Stammesältesten festgelegt und einem Verurteilten / als Strafe auferlegt wird. Die Umsetzung dieser Maßnahme kann ggf. durch die "Lashkar" vollzogen werden.

Hujra ist ein Verweil- oder Schlafplatz für Gäste und männliche, unverheiratete Mitglieder eines Dorfes. Die Kosten werden für gewöhnlich durch die Bewohner des Dorfes geteilt. Jede "Hujra" hat für gewöhnlich eine anliegende Moschee, die an die Dorfstruktur gekoppelt ist.
http://www.afghan-aid.de/paschtunwali.htm

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Analphabetentum und härtester Scharia-Islam

Die Europäer müssen sich klar machen, was da auf sie zukommt oder in großen Zahlen schon angekommen ist. Nur 38,2 Prozent der Afghanen − 24,2 Prozent der Frauen – können lesen und schreiben. Aber fast alle vertreten härtesten Scharia-Islam. Eine Umfrage des Washingtoner Pew Research Institutes zufolge wollen 99 Prozent der afghanischen Muslime das grausame islamische Scharia-Recht als offizielles Gesetz sehen. 81 Prozent dieser afghanischen Scharia-Muslime befürworten Amputationsstrafen und 79 Prozent die Todesstrafe für Religionsabtrünnige. 84 Prozent befürworten die Steinigung von Ehebrechern. Dazu kommt etwa bei den afghanischen – und pakistanischen − Paschtunen ein archaisches paschtunisches Stammesgesetz, in dem es vor allem um Ehre, Blutrache und Tod geht. Das erläuterte Ende Juli der Schweizer Afghanistan-Experte Albert A. Stahel in der Basler Zeitung: Paschtunische Wertvorstellungen sind mit denen des Westens praktisch unvereinbar.
Einer der vielen bestürzenden Umstände an dem Mord ist, dass die Mörder keine religiösen Extremisten waren, sondern ganz normale Afghanen.
BBC News
Erhellend für all dies war ein Vorfall vom März 2015 in Kabul: Ein Mob erschlug, steinigte und verbrannte eine junge Afghanin, weil sie angeblich einen Koran verbrannt habe. Die Polizei schaute zu, und prominente Imame lobten den Lynchmord. Das berichtete der britische Sender BBC News und machte eine Beobachtung: „Einer der vielen bestürzenden Umstände an dem Mord ist, dass die Mörder keine religiösen Extremisten waren, sondern ganz normale Afghanen.“
https://www.bayernkurier.de/ausland/...us-afghanistan

