Anne Will:
Angela Merkel bleibt dabei und sagt es auch wieder und wieder: Wir schaffen das. Mag ja sein, daß es Deutschland schafft, den Flüchtlingen zu helfen, aber schafft es auch Europa und vor allem, will es jeder in Europa schaffen? Danach sieht es zur Zeit immer weniger aus, zum Beispiel heute an der ungarisch-serbischen Grenze, wo Flüchtlinge versucht haben, das Grenztor einzutreten, und dann die ungarischen Sicherheitskräfte mit Wasserwerfern und mit Tränengas reagiert haben.

Bei uns heute abend sind der Bundesinnenminister Thomas De Maiziere, der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, aus Ungarn ist da der Minister für gesellschaftliche Ressourcen Zoltan Balog, Katrin Göring-Eckardt ist da, die Fraktionsvorsitzende der Grünen und der Ressortleiter Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl. Herzlich willkommen!

Herr Balog, die Bilder, von denen wir eben ansatzweise schon ein paar gesehen haben und die zeigen, wie die ungarischen Sicherheitskräfte mit Tränengas und mit Wasserwerfern auf den Versuch der Flüchtlinge reagiert haben, die Grenze zu durchbrechen, sind das die Bilder, die Sie in die Welt schicken wollen, damit möglichst wenig Flüchtlinge sich noch auf den Weg Richtung Ungarn machen?

Balog: Ganz bestimmt nicht, aber danke erst einmal für die Einladung, daß ich hier ein Stück vielleicht die Situation, worin sich Ungarn befindet, etwas verständlicher machen kann, weil es ist nicht nur die ungarische Grenze, sondern die Außengrenze der Schengen-Zone, der Schengen-Staaten und wenn wir da illegale Einwanderung und illegale Übertritte vermeiden wollen, dann indem wir unseren Pflichten nachkommen, was uns das Schengen-Abkommen vorschreibt und auch Dublin III, alle die Regelungen in Europa, die da sind, und nicht wir haben diese Leute angegriffen, sondern sie wollten etwas machen, was in Ungarn und in Europa gesetzwidrig ist.

Will: Warum gehen Sie per se davon aus, daß jeder, der kommt, illegal ist?

Balog: Weil wir haben die legalen Punkte, wo man nach Ungarn und nach Europa, in die Europäische Union eintreten kann, und diese Leute benutzen nicht diese Wege, sondern sie benutzen sozusagen die grüne Grenze und dort ohne jegliche Registrierung oder Dokumentation, einfach reinkommen und nicht zehn, nicht zwanzig, nicht hundert, sondern in diesem Jahr - und wir sind erst im September - 200.000 Leute. Das ist ein Ausmaß, das wir uns nicht denken konnten, obwohl die Meldungen schon lange da sind, die wir auch weitergegeben haben. Das ist jetzt ein Schock, nicht nur für diese Leute dort, sondern auch für die Bevölkerung, und damit ist nicht leicht umzugehen und auch fertigzuwerden.

Will: Und halten Sie das Vorgehen der Sicherheitskräfte für dort für angemessen?

Balog: Wie schnell sich die Situation ändern kann, das zeigt sich - heute früh war ich noch da, von dort bin ich zum Flughafen gegangen, daß ich hier nach Berlin komme, und da war es alles noch ruhig, da waren die Aufnahmepunkte, die sogenannte Transitzone, wo die Leute sich anmelden können, wo sie untersucht werden, und wo sie ihren Antrag stellen können, und da waren Leute, die in Schlange standen, weil es nicht so schnell geht, wie sie wollen, und da war ein Camp da, wo diese Leute dort saßen und es zeigte nichts, daß dieser Angriff stattfinden wird. Wenn Polizei angegriffen wird, dann müssen sie sich verteidigen.

Will: Mit Wasserwerfern und mit Tränengas?

Balog:
Wenn das der Weg ist oder wenn das die Mittel sind, damit sie diese gesetzwidrige Haltung vermeiden können, dann leider auch so.

Will: Ist das ein Argument, Herr Asselborn?

Asselborn: Nein. Ich glaube, die größte Kritik, die man Ungarn machen muß, ist, daß sie von vornherein jede europäische Einbeziehung, die Lösung des Problems eigentlich abgewiesen haben. Ich weiß, daß Ungarn Hilfsangebote bekam von der UNO-Flüchtlingshilfe, auch von der Kommission, von EASO, und (in Richtung Balog) Ihr Premierminister Orban ist zur Zeit Ungarn, aber ich bin überzeugt, daß Ungarn nicht Orban ist, aber das Problem ist, daß Viktor Orban in Brüssel aufgetreten ist und eigentlich, als Kommissionspräsident Juncker ihn gefragt hat, "Was willst du von mir?", "Was willst du von der europäischen Union?", und der geantwortet hat: "Nichts"!
Das ist, glaube ich, das fundamentale Problem. Diese Bilder aus Ungarn hätten meines Erachtens können verhindert werden. Wir wissen, daß das nicht ein Problem ist, das Ungarn geschaffen hat, aber wir hätten es können europäisch in einem ganz anderen Rahmen, ganz andere Bilder zeigen. Ich will auch sagen, daß - und Thomas De Maiziere weiß das - daß wir alles tun müssen, daß die Menschen, die an unsere Tür klopfen, um Schutz zu bekommen, weil sie Flüchtlinge sind, daß wir die registrieren müssen, die Mühe müssen wir uns geben und die Mittel auch zur Verfügung stellen, vor allem in Griechenland. Das ist nicht (in Richtung Balog) Ihr, das haben Sie nicht so gewollt, aber lassen Sie mich noch einmal sagen, Ungarn hat einen Weg gesucht, der meines Erachtens in der Europäischen Union vor allem die Isolierung wählt, die Autonomie, wir Ungarn kennen dieses Problem, wir Ungarn meistern dieses Problem. Und das schafft Ungarn nicht, sondern schickt solche Bilder in die Welt, die Europa sehr weh tun.

