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  1. #1
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    Vopti

    Alexandra, hörte Gerald Marta ihm ins Ohr flüstern, arbeite ungenau. Ob er denn nicht bemerkt habe, daß die Kampagne für die Produktreihe Vopti nicht gerade eine Meisterleistung sei. Gerald schüttelte den Kopf. Er wandte seine Blicke nicht von der Tastatur ab.

    Marta war beharrlich. Gerald ließ ihre Annäherungen nicht zu, was sie immer heftiger anzustacheln schien. Er fühlte wie ihre Blicke über seine Statur glitten.

    Der Abteilungsleiter betrat das Büro, bat Marta, ihm bei der Kontrolle der Verkaufszahlen der Vopti-Produktpalette zu helfen.
    „Endlich“, meinte Marta, „das liegt mir schon länger im Magen! Alexandra ist ja so nachlässig!“

    Gerald kratzte sich an der Wange. „Nicht einmischen, nur nicht einmischen!“, dachte er und ließ seine Augen am Bildschirm verweilen. Er rieb an seinem Spitzbart. Der Abteilungsleiter hatte mit Marta den Raum verlassen. Gerald ließ die silbergrauen Jalousien herunter, da sich die Wolken verzogen hatten und die Sonne in das karge Büro strahlte. Seufzend vergrub er sein Gesicht in den Händen. Ausgerechnet heute, dem Tag, als die Kontrolle, sowie die Überprüfung der ausgearbeiteten Berichte des Dolce Veleno Parfums besprochen wurden, war Alexandra auf dem Begräbnis ihrer Großmutter.

    Abgespannt saß er auf seinem grauen Drehsessel, die Ellbogen auf die spiegelglatte Oberfläche des grau lackierten Schreibtisches gestützt. Unzählige Überstunden, selbst so manches Wochenende hatte er zusammen mit Alexandra verbracht, um die angeordnete Kampagne für die Vopti Serie auszuarbeiten, die Verkaufszahlen und Umfragenergebnisse zu analysieren. Kosmetik verkaufte sich schlecht in Krisenzeiten.

    Marta betrat den Raum. In ihre Stirn hatten sich kämpferische Falten eingekerbt.

    „Alexandra ist noch nicht da, der Chef will euch sehen“, sagte sie in schrill keifendem Ton.
    „Vopti ist ja nicht gerade ein Marktschlager“, fügte sie genußvoll hinzu.
    „Erzwingen“, meinte Gerald, „erzwingen kann man nichts!“

    „Na ja, war halt die falsche Strategie, vielleicht zu viel Schlendrian bei der Beobachtung der Verkaufszahlen, Ungenauigkeiten bei der Analyse, na ja!“

    Gerald litt darunter, daß Marta Alexandra haßte. Alexandra war sehr hübsch, hatte dunkelblondes Haar im zu ihrem Typ passenden Bubikopfschnitt, kleidete sich mit Geschmack, sprach fließend Italienisch. Er war angetan von Alexandras Schüchternheit, ihrem bescheidenen Wesen, ihrem oft schamhaften Lächeln, wenn ihr einmal, was selten vorkam, ein Kompliment gemachte wurde, ihrer Hilfsbereitschaft, die sie beliebt machte.

    Martas Bescheidenheit wirkte im Gegendsatz dazu in Geralds Augen aufgesetzt, bigott, anerzogen. Er verabscheute ihr freundlich aufgesetztes Lächeln, mit dem sie ihre Opfer zu umgarnen pflegte, versuchte in Sicherheit zu wiegen, bis sie Gerüchte verbreitete und ihre Anschuldigungen jedem erzählte, dem sie habhaft wurde.

    Alexandra traf im Büro ein. Das Begräbnis hatte sie augenscheinlich arg mitgenommen, hatte sie doch bei ihrer Großmutter einen guten Teil ihrer Kindheit verbracht, wie sie ihm wiederholte Male erzählt hatte. Er suchte nach Worten der Aufmunterung, doch konnte sich nicht dazu durchringen, etwas zu sagen.

    Die beiden blickten einander wortlos als Marta mit ihrem „Der Chef will was von euch!“ die stickige Luft im Büro durchschnitt.
    Alexandra zog ihre Augenbrauen zusammen, blies den Atem mit geblähten Wangen aus.
    „Es geht um die schlechten Verkaufszahlen der Vopti-Palette!“ Martas boshaftes Lächeln.
    Alexandra ging hinaus auf die Toilette.