Die einzelnen Komponenten des Paschtunwali[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Melmastia: Das erste Gesetz des Pashtunwali. Es steht für die Gastfreundschaft allen Gästen gegenüber ohne die Erwartung einer Gegenleistung, und ggf. Verteidigung der Gäste gegen ihre Feinde.
Badal: Das zweite Gesetz des Pashtunwali: Es steht für das "Rache nehmen", wenn einem Ungerechtigkeit/Böses getan wurde. Wörtlich übersetzt bedeutet es "Tausch".
Nanawatay: Das dritte Gesetz. Nanawatay leitet sich ab von dem Verb "hingehen, hereingehen" und steht dafür, wenn der Besiegte in das Haus des Siegers geht und um Vergebung bittet. Nanawatay kann nicht eingefordert werden, wenn der Disput die Entehrung oder Verletzung einer Frau beinhaltet.
Nang (Ehre): Das vierte Gesetz. Nang besteht aus den untenstehenden Punkten, die zusammengefasst die Ehre eines Pashtunen oder die seiner Familie ausmachen.
Tor (Schwarz): Bezieht sich auf Fälle, in denen es um die Ehre einer Frau geht. Tor (Schwarz) kann nur in Spin (Weiß) durch den Tod des Verursachers umgewandelt werden.
Tarboor (Cousin): In der paschtunischen Gesellschaft hat der "Tarboor" (oder der Sohn des Bruders des Vaters) die Anmutung bzw. Nebenbedeutung einer Rivalität bzw. Feindschaft.
Laschkar: Laschkar ist die Stammesarmee. Sie setzt die Entscheidungen der Jirga um.
Jirga: Die Jirga ist die Versammlung der Stammesältesten, die zu verschiedensten Gelegenheiten oder für verschiedenste Fälle einberufen werden bzw. tagen kann. Beispiel: Dispute innerhalb des Stammes oder zwischen verschiedenen Stämmen.
Chalweshti / Zalwesti: Das Wort leitet sich von dem Wort "Vierzig" ab und steht für die Umsetzung der Entscheidungen der Jirga, d.h. jeder 40. Mann ist ein Mitglied. In Kurram heißt diese Gruppierung "Shalgoon", welches sich von dem Wort "Zwanzig" ableitet und dafür steht, dass jeder 20. Mann Mitglied dieser Gruppe wird.
Teega / Kanrai (Stein): Teega steht für ein festes Datum, zu dem alle Feindlichkeiten zwischen streitenden/kämpfenden Parteien unterbrochen werden müssen. Der Stamm sichert dann die Umsetzung der "Teega".
Nikkat: Nikkat ist abgeleitet von dem Wort "Nikka", welches für "Großvater" steht. Es steht für die Verteilung von Profiten und Verlusten innerhalb von Stämmen und Unterstämmen. Der Verteilungsschlüssel richtet sich nicht unbedingt nach demographischen Werten, sondern kann auch vor Generationen festgeschrieben sein und einem Außenstehenden ungerecht erscheinen.
Badragga: Badragga steht für eine Stammeseskorte, die für gewöhnlich aus Mitgliedern dieses Stammes besteht. Ein Angriff auf eine "Badragga" kann eine Stammesfehde nach sich ziehen.
Hamsaya (Nachbar): Hamsaya steht für eine Gruppe von Schutzabhängigen, die sich in den Schutz bzw. die Obhut eines stärkeren begeben. Jeder Angriff auf die "Hamsaya" wird als Angriff auf deren Beschützer gewertet.
Qalang (Miete oder Steuer): Qalang wird von dem Gutsherrn gegen seine Pächter erhoben. In diesem Kontext ist er typisch für den Stamm der Yusufzai, kann allerdings auch andere Bedeutungen bei anderen Stämmen haben.
Malatar: Malatar steht für die Mitglieder einer Gruppe, die an einem Kampf teilnehmen stellvertretend für deren Führer oder gemeinsam mit ihm.
Mu'ajib: Mu'ajib steht für die jährliche oder halbjährliche, feste, Auszahlung eines Betrages an Stämme und/oder Unterstämme durch die politische Macht.
Lungi: Lungi steht für die Auszahlung durch die politische Macht an einzelne Führer.
Nagha: Nagha ist eine Strafsumme, die durch die Stammesältesten festgelegt und einem Verurteilten / zu bestrafenden auferlegt wird. Die Umsetzung dieser Maßnahme kann ggf. durch die "Lashkar" vollzogen werden.
Rogha: Rogha steht für die Niederlegung eines Disputs zwischen streitenden Fraktionen.
Hujra: Eine Hujra ist ein Verweil- oder Schlafplatz für Gäste und männliche, unverheiratete Mitglieder eines Dorfes. Die Kosten werden für gewöhnlich durch die Bewohner des Dorfes geteilt. Jede "Hujra" hat für gewöhnlich eine anliegende Moschee, die an die Dorfstruktur gekoppelt ist.
Swara: Eine Form der Sühneleistung für Mord, Ehebruch oder Entführung. Eine Frau aus der Sippe des Täters wird mit einem Mann der geschädigten Sippe verheiratet (auf Beschluss der Jirga).
Das Paschtunwali ist ein Kanon an Gesetzen und Verhaltensregeln, ein Kodex aus der Zeit, als moderne Rechtsprechung nicht existierte. Das Paschtunwali führte zu einer Ordnung und bot die Existenzgarantie für die Paschtunen. Viele Elemente des Paschtunwali, z.B. die Jirgas (Loya Jirga, wolesi Jirga) wurden vom afghanischen Staat übernommen, und als die Amerikaner nach dem 11. September 2001 auf der Suche nach einer Neustrukturierung von Afghanistan waren, war es die Loya Jirga, die der Regierung Karzai ihre Legitimität gab.