Will (an Asselborn): Aber überrascht können Sie nicht eigentlich sein, Herr Asselborn, denn die Europäische Union hat sich sehr, sehr lange jetzt angeschaut, was die ungarische Regierung gemacht hat. Sie hat immer wieder gesagt, sie versucht die Außengrenzen zu sichern. Sie hat deshalb diesen Zaun gebaut und die europäische Union hat nichts dagegen unternommen. Heute versuchen die Flüchtlinge, über diesen Zaun zu brechen, und die ungarischen Sicherheitskräfte reagieren. Sie können nicht überrascht sein.

Asselborn:
Nein, ich bin nicht überrascht, aber ich sage noch einmal: Es wäre auch anders gegangen. Ich glaube, wir hätten zusammen mit Ungarn dieses Problem, was ja entsteht in Griechenland, das ist ganz klar, dann kommt die Route Mazedonien, Serbien, Ungarn, und dann weiterziehen, die nach Deutschland wollen, das heißt, wir hätten das ganz, ganz anders lösen können.

Balog: Aber wie?

Asselborn:
Zum Beispiel, daß auch Ungarn mitgeholfen hätte, daß wir viel schneller es fertigbrächten, was wir ja jetzt auch tun wollen, daß wir in Griechenland die Menschen, die hereinkommen, ...

Balog: Das heißt, es hängt von Ungarn ab, das in Griechenland die Pflichten nicht eingehalten werden? Was können wir da machen außer Appelle, daß sie und nicht ab jetzt, sondern seit 2009? Scheints sind sie auch nicht in der Lage, ich möchte nicht so über ein anderes Land reden wie Sie (an Asselborn gerichtet) über Ungarn oder den Premierminister reden, aber ich muß dann doch fragen, was hat die Europäische Union gehindert, seit 2009 mit Griechenland diese Dinge soweit zu bringen, daß die Außengrenzen kontrolliert werden? Und ich war selber, unser Innenminister auch gestern, Sie haben das auch erwähnt, natürlich kooperationsfähig und bereit, daß wir die Sache gemeinsam lösen.

Asselborn: Warum hat Viktor Orban, Ihr Premierminister nicht gesagt, wir wollen versuchen, zusammen eine europäische Lösung zu finden?

Balog:
Das sagt er doch.

Asselborn:
Nein, er sagt genau das Gegenteil.

Will
: Vielleicht hat er eine andere Vorstellung von der Europäischen Union.

Balog: Darüber kann man diskutieren. Wir sind Teil nicht nur von der Europäischen Union, sondern auch von Europa und wir wollen europäische Lösungen, aber das muß man gemeinsam machen. Und wenn Sie über fehlende Solidarität sprechen, muß ich ehrlich sagen, daß wir uns eher in den letzten 2 Jahren im Stich gelassen fühlten, weil wir ständig diese Zustände angemeldet haben und da einfach keine tragfähige Antwort kam.

Asselborn: Also, ich komme aus dem Europäischen Parlament, heute. Da hat Marie Le Pen, das ist eine Frau mit einem Engelsgesicht, aber mit Teufelsgedanken, hat applaudiert und hämisch gelacht, als ich gesagt habe, daß Ungarn bei der Relocation bei diesen 54.000 nicht mitmachen will. Also bei der Verteilung. Es lauern im Europaparlament nicht nur einige, sondern vielleicht ein Drittel der Parlamentarier lauern darauf, daß Europa zerbricht. Und hier müssen wir wirklich, wirklich aufpassen, und viele beziehen sich da auf die Aktion von Orban.

Und das glaube ich, müssen Sie als Ungarn, vielleicht auch das Volk, sich die Autoritäten durch den Kopf gehen lassen, daß man nicht Nahrung spendet denen, die Europa kaputtmachen wollen und nichts gelernt haben aus dem 20. Jahrhundert.

Will
: Ich nehme den Satz von Herrn Balog, der gesagt hat, er fühle sich oder die ungarische Regierung fühle sich im Stich gelassen. Haben Sie, Herr De Maiziere, schon mal no no oder irgendwas in der Art gesagt? Übernehmen Sie einen Teil der Verantwortung für den Wasserwerfereinsatz heute, wenn doch die ungarische Regierung das tut, was man ihr abverlangt, nämlich, daß sie die Außengrenze des Schengenraums schützt?

De Maiziere
: Ich möchte zunächst sagen, daß ich als Deutscher nie vergessen werde, welche Rolle Ungarn 1989 gespielt hat und daß bei aller Kritik, die jetzt an Ungarn so üblich ist. Ich werde das nicht vergessen und das prägt auch meine Tonlage. Das will ich einfach mal feststellen.

Will:
Außerdem ist Herr Balog persönlich sehr engagiert.

De Maiziere: Was jetzt trotzdem, und da bin ich mit Jean (Asselborn) einer Meinung, Schutz der Außengrenzen ist richtig, aber es ist eine Frages des Maßes und der Methode und der Mittel und der Verhältnismäßigkeit und die sind hier nicht gewahrt. Ich habe eben ein bißchen den Kopf geschüttelt bei der Frage der Hilfe. Ich bin ja jetzt auch schon eine Weile dabei und viele, viele Gespräche und Hilfsangebote haben wir gemacht, öffentlich und nichtöffentlich und auch etwa über die Frage der Hilfe, daß wir doch diese Lager und Einrichtungen so machen, daß die nicht mehr kritikwürdig sind. Viele dieser Angebote haben wir gemacht und in der Tat war die Antwort "Nein, das machen wir dann alleine." Und das ist natürlich europäisch nicht. Wahr ist allerdings auch, daß die Probleme natürlich nicht in Ungarn verursacht werden, sondern bei der Frage - da kommen wir ja sicher drauf - der Herkunftsländer, der Transitländer, und die ersten beiden Staaten, wo die Menschen europäischen Boden betreten, sind in aller Regel Griechenland und Italien. Und wenn Sie sagen, was ist mit Griechenland, es ist wahr, daß Griechenland Hilfe bekommen hat, es ist wahr, daß wir sogar ein Selbsteintrittsrecht gemacht haben und nicht Menschen nach Griechenland zurückgeschickt haben. Da ist viel Geld hingeflossen. Das Geld ist nicht vernünftig ausgegeben worden, das muß man sagen, seit Jahren schon. Cecila Malmström hat das damals oft beklagt, öffentlich und nichtöffentlich, und das ist auch nicht in Ordnung, wie Griechenland mit den Flüchtlingen umgegangen ist.

