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"Die Juden sind schuld" - am Bolschewismus. Über diese These wurde vor, während und nach Hitler diskutiert. Pausiert wurde kurz, und jetzt wird wieder diskutiert. Aufgeregt, aufgehetzt, aufgebracht, also landesüblich. Wie war es wirklich?

Natürlich gab es in der frühen kommunistischen Bewegung Osteuropas, besonders in Russland, relativ viele Juden. Warum auch nicht? Nichts hatten "die Juden" dem russischen Zarenreich zu verdanken. Bis auf dies: Verleumdung, Verfolgung, Vernichtung. Traurige Höhepunkte in der späten Zarenzeit waren die Pogrome der Jahre 1881/82 und 1903. Im russischen liberalen Bürgertum schwiegen die meisten, manche weinten, keiner half wirklich. Was hätte daher "die Juden" mit der russischen Bourgeoisie und Aristokratie verbinden sollen? Nichts. Mit dem entstehenden Proletariat aber gar manches. Vor allem der Wunsch, den Albtraum zaristischer Unterdrückung zu beenden. Bedenkt man das alles, staunt man darüber, dass der Anteil russisch-jüdischer Sozialrevolutionäre, Sozialisten und Kommunisten bis 1917, dem Jahr der bolschewistischen Revolution, nicht weit höher war.

Doch erstens wollten die meisten russischen Juden eine bürgerliche Gesellschaft errichten und gleichberechtigte Bürger werden. Zweitens wollten und konnten die meisten - in der Regel sehr religiösen - Juden mit dem militanten Atheismus der Sozialisten und gar der Kommunisten nichts anfangen. Als gotteslästerlich verwarfen, verdammten und verbannten sie ihn. Deshalb waren sozialistische und kommunistische Juden von der innerjüdischen Mehrheit geächtet.

Dennoch gab es namhafte jüdische Kommunisten vor der Oktoberrevolution und während des Umbruchs. Leo Trotzki ist der bekannteste. Stalin ließ ihn später im mexikanischen Exil ermorden. Womit wir mitten in der zweiten Phase der jüdisch-bolschewistischen Beziehungen wären. In der ersten liebte eine jüdische Minderheit den Kommunismus glühend. Sie verglühten bald. Genauer: Einen nach dem anderen ließ Stalin seit 1923/24 ermorden.

Sein Vorgänger Lenin, ebenso wie Stalin wahrlich kein Jude, hatte unmittelbar nach der Machtergreifung 1917 "die Juden" als unsichere Kantonisten beobachten und systematisch verfolgen lassen. Ihre Religiosität machte sie zu "Feinden des Kommunismus". Auch sozialistischen Juden misstraute er. Sie fühlten, so Lenin und die meisten anderen frühkommunistischen Führer, zu "jüdisch-national" und nicht genügend "internationalistisch", sprich zuverlässig kommunistisch.



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