In Deutschland keine Schlagzeile wert

[Turmfalke]

und anderswo Headline:

Gunmen Kidnap Ex-Premier's Son in Pakistan

LAHORE, Pakistan—Gunmen on Thursday kidnapped candidate Ali Haider Gilani—the son of a recent Pakistani prime minister—as he campaigned for Saturday's election, in the latest attack to mar a vote that is shaping up to be the bloodiest in the country's history.
No one claimed immediate responsibility for the attack, which left one person dead when gunmen seized Mr. Gilani in the city of Multan in southern Punjab, where he was at a rally to support his provincial legislature bid.

The Pakistani Taliban have repeatedly said they would target politicians from the three secular-leaning parties of the outgoing government coalition. Such attacks over the past month have left more than 100 people dead...


Gunmen on a motorcycle attacked the younger Mr. Gilani and gunned down his secretary before escaping with their captive, said Malik Deharr, a prominent PPP official in Multan who served in the outgoing Punjab provincial legislature...

http://online.wsj.com/article/SB1000...954337120.html

Ich bin mal gespannt, wann die deutschen Medien von diesem Großereignis berichten, bei dem ein paar Menschen, wie gerade die CNN-Nachrichten berichten, getötet wurden.

[Realist59]

Habe ich gestern bei Google News gesehen aber im Videotext der ARD kam es nicht.

[Turmfalke]

Es kommt immer noch nix. Nur, wenn man weiß, daß es die Meldung gibt, kann man sie als Randnotiz irgendwo ganz versteckt in manchen deutschen Medien googlen.

[Realist59]

Es könnte ja ein schlechtes Licht auf die lieben Muslime werfen. Es würde schon merkwürdig klingen, wenn unsere Medien von Südländern als Täter sprechen würden

[Turmfalke]

Na, ja, es ist ja nicht so, daß Pakistan in der deutschen Medienwelt nicht vorkommt oder keine Rolle spielen würde. Zeitgleich mit den dramatischen Ereignissen in Pakistan veröffentlichten deutsche Medien solche Artikel wie "Mutige Frauen in Pakistan", in denen es um Emanzipation ging.

Heute endlich erreicht ein Artikel das deutsche Leserpublikum und findet sich leicht im Google-Nachrichtenüberblick, ein Artikel, aus dem man schließen könnte, die Muslimbruderschaft sein ein Traditionsverein für ältere Väter und die Jungen huldigten einem sportlichen Superstar, also, alles halb so schlimm, ja, man hat den Eindruck, es handele sich hier um ein zivilisiertes Land, in dem westliche Neuerungen nur nicht so schnell ankommen, aber nur eine Frage der Zeit sind, selbstverständlich auch unter der Muslimbruderschaft.

Parlamentswahl in Pakistan Cricket-Idol fordert die Muslim-Liga heraus.


Pakistan wird wählen, aller Gewalt religiöser Extremisten zum Trotz. Viele glauben an ein Duell sehr verschiedener Männer: Auf der einen Seite steht Nawaz Sharif von der Muslim-Liga. Sein Gegner ist "Captain" Imran Khan, Chef der "Bewegung für Gerechtigkeit" und früherer Cricket-Star. Der Neuling verkörpert die Träume der erwachenden Jugend.


Ein Riss geht durch viele pakistanischen Familien, ein tiefer Riss. Die Studentin Sidra Zaheer weiß das ziemlich genau. Ihr Vater wird wieder so wählen, wie er es immer getan hat. Niemals käme er auf den Gedanken, sein Kreuz auf dem Wahlzettel bei einer anderen Partei zu setzen. Er hat, der Familientradition folgend, stets für die Muslim-Liga von Nawaz Sharif gestimmt, dem zweimaligen Premierminister. Einmal Sharif, immer Sharif.
Aber die Tochter sagt: "Ich wähle einen anderen, ich stimme für Imran Khan." Das ist der frühere Cricket-Kapitän und Superstar der Jugend, der nun die pakistanische Politik aufmischt. Und weil die Aufmüpfigkeit der Tochter noch nicht ausreicht, hat sie auch noch ihre Mutter überredet, die nun ebenfalls für Khan stimmen will...

http://www.sueddeutsche.de/politik/p...liga-1.1670072

Liest man in einer so renommierten Zeitung wie der Süddeutschen, die zudem noch eine Monopolstellung innehat. Wenn der Leser bis zu diesen Zeilen gekommen ist, hat sich bei ihm oben beschriebener Eindruck gefestigt, daß in Pakistan bestenfalls ein Generationenkonflikt schwelt. Ein zivilisiertes Land mit einer ausgeprägten Bürgerschicht voller konservativer Eltern, von denen die Mütter am ehesten ausbrechen, und Kindern, die ihre Kinder studieren lassen.