Will:
Tut die ungarische Regierung nicht das, was Sie wollen, nämlich, daß die Außengrenze geschützt wird?

De Maiziere: Im Prinzip ja, nur so geht es nicht, was die Art und Weise angeht, und es geht nicht isoliert, es ginge nur in Europa gemeinsam mit ihren Freunden.

Will:
Ist das, Herr Prantl, was wir jetzt sehen, daß Ungarn jetzt zunächst diesen Zaun gebaut hat, heute nun, ihn zu verteidigen versucht hat, auch durch den Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern, ist das vielleicht rücksichtslos, aber doch sehr eine sehr konsequente Umsetzung der bisherigen Flüchtlingspolitik der Europäischen Union?

Prantl: Mit der Flüchtlingspolitik der Europäischen Union war ich nie einverstanden. Ich habe sie immer für eine represssive Politik gehalten, die zu wenig für Flüchtlinge tut, die auf Abschreckung setzt. Wir müssen uns jetzt nicht streiten, ob Europa eine Festung darstellte, darstellen soll. Es war jedenfalls so, daß man unendlich viel zur Abwehr von Flüchtlingen getan hat und sehr wenig zur Aufnahme von Flüchtlingen, das man wenig getan hat, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Man hat vor allem in Deutschland - und die europäische Regelung, die Dublin-Verordnungen war ja eine Vergrößerung der deutschen Grundgesetzänderung - man hat geglaubt, mit der Grundgesetzänderung könne man das Flüchtlingsproblem regelrecht abschalten und hat durch Grundgesetzänderung plus die Dublin-Regelung die Flüchtlingslasten in Anführungszeichen auf die schon genannten europäischen Randstaaten abgewälzt, auf Griechenland, auf Italien. Und das hat ja auch einige Zeitlang funktioniert. Ich kann mich noch gut erinnern, als einer Ihrer Vorvorgänger, Manfred Kanther zu mir sagte: "Was wollen Sie denn mit Ihrer Kritik an der Grundgesetzänderung? Es hat doch funktioniert! Die Flüchtlingszahlen in Deutschland sind massiv gesunken." Und sie sind auch eine Zeitlang gesunken, weil die europäischen Randstaaten, vor allem Griechenland und Italien die Flüchtlinge aufnehmen mußten, weil sie für die Dublin-Regelungen zuständig waren. Unter der Last und der Situation, die wir jetzt im Nahen und Mittleren Osten haben, unter der großen Flüchtlingszahl hat Dublin nicht mehr gehalten. Der Druck war so groß, hat zu den Zuständen in Ungarn geführt, die ich für ungeheuer mißlich halte und für abschreckend und für empörend, daß die Flüchtlinge näher rückten. Und dann hat in einer historischen Situation die Kanzlerin eine historische Entscheidung gefällt, und hat gesagt, wir müssen die aus humanitären Gründen aufnehmen. Und ich warte immer noch darauf, daß der historische Entscheidung auch historische Anstrengungen folgen, mit diesen Flüchtlingen jetzt klug umzugehen. Da sind natürlich die Europäer gefordert. Und wenn Europa in toto mit den 28 Mitgliedsstaaten nicht mitmacht, dann braucht man - in einem anderen Kontext, Herr Innenminster, hat man gesagt - eine Koalition der Willigen. Dann braucht man eine Koalition der Willigen, die mit Flüchtlingen gut umgehen will und die bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Natürlich kann Deutschland nicht 1 Million Flüchtlinge allein schultern, und wenn viele Menschen Angst haben, dann muß man auch diese Angst annehmen und mit ihr umgehen und zwar klug umgehen, mit einem großen Plan umgehen, so daß die Ängste verschwinden, so daß die Ängste kleiner werden, daß die Menschen das Gefühl haben, hier weiß ein Innenminister, hier weiß eine Bundesregierung, hier weiß ein ganzer Staat, ein Land, wie man umgehen muß.

Will: Was ist mit denen, die nicht willig sind? Wenn ich richtig zugehört haben, dann zählen Sie Ungarn oder die ungarische Regierung dazu.

Prantl: Die zähle ich zu den Unwilligen.

Will: Und was passiert mit denen?

Prantl: Herr Minister (an Balog), Sie sind Minister für Ressourcen und zu Ressourcen zähle ich auch das Recht, das Völkerrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention, die EU-Grundrechtecharta. Ihre Regierung verletzt all diese Abkommen in eklatanter Weise.

Balog: Welche Punkte meinen Sie?

Prantl: Artikel 3 der Genfer Flüchtlingskonvention. Sie wollen keine Muslime aufnehmen. Es steht ausdrücklich in der Genfer Flüchtlingskonvention, daß diese Konvention ohne Unterschied von Rasse, Glaube und Herkunftsland angewendet wird. Ihre Regierung, Herr Minister, fällt zurück hinter den Westfälischen Frieden. Ich habe alle 3 Rechte und Konventionen aufgezählt und Rechtspapiere.

Balog: Ich kenne diese Argumente, aber wir haben mehrere tausend Muslime in den letzten Jahren aufgenommen. Es leben solche Menschen bei uns. Ich denke, was wir hier nicht verstehen und ich rede gerne über mein Land, auch wenn wir jetzt so auf der Anklagebank sitzen. Ist das nicht ein europäisches Problem? Ist das Problem Ungarn hier? Oder ist das Problem, daß die Situation sich so grundsätzlich geändert hat? Das Ausmaß, das dieses Problem angenommen hat, ist so eine Herausforderung, daß es eine europäische Krise wird, wenn wir nicht anders handeln und in einem einzigen Problem (an Prantl) bin ich mit Ihnen einverstanden, an (ihm wird ins Wort gefallen)

Ich weiß nicht (an Will gerichtet, die ihm ebenso ins Wort fiel), ob das jetzt die europäische Diskussionskultur ist, zu sagen, europäische Lösungen, aber keine ungarische. Ich fühle mich als Europäer und auch als Ungar fühle ich mich als Europäer und wir arbeiten dran, daß wir im Rahmen der europäischen Gesetze alles, was sie aufgezählt haben, einhalten. Ich weiß, wie lange wir daran gearbeitet haben in unserem Kabinett, daß die Lösungen tatsächlich einen härteren Umgang mit diesem Problem vornehmen als es bis jetzt war, daß es innerhalb dieses Rahmens bleibt. Es ist nirgendwo ein Gesetz, das wird auch nicht so gehandelt, daß wir keine Muslime aufnehmen. Wir haben auch eine lange Tradition, die Frage ist, wie lange geht das.

