Jeden Tag arbeitet eine Frau mit blonden Haaren und magerem Gesicht in einem Supermarkt in Berlin. Nennen wir sie Tanja. Wenn Tanja fertig damit ist, die Regale einzuräumen und den Boden zu wischen, packt sie ihre Sachen zusammen.

Doch Tanja hat noch keinen Feierabend. Weil das Geld von ihrem Teilzeitjob nicht reicht, putzt sie abends bei einer Reinigungsfirma. Sie streift sich die Gummihandschuhe über und scheuert die Spüle in einer Firmenküche.

Einmal hat eine Mitarbeiterin in der Firma sie angeschrien, weil sie ihre Sachen auf dem Schreibtisch angefasst hat. Aber wie hätte sie sonst den großen Kaffeefleck entfernen können? Tanja hat sich entschuldigt.

Spätabends setzt sich Tanja an den Küchentisch in ihrer kleinen Wohnung. Ihr Rücken schmerzt. "Ich weiß nicht, was aus mir werden soll, wenn ich nicht mehr arbeiten kann", sagt sie. In ihren Augen glänzen Tränen, aber sie kämpft sie zurück. Stattdessen lächelt sie, aber es sieht ein bisschen verzweifelt aus.

Tanja gehört zu den Menschen in Deutschland, die sich alleingelassen fühlen. Im Fernsehen hört sie vom Aufschwung und von der niedrigen Arbeitslosigkeit. Tanja selbst hat keine Hoffnung.

Sie fühlt sich im Stich gelassen, weil alle sagen, dass es den Menschen in Deutschland gut geht. Deutschland ist der Fels in Europa, heißt es. "Warum geht es mir dann nicht gut", fragt sie sich.

Tanja hat das Gefühl, dass das Bild vom deutschen Wunderland ein Märchen ist. Und sie hat recht. Experten aus dem Ausland haben sich angeschaut, wie Deutschland im Vergleich mit anderen Nationen abschneidet und ihr Ergebnis ist erschreckend.

Wir haben ein großes Problem. Und es ist eines, für das wir uns schämen sollten.

Denn obwohl es dem Land so gut wie lange nicht geht, wird die Ungerechtigkeit immer größer. In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Geld immer ungleicher verteilt. Sehr, sehr wenige Deutsche haben mehr als die Hälfte davon. Und ALLE anderen müssen mit dem Rest auskommen.

Diese Entwicklung ist laut einer internationalen Studie von 2011 sogar so stark wie in keinem anderen der 34 untersuchten Länder. Das muss man sich einmal vorstellen! Diese Ergebnisse sind seit Jahren bekannt und trotzdem spricht kaum jemand davon. Und eine aktuelle Untersuchung von 2015 zeigt, dass es noch schlimmer geworden ist.

Die Experten haben anhand ihrer Studien eine ganze Reihe an Katastrophen in Deutschland entdeckt, die ignoriert werden. Politiker und Wirtschaftsbosse sprechen nur davon, wie fortschrittlich und stark Deutschland ist. Natürlich tun sie das, denn sie werden immer reicher und mächtiger.

Doch wie kann es einem Land gut gehen, in dem jedes fünfte Kind unter der Armutsgrenze lebt? Das sind 2,1 Millionen (!) Mädchen und Jungen. Damit ist die Kinderarmut laut den Experten größer als in Ungarn und Tschechien.

Wie kann es einem Land gut gehen, in dem Kinder aus sozial schwachen Familien kaum eine Chance haben, später ein Leben in Wohlstand zu führen? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie es schaffen, ist kleiner als in anderen Ländern.

Warum? Vielleicht weil die Regierung viel Geld in die Hochschulen investiert, an denen die Wohlhabenden unter sich sind. Und wenig in Schulen und Kindergärten. Also dort, wo sich der Lebensweg der Kinder entscheidet.

Nach der Schule wird es nur schlimmer: Die Deutschen schuften ein Leben lang für einen kleinen Lohn und sind im Alter arm. Denn die Renten von Geringverdienern sind bei uns niedriger als in allen anderen untersuchten Ländern. Und: Wer in Deutschland lange arbeitslos ist oder keine Ausbildung hat, bekommt nur sehr schwer einen Job.

In Deutschland haben wenige Menschen ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung. So wenig wie in kaum einem anderen Industrieland. Damit fehlt ihnen auch ein Stück Sicherheit - und sie geben viel Geld für Miete aus, dass dann zum Leben oder im Alter fehlt.

Hinzu kommt: Von ihrem Lohn müssen sie verhältnismäßig viel Geld für Steuern abgeben. Besonders niedrige und mittlere Einkommen sind bei uns stärker belastet als in anderen Ländern. Mit anderen Worten: Wer sowieso schon wenig hat, muss verhältnismäßig viel hergeben.

Es kann auch anders gehen. Das zeigt zum Beispiel Finnland, wo die Regierung ein bedingungsloses Grundeinkommen plant.

Das ist noch nicht alles: In Finnland hat die soziale Herkunft keine Auswirkung auf den Erfolg in der Schule. Alle haben die gleichen Chancen.

Das ist etwas, wovon Tanja immer geträumt hat. Sie stützt den Kopf in ihre müden, rissigen Hände. Sie hat gehört, dass auch in Island, Schweden, Dänemark und Norwegen vieles ganz anders ist. Besser.

Es kann sich in Deutschland nichts ändern, solange die Probleme verschwiegen werden. Solange es immer heißt: Es geht hier doch allen gut. Tanja würde das den Anzugmenschen im Fernsehen am liebsten zurufen. Aber niemand sieht sie. Niemand hört ihr zu. Noch nicht. Aber vielleicht ändert sich das bald.
http://www.huffingtonpost.de/sabrina-hoffmann/auslaendische-experten-deutschland_b_8848406.html?utm_hp_ref=germany"