Die Headline der CNN, die völlig andere Bilder beschreibt, ist in dieser seltsamen Welt, in der man es sich in Ohrenbackensesseln vor dem Bücherregal bequem macht, weit, weit weg.

[Realist59]

Es sind ja diese Meldungen, die den Deutschen bewusst in die Irre führen. Das Pakistan auf der Kippe steht, kommt hier nicht vor. Als Benazir Bhutto damals an die Macht kam, wurde das hier als Beleg für die Demokratie in Pakistan gewertet. Das Bhutto korrupt war und Staatsgelder in Milliadernhöhe für ihre Familie abgezweigt hat, war schon nicht mehr die rede wert. Ich gehe jede Wette ein, dass der umjubelte Sportstar Khan, sollte er die Wahl gewinnen, ebenfalls in kurzer Zeit zum Milliardär wird.

[Turmfalke]

Du glaubst doch nicht etwa daran, daß ein Sportstar, ein Säkulärer, die Macht gewinnt? Nein, der Fortgang war heute und der Sieger war ein Radikalmoslem. Und auch hier sieht man mal wieder, wie Falsches in die Köpfe der Leser implantiert wird. Dieser Sieg eines Radikalmoslems wird nämlich als Sieg gegen die Taliban verkauft und es wird so getan, als ob es tatsächlich ein funktionierendes Parlament im westlichen Sinne geben könnte, wenn es heißt, daß der zweite Wahlsieger eben dieser Sportstar war (nicht mehr die Rede davon, daß er weit abgeschlagen steht, denn sonst wäre der Sieg für den Radikalmoslem ja nicht "erdrutschartig" gewesen).

Schon die Überschrift suggeriert Positives:

Sharif vor Erdrutschsieg in Pakistan"Der Tiger brüllt wieder" Nawaz Sharif war bereits im Exil in der politischen Bedeutungslosigkeit versunken. Nun wird der "Tiger" wohl zum dritten Mal Premierminister Pakistans werden. Der untätigen Regierung verpassen die Wähler eine schallende Ohrfeige - den Taliban ebenso.

Und im harmlosesten Berichterstatterton geht es weiter. Von Maskottchen liest man, und wo Maskottchen im Spiel sind, kann es ja nicht fundamental zugehen. Moslembrüder und Taliban haben doch keine Maskottchen!:

Das Symbol von Nawaz Sharifs Muslim-Liga (PML-N) ist der Tiger. Als Maskottchen auf Kundgebungen vor der Parlamentswahl diente ein echter weißer Tiger, der einem Sharif-Fan gehört und dessen Tod die Zeitung "Dawn" kürzlich meldete. Ein schlechtes Omen, so schien es. Doch dann recherchierte die britische BBC, dass das Tier trotz Wahlkampf-Strapazen noch lebt. Als unverwüstlich hat sich auch Sharif erwiesen, der schon zweimal Premierminister Pakistans war - und dessen konservative Partei nach inoffiziellen vorläufigen Ergebnissen einen Erdrutschsieg bei der Parlamentswahl einfahren dürfte

Echter, weißer Tiger: Das klingt ja schon fast nach Hollywood, Las Vegas und Siegfried und Roy...

aber nicht nach Moslembrüdern und Taliban!

Und nun kommt doch ein Fünkchen Wahrheit hoch, allerdings unkommentiert und so erfährt der Leser nicht, warum gegen den Radikalmoslem seitens des Militär geputscht wurde.