Können Sie sich das vorstellen, wirklich, ein 10-Millionen-Land wird innerhalb von ein paar Monaten von 200.000 Leuten überrannt, wir als Transitland, und am Ende, und um über Hilfe von außen zu sprechen, will sich dann keiner mehr registrieren? Das kann man einfach nicht verantworten. Und solange, wie wir nicht in der Situation sind, daß wir selber entscheiden können, und dann könnte unsere Diskussion anfangen, wen wir hier haben wollen und wen nicht, weil wir jetzt hier allgemein über Flüchtlinge sprechen und unsere Wahrnehmung ist, daß hier und das wird auch hier und da gesagt, daß im großen Teil an Menschen gedacht wird, die hier die fehlende Arbeitskraft im Beschäftigungsmarkt ersetzen sollen. Und das finde ich auch eine berechtigte Geschichte, aber die Unterscheidung muß man machen, denn die ganze Sache krankt daran, daß wir Flüchtlinge, politische Flüchtlinge, die wir genauso aufnehmen wie andere Staaten, und denen wir auch Schutz und Verpflegung bieten - das kann man in Ungarn anschauen - nicht unterscheiden von denen, die um ein besseres Leben hierherkommen. Wogegen ich nichts habe, aber die Entscheidung, denke ich, soll jeder Staat selber treffen, ob er das will und in welchem Maße. Wieviel Arbeitskraft fehlt, ob man die demographischen Defizite, die Europa vorweist, auf diese Weise lösen will oder auf andere Weise.

Prantl an Balog: Daß Sie Schutz und Hilfe gewähren wollen, denen, die Schutz und Hilfe brauchen. Ist das richtig?

Balog: Die politisch verfolgt werden und deren Leben in Gefahr ist, ja.

Prantl: Das haben Sie auch gemacht?

Balog:
Wenn wir in der Lage sind, das zu entscheiden, dann machen wir das. Das Problem ist, daß durch das Chaos, das da entstanden ist, zum Teil durch die Menschen und ich will wirklich nicht auf andere Länder zeigen, von den Signalen aus Brüssel gar nicht zu reden, aber die auch aus anderen Hauptstädten kamen, die haben es uns nicht möglich gemacht, diese Leute dort in Ungarn zu halten und den Prozeß oder das Verfahren, das geregelte Verfahren durchzuführen.

Prantl:
Sie meinen die Kanzlerin ist schuld daran, daß die Flüchtlinge an der Grenze standen und sich unredlich schlecht behandelt fühlten?

Balog: Das habe ich nicht gesagt. Aber heute früh, als ich dastand an dem Zaun, von der anderen Seite hörte ich "'Germany, Germany, Germany, Germany !" Diesen Leuten hat von uns keiner was gesagt und als ich mit den Leuten gesprochen habe, 95 Prozent der Leute, die bei uns reinkamen und gefragt werden konnten, haben gesagt, sie wollen (nach Deutschland) weitergehen. Aber wir dürfen sie nicht weiterlassen nach Dublin III und nach dem Schengen-Abkommen, erst müssen ihre Personalien aufgenommen werden und dann dürfen wir entscheiden, wie das weitergeht. Das ist das einzige, was wir wollten und zu dem wir dann eine gewisse Zeit und zum Teil dann auch deshalb, weil sie dachten, daß sie weiterreisen können, den Hauptbahnhof belagert dort, und dann war die Sache nicht mehr zu managen.


Will: Frau Göring-Eckardt, verhält sich die ungarische Regierung konsequent, auch möglicherweise nachvollziehbar, so wie es Herr Balog hier schildert, oder verhält sie sich so, daß die Europäische Union nun etwas dagegen unternehmen müßte und dieses nicht länger durchgehen lassen kann?

Göring-Eckardt:
Also, ich meine, wir können jetzt ne Sendung machen, wo Ungarn nun am Schluß der totale bad guy ist und an allem schuld. Das fänd ich falsch, weil ich glaube, da müssen wir die Sache im Großen betrachten. Aber, wenn man sich die Bilder heute anschaut, wenn man sich die Bilder der Lager anschaut, der Aufnahmelager in Ungarn, dann wird man nicht sagen können, das war besonders menschenwürdig. Das war das Gegenteil davon. Also, Wasserwerfer, Tränengas einzusetzen gegen Flüchtlinge, das waren Familien mit Kindern an diesem Zaun, das ist nicht verhältnismäßig. Ich kann mir das nicht vorstellen, ich kann mir das nicht vorstellen! Wer hat eigentlich den Befehl dafür gegeben, daß, wenn da Kinder stehen, wenn da Frauen stehen, wenn da junge Männer stehen, die nichts anderes wollen als über diese Grenze gehen und weitergehen, daß man gegen die solche Mittel einsetzt? Tut mir leid, da habe ich kein Verständnis dafür, da hab ich auch kein Verständnis dafür, daß es keine Versorgung gegeben hat, daß es weder in Budapest noch in den anderen Aufnahmelagern, die irgendwas zu tun haben mit humanitärer Aufnahme. Das ist das eine, das muß sich Ungarn sagen lassen, und das andere, wenn Herr Orban sagt, wir wollen nicht mit mehr Muslimen zusammenleben, dann müssen Sie (an Balog) sich das anhören, und Sie sagen ja, wir haben schon welche, "wann ist denn dann Schluß?" und das man dann unterscheidet, welche Religion jemand hat, ob er dann nach Ungarn kommen darf oder nicht, das hat jedenfalls nichts mit den allgemeinen Regeln zu tun, die wir in Europa haben. So. Das ist das eine, das andere ist aber

Anne Will unterbricht: Darf die EU sich das dann so ohne weiteres anschauen?

