Ein Artikel der Frankfurter Rundschau und Kybeline wieder ( wie immer ) mitten drin.


21. Juli 2012
Jahrestag des Norwegen-Attentats Breiviks deutsche Geistesbrüder

Von Steven Geyer Beten und fasten: Der Ramadan hat begonnen, ein Muslim liest in einem Koran. Foto: AFP


Auf die meisten Deutschen wirkt Breiviks Bekenner-Pamphlet verstörend - doch es gibt Ausnahmen in rechten Internetforen. Leser von Politically Incorrect bescheinigten dem Breivik-Text die Qualität einer "Doktorarbeit".





Als vor einem Jahr die Motive bekannt wurden, die der Norweger Anders Behring Breivik dafür anführte, am 77 Menschen ermordet zu haben, war nicht jeder in Deutschland überrascht. Sein Bekenner-Pamphlet voller Hasstiraden auf Islam, „Kulturmarxismus“ und EU („EUdSSR“); voller Symbolik und Rhetorik christlicher Kreuz- und Tempelritter; seine Aufrufe, sich gegen die „Islamisierung Europas“ mit Waffen zu „wehren“ – auf die meisten Deutschen wirkte das fremd bis wahnsinnig. Aber eben nicht auf alle.

Breivik sei „jemand, der Eier in der Hose hat und nicht nur geredet hat, sondern auch zur Tat griff“, befand einer der Macher des Online-Zentralorgan der Rechtspopulisten, Politically Incorrect (PI), im internen Skype-Chat. Nur Stunden nach der Tat erkannten seine ersten Fans ihn so als einen „in Norwegen, der sich gegen die Übermacht der Linken und Muslims gewehrt hat“.

Diese Deutung ist seitdem weit verbreitet auf islamophoben Websites, in Foren und Breivik-Fangruppen auf Facebook, die es bis zu ihrer Löschung auf mehr als 5500 Fans brachten. PI-Leser bescheinigten dem Breivik-Text die Qualität einer „Doktorarbeit“, und die damalige Co-Chefin der Website, die Schweizer Pfarrerin Christine Dietrich bestätigte: „Was er schreibt, sind großenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten.“

Schon nach den Morden fürchtete sie, auch die deutschen Agitatoren der tatsächlich weitgehend identischen Ideologie müssten nun Strafverfolgung fürchten. Hatte ihnen bis dato geholfen, sich als Verteidiger des Grundgesetztes, westlicher Werte und jüdischer Interessen zu geben, verlor das nun an Wirkung, da auch Breivik sich bis heute so sieht.

Erstmals im Verfassungsschutzbericht des Bundes

Die Sorge war berechtigt: Nicht nur die Politik, auch die Strafverfolgungs- und Verfassungsschutzbehörden und auch die Gerichte haben inzwischen die Gefahr der Szene erkannt.

Tauchte das Stichwort „Islamfeindlichkeit“ im Jahresbericht 2009 bei seiner ersten Nennung überhaupt noch ausschließlich auf, weil beobachtete Islamisten gegen Deutschland mit diesem Vorwurf Stimmung machten, und 2010 allein als Agitations-Strategie der neonazistischen NPD, so widmet sich die Behörde der antimuslimischen Ideologie im frisch vorgelegten Bericht ein ganzes Unterkapitel neben Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus


Zunehmend werde von „Rechtsextremisten“ aller Couleur Islam und Terrorismus „aus ideologisch-taktischen Gründen“ gleichgesetzt, um Fremdenfeindlichkeit als Sorge um die Sicherheit in Deutschland zu verbrämen. „Im Gegensatz zu legitimer und durch die Meinungsfreiheit gedeckter Islamkritik missachten Rechtsextremisten in ihrer islamfeindlichen Agitation die Menschenwürde und sprechen den Betroffenen das Recht als gleichwertige Persönlichkeit in der Gemeinschaft ab“, schreiben die Verfassungsschützer. Muslime würden „als nicht integrierbar dargestellt“, man spreche ihnen verfassungsgemäße Grundrechte ab, „etwa den Gleichheitsgrundsatz oder die Religionsfreiheit“.

„Ein spektakuläres Attentat“


Beispielhaft zitiert wird die ominöse Geheimgruppe „Die Reichsbewegung“, die seit Monaten Hunderte anonyme Briefe verschickt und offenbar eine Schnittmenge aus Neonazis und „neuen“ Islamhassern darstellt. Breivik nennen sie „einen gegenüber der übermächtigen Zwangs-Multikultisierung und -islamisierung sich ohnmächtig fühlenden Verzweiflungstäter, der keinen Ausweg mehr gesehen hat, auf die ungeheuerliche Verdrängung der Muslime- und Multikulti-Problematik in seinem Land aufmerksam zu machen, als durch ein solch spektakuläres Attentat“.

Prototypisch für die deutsche Szene ist auch „Aufruf zum Widerstand gegen das politische Establishment“ des Bloggers Karlmichael Merkle, der als „Michael Mannheimer“ die Bürger zum „Widerstand gegen die Islamisierung“ und „ALLE politischen Parteien“ aufrief: „Greift zu den Waffen!“, schrieb er – vier Monate, bevor Breivik sich auf denselben Notwehr-Gedanken berief.