"Der Tiger brüllt wieder", titelte die Zeitung "Dawn". Kämpferisch hatte sich Sharif schon als Regierungschef 1990 bis 1992 und 1997 bis 1999 gezeigt, als er sich wahlweise mit der mächtigen Armee oder dem Verfassungsgericht anlegte. 1992 wurde er vom damaligen Präsidenten und dem Militär aus dem Amt gedrängt, offizieller Grund waren Korruptionsvorwürfe. 1999 putschte der von Sharif eingesetzte Armeechef Pervez Musharraf gegen den Premier. Sharif ging im Jahr darauf ins Exil nach Saudi-Arabien. Lange Zeit verstummte der Tiger. Doch nach seiner Rückkehr in die Heimat 2007 arbeitete Sharif stetig daran, seine Macht wieder auszuweiten.

Man wird aber den Eindruck nicht los, daß ein Regierungschef, der sich mit dem Militär UND dem VERFASSUNGSGERICHT anlegt, weltliches Gesetz gegen die Komplettscharia ersetzen wollte. Dazu paßt auch, daß er seinem Sturz nach Saudi-Arabien ins Exil ging.


Übrigens wußte der Herr, daß er gewählt werden würde (zumindest im angelsächsischen Nachrichtenraum weiß man von massiver Korruption, von Drohungen und Behinderungen, Morden und Entführungen), was die deutschen Medien dann so kommentieren:

Mit Erfolg, wie Sharif nun eindrucksvoll bewiesen hat. Noch während der Auszählung der Stimmen erklärte er sich zum Wahlsieger. "Wir müssen Gott dem Allmächtigen dafür danken, dass er der PML-N eine weitere Möglichkeit gibt, Pakistan und der Nation zu dienen", sagte der mutmaßliche künftige Premierminister vor Anhängern in seiner Heimatstadt Lahore. "Jetzt betet, dass Gott uns mit einer (absoluten) Mehrheit segnet." Ob dieses Gebet erhört wird, war zunächst noch offen. Nach inoffiziellen vorläufigen Ergebnissen steuerte die Partei - die 2008 nur 69 der 272 Sitze gewonnen hatte - aber auf einen spektakulären Sieg zu.

Ich bitte den Leser, Gott durch Allah zu ersetzen, denn er rief ja tatsächlich "Allah". So ergibt sich ein besseres Bild von dem zukünftigen pakistanischen Ministerpräsident.

An zweiter Stelle landete demnach die Partei Tehreek-e-Insaf (Bewegung für Gerechtigkeit/PTI) von Kricket-Legende Imran Khan, der den Wahlkampf kräftig aufmischte und nun eine gewichtige Rolle in der Politik spielen wird. PTI-Vizepräsident Asad Umar gratulierte Sharif und sprach von einem "großen Tag für die Demokratie".

http://www.n-tv.de/politik/Der-Tiger...e10629291.html




Hier wird dem Leser Sand in die Augen gestreut. Es soll suggeriert werden, ein Oppositioneller könne zukünftig "eine gewichtige Rolle in der Politik" spielen. Es folgen im Artikel dann weitere Erörterungen, ganz im Sinne westlicher Berichterstattungen bei Wahlen zum Beispiel in Deutschland, warum, weshalb derjenige gewählt wurde, daß eine Wiederwahl der vorigen Partei unwahrscheinlich sei (was perfektes Sand-in-die-Augen-streuen ist, den Leser aber in die Lage versetzt, diesen Satz in die nächste Gesprächsrunde als Beweis seiner Kenntnisse und seines differenzierten Denkens zu streuen, intellektuelle Luftblasen sozusagen), und es entsteht der Eindruck, der hier in Deutschland entstehen soll: Der Ministerpräsident ist gut für das Land, das Land ist eigentlich ein demokratisches, schon fast westliches, alles ist halb so schlimm und irgendwie erklärbar und es gibt keinen wirklichen, gefährlichen Fundamentalismus, der an die Macht streben könnte, nicht in Pakistan.

Nur eines erwähnt der Artikel nicht: Pakistan hat die Atombombe.

Pakistan ist Schätzungen zufolge im Besitz von 60 bis 100 Sprengköpfen, die über das Land verteilt gelagert sein sollen - überwiegend im westlichen Teil des Landes, in sicherer Entfernung vom Erzfeind Indien. Doch gerade der Westen, entlang der Grenze zu Afghanistan, ist heute der besonders instabile Teil des Landes.

http://www.spiegel.de/politik/auslan...-a-688072.html