Göring-Eckardt:
Nein, das darf die EU sich nicht so anschauen. Das ist auch völlig klar. Das geht nicht. Assenborn hat gerade gesagt, da ist Hilfe angeboten worden, das ist nun mal der erste Schritt, daß man sagt Hilfe anbieten, und dann muß man aber natürlich überlegen, wie machen wir das weiter. Aber im Grundsatz isses nicht

Anne Will
unterbricht: Konsequenzen, Sanktionen...?

Göring-Eckardt:
Man muß sich alles mögliche überlegen. Es gibt ja auch Förderprogramme, alles mögliche

Balog:
Die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union erhalten

Göring-Eckardt:
Und dann ist die andere Frage: Was geben wir eigentlich als Europa für ein Bild ab? Wir geben das Bild ab, daß wir unsere Außengrenzen schützen, gegen wen eigentlich? Gegen Menschen, die aus dem Krieg hierherkommen. Und wir geben das Bild ab, daß da Menschen ertrinken im Mittelmeer. Wir geben das Bild ab, daß Leute mit Beuteln und mit kaputtem Schuhwerk oder barfuß hierherkommen wollen und wir uns nicht um sie kümmern. Und ich finde, es ist jetzt eine Situation, wo Sie zeigen können, warum wir dieses Europa eigentlich sind. Wir sind ein demokratisches Europa mit Einschränkungen, aber wir sind ein Europa, das das kann! Was Solidarität kann! Wir sind natürlich ein reicher Kontinent. Und jetzt die Chance zu ergreifen und zu sagen, wir machen das, nicht nur wir können das, sondern wir machen es auch! Das ist nämlich der Unterschied. Die Bundeskanzlerin hat ja was sehr Wichtiges gesagt. Sie hat gesagt: "Wir schaffen das!" Und sie hat auch noch gesagt, wir entschuldigen uns nicht dafür, daß wir es freundlich machen und daß wir die Arme aufmachen. Aber das muß man jetzt auch tun! Dann kann man nicht gleichzeitig die alte Abschottungspolitik machen wie aus dem letzten Jahrzehnt und gleichzeitig von uns aus sagen, wir machen jetzt mal wieder Kontrollen an den Grenzen, damit nicht gleich soviele kommen, und, und, und, sondern dann muß man sagen, wir haben ein Programm! Wir haben ein Programm, wie die Leute hierherkommen, wie sie gut unterkommen. Dann müssen wir uns anstrengen! Das ist auch nicht easy! Das ist völlig klar! Wir haben aber auch ein Programm, wie sie hier leben können, wie wir sie integrieren, wie wir hier zusammenleben.

Dieses Land wird sich verändern! Und es wird sich ziemlich drastisch verändern! Und das wird ein schwerer Weg sein, aber dann, glaube ich, können wir wirklich ein besseres Land sein. Und daran zu arbeiten, das mit Begeisterung zu machen, die Leute mitzunehmen, auch die, die Angst haben, von dem Herr Prantl spricht, das ist eigentlich die historische Chance, in der wir sind, das ist wahrscheinlich noch mehr als die Deutsche Einheit, was wir da erreichen können.

Will:
Herr De Maiziere, wollen Sie eine grundsätzliche Änderung der europäischen Flüchtlingspolitik vornehmen, die dann eben nicht mehr auf Abschottung hört, die nicht mehr abschreckt, die nicht mehr will, daß niemand zu uns kommt?

De Maiziere:
Zunächst will ich das, was Frau Göring-Eckardt gesagt hat, in einem Punkt unterstreichen: Ja, wir stellen uns jetzt dieser Aufgabe. Das sollen wir auch nicht verdruckst tun! Die, die hier sind, werden in einem fairen Verfahren geprüft. Es gibt allerdings viele, auch die jetzt kommen, die behaupten, Syrer zu sein und sind keine Syrer. Das gibt es alles, wie auch neuerdings Disziplinlosigkeiten unter den Flüchtlingen, die kommen. Sie wollen sich nicht verteilen lassen, sie verschwinden von vorläufigen Unterbringungen. Das alles ist nicht in Ordnung. Das kriegen wir aber in den Griff. Aber im Prinzip stimme ich überein; das ist jetzt eine große Aufgabe, der wir uns stellen und nicht verdruckst, sondern mit Engagement.

Will: Aber Sie stellen sich der Aufgabe, daß Flüchtlinge auf einem hochkomplizierten und immer illegalen Weg es bis zu uns geschafft haben?

De Maiziere: Nein, ich möchte jetzt..

Will
unterbricht: Sie schaffen nicht die Möglichkeit, daß sie es leicht hätten.

De Maiziere:
Laßt uns mal zu Ende denken, was Frau Göring-Eckardt vorher gesagt hat, auch Herr Prantl. Das hieße ja, daß jeder nach Europa kommen kann und wir heißen alle willkommen, bei einem Wohlstandsgefälle in der Welt, was dramatisch ist, und das geht nicht. Deswegen brauchen wir weder eine Abschottung, die sowieso nicht geht,

Will unterbricht: Aber die haben Sie doch....