    Unentwegt auf Gerald starrend, stand Marta neben der Türe.
    „Aber an dir liegt’s doch nicht, ich kann das beurteilen!“ Sie ging auf Gerald zu, stellte sich hinter ihn, legte einen Arm um seine Schultern, mit der Hand strich sie ihn um den Bart. Gerald zuckte sofort zurück, drehte sich angewidert mit dem Sessel von ihr weg, tippte emsig Zahlen in die Tastatur. „Ihr solltet jetzt rein“, meinte Marta, als Alexandra zurückgekommen war.

    Herrn Komareks Mine war sehr ernst, als Gerald und Alexandra vor ihm standen. Er wies ihnen mit einer Handbewegung, sich zu setzen. „Die Zahlen“, brummte der Abteilungsleiter, „sind sehr schlecht. Frau Marta Voitek hat mit mir alles ganz genau analysiert. Wir sind die Mängel durchgegangen.“
    Gerald bemerkte, wie Alexandras Miene erstarrte.

    „Es tut mir sehr Leid, aber ihre Dienste werden nicht mehr gebraucht. Frau Voitek wird die in Zukunft stark verschmälerte Vopti-Palette übernehmen.“

    Alexandra stand auf, sprach kein Wort. Gerald blieb noch einen Augenblick im Plastiksessel sitzen, nestelte am Ärmel seines Sakkos.
    „Gut, das wär’s, also am Fünfzehnten bekommen sie das Schreiben! Im Namen von Mukus Cosmetics, danke ich für ihre wertvolle Mitarbeit!“

    Der Abteilungsleiter drückte den beiden noch die Hand.

    „War’s schlimm?“, Martas gespielt mitfühlender Ton, als die beiden wieder im Büro erschienen.
    Gerald schwieg, betrachtete Alexandra wie sie die Augen verdrehte, ein paar Zettel, sowie den versilberten Füllfederhalter in ihre Handtasche steckte und den Raum verließ.

    „Wart auf mich!“, stotterte er knapp hervor.
    Marta zupfte ihn am Ärmel.
    „Vielleicht kann ich noch was glatt bügeln für dich“, flüsterte sie.
    Gerald zog den Ärmel von ihren Fingern los, verließ grußlos den Raum, knallte die Türe hinter sich zu.

    Er spürte wie sich sein Gesicht erhitzte, als er aus dem Haupttor des Gebäudes ging. Alexandra stand am Gehsteig, die Handtasche an der Unterseite mit ihren Fingern fest umkrallt gegen den Bauch haltend, stampfte abwechselnd von einem Fuß auf den anderen.

    Gerald stellte sich neben Alexandra.
    „So eine elende Drecksau“ schnaubte er.
    Alexandra schüttelte entmutigt den Kopf.
    „Wir sind zu gut für diese Welt!“, flüsterte sie, „Komm, gehen wir was trinken oder zu mir, hab was im Eiskasten!“
    Gerald willigte in die Einladung ein. Alexandra wohnte im vierten Bezirk nicht weit von der Innenstadt.

    Die beiden saßen Alexandras winziger Küche, hohe Altbauwände, Flügelfenster mit Holzrahmen. Zwei Bierdosen zischten beim Öffnen. Sie schwiegen.
    „Und jetzt?“, Gerald sprach sehr leise, musterte die weiße Tischplatte, die geblumte Plastikunterlage mit dem Krug, in welchem ein paar welke Margariten ihr Leben beendeten.