Inzwischen, so teilte das Amtsgericht Heilbronn auf Anfrage mit, wurde Merkle wegen Volksverhetzung zu 2500 Euro Geldstrafe verurteilt, da er „zum Hass gegen eine religiöse Gruppe aufstachelt und zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie aufgefordert“. Da er Einspruch einlegte, ist der Strafbefehl nicht rechtskräftig und eine Verhandlung nötig.

Zivilprozess verloren

Auch sein erklärter Gesinnungsgenosse, der Ex-CSU-Lokalpolitiker und heutige Bayern-Chef der Splitterpartei Die Freiheit, Michael Stürzenberger, wurde als einer der wenigen, die ihre islamophoben Pamphlete auf PI unter Klarnamen veröffentlichen, mehrfach angezeigt. So hatte er in einem „Thesenpapier gegen die Islamisierung“ die Ausweisung aller Muslime gefordert: „Abschwören oder abreisen!“ Er ist nicht nur parteipolitisch aktiv, sondern trommelt auch für „gemeinsamen Widerstand“ mit der Truppen wie der German Defence League (GDL), die im August auch in Berlin gegen Islam und Linke aufmarschieren will. Der Gründer des britischen Vorbilds der GDL zählte gar zum Milieu, in dem die norwegischen Behörden - vergeblich - nach aktiven Mittätern Breiviks fahndeten. Breivik sieht sich als Mitglied der Norwegischen Verteidigungsliga – der Staatsanwaltschaft zweifelt daran. Ihre Existenz dagegen bewies sich beim „ersten europäischen Counterjihad-Treffen“ in Dänemark, das auch Stürzenberger bewarb.

Laut Staatsanwaltschaft München wurde das Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung, das ihm sein Thesenpapier eingebracht hatte, vorschriftsgemäß eingestellt – weil in einem zweiten Verfahren wegen „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ höhere Strafen zu erwarten seien. Zudem unterlag er in dieser Woche einem Journalisten aus Bayern, den er laut Urteil verleumdet hatte. Löscht er die fraglichen Texte nicht, drohen ihm bis zu sechs Monate Haft.


Der Kläger habe vor allem beweisen wollen, dass man durchaus juristisch gegen die Hetze auf PI vorgehen kann, erklärte er. Bisher waren Anzeigen gegen PI – die auch Politiker wie der heutige NSU-Untersuchungsausschuss-Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) erstattet hatten – meist eingestellt wurden, weil die Betreiber nicht zu ermitteln seien.

Das wollte sich auch Pfarrerin Dietrich zunutze machen, indem sie nach ihrer Enttarnung als PI-Co-Chefin hinwarf, alle ihre Beiträge löschte und sich als Opfer einer „antisemitischen Hexenjagd“ inszenierte. Ihrem Synodalrat gegenüber zeigte sie sich später aber geständig und reuig – so dass dieser sie rügte, es „steht fest, dass Frau Dietrich beim islamfeindlichen Blog Politically Incorrect eine mitbestimmend-verantwortliche Funktion wahrgenommen hat“, die „unvereinbar mit der Stellung als bernische Pfarrerin“ sei. Da sie sich aber dort zurückgezogen habe, dürfe sie Pfarrerin bleiben. Die Berner Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit wegen „Rassendiskriminierung und Nichtverhinderung strafbarer Veröffentlichungen“ gegen sie.

„Heute Mörder, morgen Held“


Doch die Fälle sind nur die Spitze des Eisberges, den die anti-europäische, anti-kommunistisch und anti-islamische Rechte darstellt. Ein weiterer Hort der Breivik-Ideologie ist die „Bürgerbewegung Pax Europa“. Die zieht es nicht nur fast jedes Wochenende zu Mini-Kundgebungen in die deutschen Fußgängerzonen. Die Sprecherin des Baden-Württemberger Landesverbandes, xxxxxxx, zählt als „Kybeline“ zu den Bloggerstars der Szene. Kurz vor dem Jahrestag der Norwegen-Morde verglich sie den Täter mit Che Guevara und Nelson Mandela: Mancher „Terrorist wurde inzwischen zum Held hochgelobt“, so Schliebs. „Wer weiß, vielleicht ist Breivik auch nur der Nelson Mandela oder der Che Guevara des nächsten Jahrzehnts? Heute Mörder, morgen Held?“ Etliche ihrer Leser bejahten das; einer versprach, „einen A.B.Breivik-Altar zu errichten – auch, damit ich ihn um Vergebung bitten kann, dass ich sein Werk nicht fortführe – noch nicht“.


Auch anderswo üben sich die Islamhasser in Gewaltphantasien. In einem Forum, in dem die „PI-Ortsgruppe Berlin“ ihr Sommerfest plante, träumte ein Mitglied davon, „Mullah schlachtend durch die Straßen zu ziehen“ – lange vor Breiviks Tat. Derselbe User, BlackCollar, kündigte einen Netz-Pranger namens Nürnberg 2.0 an, für einen zweiten „Kriegsverbrecher-Prozess“ Namen, Adressen und Fotos der Politiker, Aktivisten und Journalisten sammelt, die die Islamisierung herbeiführen. Das war auch Breiviks Grund, ein sozialdemokratisches Jugendcamp anzugreifen. Der Berliner Mario A., ebenfalls PI-Autor und Ortsgruppenmitglied, stellte den Pranger im Juni 2011 ins Netz. Inzwischen umfasst er neunzig Einträge, verfasst von vielen anonymen Autoren.