De Maiziere:
noch eine vollständige Einladung an alle in der Welt, nach Deutschland zu kommen, weil Deutschland ja ein so beliebtes Land ist. Das geht nicht. Ich glaube, das ist auch unstreitig. Das würde sogar Herr Prantl sagen, der sagt, wir können nicht alleine 1 Million jahrelang aufnehmen. Das heißt natürlich zu Ende gedacht, daß man Maßnahmen ergreifen muß. Und das hieße zum Beispiel, daß wir erst mal die Fluchtursachen bekämpfen, daß wir jetzt dringend, Jean (an Asselborn), und das haben wir beschlossen, das macht hoffentlich ein Sonderrat, wenn es einen gibt, daß wir richtig neues großes Geld in die Hand nehmen, damit nicht noch mehr aus den Flüchtlingslagern zusätzlich sich auf die Reise machen. Daß wir einen anderen Ansatz mit der Türkei mal machen. Die Türkei wird auch gerne mal superkritisiert. Die Türkei hat Millionen von Flüchtlingen. Uns Deutschen fällt immer sofort ein, erst mal die Türkei zu kritisieren als auch da Hilfe anzubieten, was ich für geboten hielte, dann Griechenland zu helfen. Eben haben wir, habe ich auch Griechenland kritisiert; wir haben jetzt vor 2 Tagen zum ersten Mal gehört, daß die griechische Übergangsregierung gesagt hat, wir sind bereit, einen sogenannten Hotspot, eine Wartezone zu machen, wir sind bereit, uns am UNHCR, am Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen zu beteiligen, aber wir brauchen Hilfe, und das können wir organisieren, das wird europäisch jetzt auch gemacht. Das sind vernünftige Maßnahmen, die jedenfalls das Gegenteil von Abschottung sind, aber auch nicht sagen, weil wir jetzt eine Demokratie und ein reiches Land sind, kann die ganze Welt zu uns kommen. Das geht zu weit.

Prantl:
Die Fluchtursachenbekämpfung ist wunderbar und ich höre das Stichwort Fluchtursachenbekämpfung schon, seitdem ich vor 28 Jahren Journalist geworden bin.

De Maiziere:
Es wäre ja nicht schlecht, man würde den Konflikt in Libyen etwas besser in den Griff kriegen und in Syrien.

Prantl:
Ist alles richtig.

De Maiziere: Da haben wir ganz schön lange weggeguckt.

Prantl: Und außerdem, Herr Minister, wäre es besser, wenn man die Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern im Libanon besser unterstützt. Wenn ich dann höre, daß der Flüchtlingskommissar der UNHCR der Vereinten Nationen nicht mehr genug Geld hat, ordentliche Essensrationen austeilen zu lassen

De Maiziere:
Genau

Prantl:
Ist es furchtbar, aber das sind mittel- und langfristige Dinge, die man

De Maiziere:
Aber das muß sofort geschehen, damit sich nicht noch mehr auf den Weg machen

Prantl:
Aber da sind Menschen, die stehen vor der Türe, die können Sie nicht dadurch befrieden, daß sie Essen geben und sagen, Fluchtursachenbekämpfung. Wir müssen mit den Menschen umgehen, die hier vor der Türe stehen und die in Deutschland schon sind und die werden Sie nicht mit einer Eisenbahnkarte zurückschicken in die anderen Länder

Assenborn:
Darf ich hier einen Satz sagen? Ich glaube, wir haben hier zwei Probleme in der europäischen Union mit den Menschen, die jetzt bei uns sind. Erstes ist, wir sind in einer ganz anderen Atmosphäre als nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens. Da war eine Stimmung in Europa, wo von Nord, Süd, West und Ost intensiv zusammen geholfen wurde. Ich kann mich erinnern, bei uns auch, in unserem kleinen Land, daß wir Ausstellungshallen gemietet haben, um die Menschen zu versorgen und es war kein Riß in der Europäischen Union, jeder hat damals mitgeholfen. Das ist das eine. Das zweite ist, und das macht mich wirklich auch sehr nachdenklich, wenn man verschiedene Länder hört, dann glaubt man zu verstehen, daß wenn einige hundert oder tausend Flüchtlinge in ihre Gesellschaft kommen, daß dann ihre Gesellschaft zersetzt wird. Daß irgendetwas Fremdes implantiert wird und daß man davor große Angst hat. Und ich bin auch überzeugt, wir haben, Thomas (an De Maiziere) weiß es, mit vielen Leuten aus den Ländern zu tun, ich will sie nicht speziell in die Ecke, Tschechien, ja, in die Ecke drücken, aber es ist ein Abwehren, es ist eine, sagen wir mal, Angst, daß wenn Muslime oder Menschen anderer Hautfarbe aufgenommen werden sollen, wird nicht geschaut, warum die Menschen da sind, es wird nicht geschaut, daß die ja diesem Terror in Syrien oder Irak fortlaufen müssen, um überhaupt zu überleben, sondern es wird nachdem geschaut, was irgendwie in der Gesellschaft stören kann und das ist etwas, was wir glaube ich mit viel Geduld, aber auch diesen Ländern beibringen müssen, daß wir, denn die Werte in der europäischen Union, die Essenz davon, das ist dann aber doch wirklich, daß wir in solch einer Situation genau nicht das machen, was Le Pen predigt. Die sagt im Europäischen Parlament, wir haben soviel Armut, soviel Leid in Frankreich, und ich bin zuerst Franzose. Ich weiß wie es ist, wenn man zuviel in der Kritik ist. Aber das man dann aber auch wirklich versucht, europäisch zu denken und zu sagen, wir haben die Mittel in Europa. Wenn wir die Mittel in Europa nicht haben, diesen Menschen zu helfen, dann hat keiner sie auf der Welt und das ist etwas

Anne Will fällt ins Wort: Und dann wollen wir noch mal hinschauen, wie die ungarische Regierung es eigentlich mit den Muslimen hält. Ich will aufpassen, daß Sie gesagt haben, damals ging kein Riß durch die EU. Daraus höre ich, daß heute einer da ist, und ich will nachfragen, Herr Balog, dabei erfahren wir vielleicht noch ein bißchen über Sie, wie Sie denken und wie überhaupt die Regierung Orban in der Sache denkt. Sie sind Mitglied im Kabinett Orban, habe ich eben schon gesagt, Sie haben dieses Ressort, das ein ganz großes ist, das wir übersetzen würden mit gesellschaftliche Ressourcen, und Sie sind da eben für ne Menge Dinge zuständig, für Soziales, Jugend und Kultur und, jetzt kommts, auch für Minderheiten. Warum wollen Sie eigentlich nicht mehr Muslime im Land haben?

Balog: Ich versuche, etwas freundlicher und höflicher zu sein, als sie das waren, aber ich muß sagen, das erschreckt mich, was Sie (an Assenborn) über die Jugoslawienkrise sagen

Will unterbricht: Können wir bei der Frage bleiben?

Balog: Aber das hat etwas damit zu tun. Was würden die Witwen von Sebrenica dazu sagen, daß Sie meinen, daß die Europäische Union damals Herr der Lage war?