    „Weiß auch nicht, wird schwierig! Ich hab das eh schon öfter durchgemacht!“ Alexandra blickte auf die welken Blumen. Alexandra nahm zwei große Bierdosen aus dem Eiskasten, stellte sie auf den Tisch und öffnete sie. Geralds schmunzelte, als er sie einen großen Schluck aus der Dose nehmen sah, noch bevor sie sich setzte.
    Am liebsten, meinte sie, würde sie ihr bisheriges Leben hinschmeißen, gar nichts mehr arbeiten, in die Südsteiermark ziehen, dort ein Landleben führen. Sie habe, erzählte sie, ja immer irgendwelche „Voiteks“ erlebt.
    „Die hat mich begrabscht! Widerlich! Ausgerechnet am Bart, wo ich besonders empfindlich bin! Mir hat so gegraust!“

    „Die wollt mit dir...“ Alexandra verkniff sich, den Satz zu Ende zu sprechen.
    Gerald bereitete das Thema großes Unbehagen, da ihm vor Martas Annäherungsversuchen geekelt, er sich geschämt hatte.
    „Hätts’t was gsagt!“, fuhr Alexandra fort.
    „Alexandra ich bitt dich! Und wem, dem Chef vielleicht? Grad dem Komarek, nein! Gstunkn hat’s auch die Vettel, wie’s ma da immer so zugrabbelt is!
    „Hör, auf! Widerlich!“ Alexandras Miene verzog sich vor Ekel.
    „Laß ma das!”, sagte er.

    Er hörte Alexandra zu, ausgebrannt fühle sie sich, leer und angewidert von allem, nutzlos, unfähig, zu nichts zu gebrauchen, überfordert, dem Leben nicht gewachsen. Alexandra sprach langsam ruhig, an manchen Stellen jedoch überschlug sich ihre Stimme.

    Gerald hörte sich selbst erzählen, er habe schreckliche Versagensängste, Angst, der kleinste Schnitzer könne ihn aus der Bahn werfen, daß er auch oft daran gedacht hätte, ein neues Leben anzufangen, er sich selbst oft dermaßen unter Druck setze, um zu entsprechen, daß es ihm oft den Schlaf raube.
    „Meine Nerven“, erzählte Alexandra, „sind auch oft nah am zerreißen.“

    Er strich sich über seinen Spitzbart, nippte an der Bierdose.
    „Magst nicht ein Glas haben?“, hörte er sie fragen.
    „Was braucht a Arbeitsloser a Glas!“
    „Diese Marta Voiteks, machen mich fertig. Hab’s bis jetzt nie geschafft, damit klarzukommen.“ Alexandra schüttelte den Kopf.

    Seine Exfreundin, lachte er, habe ihn nach dem ersten Verlust der Arbeitsstelle verlassen, es wäre ihr zu unsicher bei ihm gewesen.
    „Wo warst’n vor Mukus?“
    „Bei einer Computerfirma, die haben dann dicht gemacht! Schulden hab ich wegen der Wohnung, da muss ich dazuschaun!“

    Er spürte ein sanftes Streichen über seine Wange, schloss während der Berührung die Augen. Sie nahm einen großen Schluck aus der Dose, begann von ihrer Schulzeit zu erzählen. Gerald bemerkte, wie sie das Wort ‚damals’ beinahe verschluckte.
    „Das war was! Minderbegabt haben sie gsagt!“
    Schließlich, sei sie später auf der Universität eines Besseren belehrt worden.
    „Aber da hast ja gesehen, daß’t was kannst“.
    „Das haben sie mir so eingetrichtert! Ich hab mich immer deppert gefühlt!“ Alexandra seufzte.

    Gerald erzählte über seine ohne Schwierigkeiten verlaufene Schulzeit, das Studium, das glatt vonstatten gegangen sei bis zum Bundesheer, die erste Stelle, Kündigung, die Computerfirma und schließlich Mukus. Er hörte seine eigene Geschichte als ob ein Unbeteiligter sie erzählen würde. Nur als er über seine stetigen Ängste nicht zu entsprechen, zu versagen sprach, war es als würde er selbst darüber sprechen.
    „Die Ex war sehr ehrgeizig!“, fügte er hinzu.

    Auf der Universität, erzählte Alexandra, habe sie eine beste Freundin gehabt. „Erna hat sie geheißen, hat aber dann geheiratet. Die hat net fertig gemacht. Da hab ich sie nimmermehr gesehen!“

    Alexandra fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, rieb an ihrer Nase, senkte den Kopf, lächelte verschämt. Gerald sah sie an. Er streckte seine Hand aus, ganz langsam. Alexandra ließ seine schüchterne Hand sich nähern, bis er fühlte wie ganz sanft die Finger der beiden sich ineinander verflochten. Ihr verlegenes Lächeln.