Anne Will
fällt ins Wort, gleichzeitig Assenborn. Assenborn: Sie sind ein ganz schlimmer Verdreher! Ich habe gesagt, die Menschen, die aus Jugoslawien zu uns gekommen sind, die haben wir in einer ganz anderen Einstellung aufgenommen als die Menschen, die jetzt kommen. Mehr habe ich nicht gesagt. Nichts von Sebrenica. Also hören Sie damit auf!

Balog:
Das gehört dazu,

Assenborn: Das gehört nicht dazu

Balog: daß damals die Bekämpfung der Ursachen in Jugoslawien, als Jugoslawien zerfiel, und für diese Leute die Wende wahnsinnig viel Leid gebracht hat und damals waren wir auch Grenzland und wir haben die ersten Flüchtlingslager damals aufgebaut und wir waren die Ersten, die diese Leute damals aufgenommen haben. Manche sind weitergegangen, manche sind zurückgegangen, nachdem die Krise vorbei war, und das war eine schreckliche Geschichte,

Assenborn:
Damals war die Kultur der Werte in Ungarn noch viel größer geschrieben als heute

Balog:
Die ist in nicht zwanzig Jahren schlechter geworden wie ich das höre

Will: Sie tragen das mit einem Lächeln vor. Ich find das gar nicht so amüsant.

Balog: Weil das nicht so ist!

Will: Warum wollen Sie nicht mehr Muslime ihrem Land haben? Erklären Sie es uns mal! Ich verstehe es nicht!

Balog: Ich bin auch zuständig für die humanitäre Hilfe und wir haben einen caritativen Rat, wo die (ihm wird ins Wort gefallen) wichtigststen Hilfsorganisationen von Ungarn drinsitzen, Rotes Kreuz, Interchurch Aid, Malteser und noch zwei andere. Und mit diesen Leuten koordiniere ich persönlich als Leiter dieses Rates in den letzten 3 Monaten die gesamte Versorgung. Und wenn Sie von Bildern sprechen, Bilder sind mächtig, aber wenn Sie die Unterkünfte anschauen und die Versorgung anschauen, dann müssen Sie mir wirklich zeigen, was, wo es nicht geklappt hat. Ja, ich meine, Politiker sind dafür da

Anne Will fällt ins Wort: Die Frage, ich stelle sie noch mal: Warum wollen Sie nicht mehr Muslime im Land haben und ich habe Sie deshalb gefragt, weil Ihr Ministerpräsident sich genau so eingelassen hat, Kathrin Göring-Eckardt hat es eben schon mal angetippt, wir können es uns aber auch anschauen, was er im Interview mit der Bildzeitung gesagt hat genau zu der Frage, eben nicht mehr Muslime im Land haben zu wollen.

(Einspieler bei Minute 35.16, Text wird eingeblendet: Der einzige Ausweg für die, die Europa als christlichen Kulturkreis erhalten wollen, ist: nicht immer mehr Muslime hereinlassen)


Da ist zu sehen, was er sagt, aber ich möchte wissen, warum das wichtig ist. Sie sind Theologe, Herr Balog, und Sie sind evangelischer Pfarrer. Wie christlich verhält sich eigentlich Ihr Ministerpräsident, der sich doch sorgt um einen christlichen Kulturkreis?

Balog: Ich werde darauf antworten, aber erst einmal möchte ich meine Leute, meine Landsleute verteidigen.

Will: Nee, es geht um die Regierung. Ich habe gar nichts gegen Ihre Landsleute gesagt.

Balog:
Ich habe gehört, daß die Ungarn sich verändert haben

Will fällt ins Wort: Nein

Balog: und nicht mehr so freundlich sind wie sie waren damals

Will:
Ich habe nur nach der ungarischen Regierung gefragt

Balog: Damals, 1989, als die DDR-Flüchtlinge über Ungarn wollten. Ich war einer der Seelsorger in dem Lager und ich habe diese Leute bis zur Grenze begleitet und kann sowieso Deutschland ziemlich viel zu verdanken. Die Menschen haben sich nicht verändert und die Einstellung ist auch nicht verändert. Das Problem ist etwas anderes und das spricht hier vielleicht mit etwas überdeutlichen Worten unser Premierminister an, wo er - wie würden Sie das in Deutschland, daß das political correct ist, sagen? - Gleichgewicht, kulturelles Gleichgewicht, Balance

Assenborn fällt ins Wort: Sie wissen doch, was der deutsche Präsident gesagt hat?! Das wissen Sie doch!

Balog: Mein Problem ist, daß Sie keine Ahnung davon haben, was die Ungarn denken, was die Polen denken, was die Letten denken, und welche Geschichte sie durchgemacht haben. Das ist eine andere Geschichte und wenn man diese Geschichte nicht kennt und nicht versteht, eben die Geschichte der osteuropäischen Staaten, dann wird man auch unsere Zurückhaltung oder unsere Sorge oder unsere Angst nicht verstehen

Anne Will
fällt ins Wort: Ich verstehe es auch nicht. Herr Balog, wieviel Muslime haben Sie doch gleich in Ungarn? Wieviel Muslime haben Sie in Ungarn?

Balog:
Ein paar Tausend

Will: Das sind glaube ich 0,05 Prozent der Bevölkerung. Wieviel Muslime gibt es, denken Sie, in Europa? Das sind 6 Prozent. Wie könnte da eine Gefährdung des christlichen Kulturkreises dadurch passieren, daß wir mehr Muslimen, die auf der Flucht sind, die zu uns wollen, eine Chance geben, oder auch nur, denn das steht ihnen zu, Asyl gewähren?

Balog: Asyl für Flüchtlinge, die verfolgt sind, egal welcher Religion oder Rasse oder Ethnie sie angehören, muß man gewähren. Das ist eine Pflicht, nicht nur eine gesetzliche Pflicht, sondern dann auch eine moralische Pflicht. Und das tun wir auch. Ich kann Ihnen die Zahlen sagen, wieviele Leute bei uns Unterschlupf gefunden haben, nicht nur Christen, sondern auch Muslime. Familienzusammenführungen aus Afghanistan, aus Pakistan, hab selber diese Leute zum Teil betreut. Meine Kirchengemeinde engagiert sich da auch bei diesen Sachen. Aber ich glaube, daß das ist die Frage vor Ihrer Frage ist, ob ein Land innerhalb Europas innerhalb der Europäischen Union in der Lage ist, selber zu entscheiden, wen sie reinlassen wollen und wen nicht. Sie haben gesagt, Deutschland muß sich stark verändern

Göring-Eckardt, nickend: Wird

Balog: Wird, aber soll auch. Dieses Recht spreche ich Ihnen nicht ab (Göring-Eckardt fällt ins Wort). Dieses Recht spreche ich Ihnen nicht ab, daß Sie (an Göring-Eckardt) darauf hin arbeiten wollen. Und wenn ein Land sagt, wir wollen uns nicht verändern, wir wollen das, was kulturell-historisch da ist, nicht anders haben als bis jetzt, ist das unser Recht oder nicht? Und wenn das unser Recht ist, dann möchten wir dieses Recht auch

(Alle fallen ins Wort; schneiden ihm das Wort ab)

Assenborn: Ich weiß nicht (an Balog), ob Sie Pfarrer sind oder Seelsorger

Balog:
Ist auch nicht wichtig

Assenborn:
Doch, ist ganz wichtig für mich. Wenn Sie das so sagen, verstehe ich eigentlich nicht, warum Sie das auf die Religion schauen. Sie müssen doch das Bild sehen dieser Männer,dieser Frauen, dieser Kinder, die in den Trümmern von Aleppo herumlaufen, die an Ihre Tür klopfen kommen. Und dann bekommen sie dahingesetzt einen Stacheldraht. So. Und dann sagen Sie, wir gewähren denen Hilfe und Zuflucht. Ihr Ministerpräsident sagt doch genau das Gegenteil. Und Sie machen doch auch genau das Gegenteil. Und die UNHCR und die UNO-Kommission und viele andere sagen, nirgendwo in Europa, auch nicht in Serbien, auch nicht in Mazedonien werden diese Menschen, die an die Tür klopfen kommen, so schlecht behandelt wie in Ungarn. Da müssen Sie doch als Seelsorger, da müssen Sie doch einfach ticken und sagen, daß wir da Fehler machen! Vielleicht bringen Sie es fertig, diesen Fehler wieder zu korrigieren und wieder europäischer zu denken?!

De Maiziere:
Ehrlich gesagt, diese Sendung (an Assenborn) ich stimme dem zu, was du sagst, ich stimme dem zu, aber wir sitzen hier nicht, um über Ungarn Tribunal zu halten

Balog: Doch, ich dachte schon. Deshalb bin ich eingeladen worden

Will:
Nein

De Maiziere:
Nein, nicht, und deshalb denke ich, ist die Frage nach den Muslimen eine berechtigte Frage, aber ich würde anregen (an Will), Sie sind die Moderatorin, daß wir jetzt mal die Fokussierung auf Ungarn etwas beenden. Was die Frage der Muslime angeht, wir haben Milionen von Muslimen bei uns. Da sind Großartige, die ganz große Mehrheit leistet einen großartigen Aufbau unserer Gesellschaft. Natürlich gibt es da auch Probleme. Da sind Straftäter darunter. Wir haben Clans in bestimmten Gegenden, die glauben, rechtsfreie Räume sich erstreiten zu müssen, das ist alles wahr. Aber das irgendwie hier eine Überfremdung droht, daß wir Angst davor haben müssen, wenn wir hier friedlich mit Muslimen zusammenleben, das ist einfach Unsinn. Und ich bin evangelischer Christ wie Sie und ich muß mal sagen, die größte Gefahr wegen zurückgehender christlicher Prägung stammt nicht von den Muslimen, sondern weil wir vielleicht ein bißchen zu wenig Christen geworden sind.

Balog:
Damit bin ich einverstanden.

Göring-Eckardt:
Da würde ich gerne zustimmen, aber wenn wir in Deutschland christlicher wären, vielleicht auch in Europa, dann würden wir anders mit den Flüchtlingen umgehen, das ist relativ schlicht, dann würde Heidenau nicht in unseren Köpfen sein, als ein Ort, wo es brennt, wo Menschen auf ne Art und Weise furchtbar behandelt worden sind, wie ich es mir nicht vorstellen möchte. Das ist richtig. Wir würden wahrscheinlich auch mehr über unser Christentum wissen und vielleicht wissen wir bald mehr darüber, weil Muslime uns fragen. Aber, Herr Innenminister, wieso sitzen Sie hier und sagen, wenn das Stichwort Muslime fällt, da sind auch Verbrecher drunter? Unter den Christen auch! Die hier leben, ganz selbstverständlich! Und wenn man sich anguckt, welche Straftaten wir in Deutschland haben und wenn man sich das Verhältnis anguckt zu den Einwohnern, dann wird man sagen können, es gibt bestimmte Gruppen, aber die haben wir nicht nach Religion eingeteilt, welche, die Straftaten begehen und welche, die keine begehen. Ich finde diesen Zusammenhang herzustellen, hier zu sagen, unter den Muslimen gibt es gibt es auch Banden, ja, es gibt auch Banden unter sekulären Deutschen. Warum eigentlich? Das ist doch Angstmache, das ist doch genau das Ressentiment, was geschürt wird.

De Maiziere:
Das ist Normalität, wenn man bestimmte, auch soziale Probleme anspricht in Deutschland unabhängig von der Frage, ob er einer bestimmten Religion angehört oder nicht und daß wir bestimmte Großclans haben, libanesische Großclans, die glauben, einen rechtsfreien Raum sich erstreiten zu können, das ist unstreitig. Und das sind nun einmal Muslime. Das ist nun mal so. Daß wir Gangs haben, die dort problematische Sachen machen, ist auch wahr. Und daß wir Salafisten im Land haben, die junge Menschen radikalisieren und in den Terrorkampf nach Syrien schicken, das ist auch wahr. Und das muß auch angesprochen werden und zwar zum Schutz der friedlichen und tüchtigen und großartigen Muslime, die in unserem Land leben.


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