    „Wir haben uns eigentlich nie richtig kennen gelernt.“
    „Das holen wir jetzt nach“, brummte Gerald sanft.

    Es war spät geworden. Alexandra schlug vor, daß er am Sofa schlafen könne. Gerald dachte kurz nach, lehnte ab. Als sie an der Türe standen, sah er ihr tief in die Augen, nahm sie plötzlich in seine Arme, drückte sie fest. Er fühlte wie Alexandra sich fallen ließ, drückte sie fester, wog sie in seinen Armen. Weinen platzte aus ihr heraus.
    „Meine Oma...“
    In den rauen Stoff seines Sakkos, flossen all die Angst, all die Wut, die Enttäuschung, die Trauer über die verstorbene Großmutter.
    „Nicht aufhören“, hörte er sie mit erstickter Stimme wispern.
    „Ich bleib doch über Nacht!“, flüsterte er ihr ins Ohr.
    „Ja, bleib!“

  2. #2
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    AW: Vopti

    @Schurli, ich wiederhole mich aber du hast literarisches Talent. Es geht doch hoffentlich noch weiter?
    Alle Texte, die keine Quellenangaben haben, stammen von mir.

  3. #3
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    AW: Vopti

    Gefällt mir, aber wo ist der Zusammenhang mit unserem CHat?

  4. #4
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    AW: Vopti

    Voiteks gibt es wahrlich allüberall. Auch der Vorname Marta ist gut gewählt wie auch die falsche Bescheidenheit, die vor einem Chef zur Schau getragen wird, lange genug, damit er nicht mitbekommt, welche Dominanz sie entwickeln kann und mit welchen Intrigen sie seine Firma steuert (nicht gerade zu deren Vorteil). Diese Figur ließe sich weiter aufarbeiten. Nur eine kleine Unstimmigkeit gibt es: Zwar ist eine Marta gerne die Umgarnte, wird aber ihr Netz um den Chef spannen. Zurückweisungen würde eine Marta auch härter verfolgen, was der Dominanz ihrer Rolle entspräche wie auch dem Credo: Jeder, der nicht für mich ist, ist gegen mich. Und: Keiner darf größer werden als ich.

  5. #5
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    AW: Vopti

    Ich denke gerade noch über die Beziehung Voiteks und des Chefs nach. Wichtig ist in diesem Fall, daß der Chef ein Mann ist und Voitek eine Frau. Ebenfalls muß der Chef ein patriachalisches Weltbild mit nicht allzuviel Kontakt zu Frauen haben, dafür aber einer festen Vorstellung, wie eine Frau zu sein hat. Eine Voitek wird immer versuchen, diesem Schema zu entsprechen, ohne dies eigentlich auch nur annähernd zu erfüllen. Ein solcher Chef hat keine klare Führungsstärke, sondern benötigt zum Umsetzen schwieriger Entscheidungen und zur Stärkung seiner Position unbedingt einen Schatten an seiner Seite, idealerweise in Frauenbesetzung. Ebenfalls hat ein solcher Chef hat meist keine Schwestern, dafür aber eine Frau, die von dem geschäftlichen Alltagsleben weit entfernt ist und dort entweder keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wir finden dieses Modell auch schon in der Vergangenheit zum Beispiel in der Beziehung von Helmut Kohl und Angela Merkel, wobei die Ehefrau Hannelore dem Idealbild einer Gattin dieses Menschentyps entspricht und doch nicht dem Frauenbild, das eine Angela Merkel verkörpert. Frauen haben in der Welt solcher Männer nichts verloren und gewinnen dennoch ungeheure Macht, wenn sie als kleines Mädchen fast schon in der Rolle einer Tochter, die ihm den Aktenkoffer in aller Ergebenheit trägt, an seiner Seite im Geschäftsleben fungieren. Gesellschaften, die kurz vor der Abwicklung stehen, kennen oft auch solche Führungsduos. Merke!

    (Merkel)

    Wenn sie diese Macht dann haben, servieren sie den Alten unbarmherzig ab und alle, die ihnen im Weg standen, der Macht im Weg stehen oder die sie nicht leiden können. Was danach kommt, ist meistens keine Erfolgsgeschichte mehr, dafür aber eine erfolgreiche Buchführung über einen begrenzten Zeitraum.

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