Mittwoch, 11. Juli 2012, 20:21 Uhr

USA machen Grenzen für Tattoo-Träger dicht

Von MIRIAM JORDAN


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Hector Villalobos und seine Tätowierungen.

Im vergangenen Dezember reiste Hector Villalobos vom US-Bundesstaat Colorado in sein Geburtsland Mexiko zu einem Interview, das Teil seiner Bewerbung um eine Aufenthaltsgenehmigung in den USA sein sollte. Villalobos rechnete damit, dass der ganze Prozess höchstens zwei Monate dauern würde.

Sieben Monate sind seitdem vergangen, doch das US-Konsulat hat dem 37-jährigen Handwerker noch nicht erlaubt, zu seiner Frau und den drei Kindern in den USA zurückzukehren. Das Problem sind seine Tätowierungen, die die Behörden für Erkennungszeichen gewalttätiger mexikanischer Gangs assoziiert werden.

„Er mag Tattoos, genau wie viele Amerikaner", sagt seine amerikanische Frau Veronica, mit der er seit sechs Jahren verheiratet ist. Ihr Mann habe mit kriminellen Organisationen nichts zu tun. Villalobos sagt, er habe seine Tattoos ausgesucht, weil er sie cool fand.


Kein alleiniger Grund für eine Ablehnung

Einwanderungsanwälte berichten, dass in den vergangenen Jahren die Sorge gewachsen ist, dass ausländische Gangs in die USA kommen könnten. Die Regierung hat aus diesem Grund viele Green Cards für Bewerber mit Tätowierungen abgelehnt oder hinausgezögert.


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Die verdächtigen Masken auf der Schulter von Hector Villalobos.

Viele Einwanderer, vor allem solche aus Lateinamerika, sind schon an den Tattookontrollen gescheitert, selbst wenn sie nicht vorbestraft sind. Die Ablehnungen basieren auf einem Passus im Einwanderungsgesetz, laut dem einem Einwanderer aus Gründen der nationalen Sicherheit, also auch wegen möglicher Verbindungen zu kriminellen Organisationen, ein Visum verweigert werden kann.

Im Haushaltsjahr, das im September 2006 zu Ende ging, hat das Außenministerium nur zwei Personen ein Einwanderungsvisum verweigert, bei denen es „Grund zur Annahme" gab, dass sie „ausschließlich, häufig oder gelegentlich" mit der organisierten Kriminalität in Verbindung treten wollten. In den neusten Daten von 2010 ist schon von 82 Personen die Rede.

Tätowierungen alleine sind kein Grund, um eine Bewerbung abzulehnen, sagt eine Sprecherin der Behörde für Konsularangelegenheiten. Man achte bei dem Visumprozess mehr auf Tätowierungen als Zeichen für eine Gangzugehörigkeit, seitdem die Polizei die Verbindung zwischen bestimmten Tattoos und Gangs besser verstehe, sagt sie. Das Ministerium äußere sich nicht zu einzelnen Fällen.


Leben aus den Gleisen geworfen

Anwälte und Kriminologen berichten, dass viele Tätowierungen, die Einwanderern Schwierigkeiten bereiten, zwar die Zugehörigkeit zu einer Gang symbolisieren, jedoch auch von anderen Menschen übernommen worden sind. Ein beliebtes Motiv ist ein Paar Theatermasken das auch als bekannt „Smile Now, Cry Later" – „Lach jetzt, heul später" bekannt ist. Auch Villalobos hat es auf seinem Rücken.

„Wenn man ein Gang-Tattoo trägt, ist es für einen Konsularbeamten eben sinnvoll, nachzuforschen, ob man auch zu dieser Gang gehört", sagt Ira Mehlman, Sprecher für die Federation for American Immigration Reform, eine Interessengruppe, die die Einwanderung in die USA gerne einschränken würde. „Unsere Regierung ist kompetent genug, um diese Entscheidung zu treffen", fügt er hinzu.

Einige Kritiker sagen, dass diese Politik das Leben der Betroffenen aus den Gleisen wirft und ihre Rechte einschränkt. „Die werfen ein zu großes Netz aus, was einer Missachtung des ersten Zusatzartikels der US-Verfassung nahe kommt, der Rede- und Meinungsfreiheit", sagt Jeff Joseph, ein Einwanderungsanwalt aus Denver.

Der Gang-Experte Thomas Boerman nennt diese verschärften Kontrollen eine „Hyperwachsamkeit". Das Problem, sagt er, sei, dass „US-Beamte nicht kompetent genug sind, um Tätowierungen richtig zu interpretieren".
Ich mag Tattoos, aber das macht mich nicht zu einem Gangster"

Die Betroffenen sind meistens Einwanderer ohne Papiere wie Villalobos, der seit seiner Hochzeit mit einer US-Staatsbürgerin eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen kann. Ihre Bewerbungen werden von US-Behörden in ihrem Ursprungsland geprüft.


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Hector Villalobos und seine Familie.

Der Mexikaner Rolando Mora Huerta, der seit 2008 mit der gebürtigen Amerikanerin Madeline Cardenas verheiratet ist, wurde einmal festgenommen, weil er illegal im Land war. Sonst war sein einziger Kontakt zur Polizei eine Geschwindigkeitsüberschreitung und ein Fall von Alkoholkonsum als Minderjähriger, berichten die Anwälte des Paares. Im März 2010 kam der 26-Jährige dann zu seinem Interview in der Ciudad Juárez in Mexiko.

Beamte bemerkten seine Tattoos und fragten ihn, ob er je in einer Gang war, berichten seine Anwälte und seine Frau. Er verneinte das. Die Beamten machten Fotos von seinen Tattoos, die das lachende und das weinende Gesicht darstellten. Im Juli 2010 wurde sein Visum abgelehnt, wegen „Verbindungen zu einer kriminellen Organisation", heißt es in einer Benachrichtigung vom Konsulat. Seine Frau, eine Krankenschwester in Nampa im Bundesstaat Idaho, sagt, ihr Mann habe die Tattoos im Alter von 14 Jahren bekommen, bevor er in die USA zog.

Im September 2010 reichte Moras Anwalt zusätzliche Informationen beim Konsulat ein, darunter ein Brief von der Polizeibehörde in Nampa, laut dem es keine Hinweise darauf gebe, dass Mora in einer Gang sei. In einer handschriftlichen Aussage erklärte Mora: „Ich mag Tattoos, aber das macht mich nicht zu einem Gangster." Die Ablehnung wurde nicht rückgängig gemacht. Dieses Jahr legten die Anwälte beim Außenministerium in Washington Revision ein. Vergangenen Monat bestätigte das Ministerium die Entscheidung des Konsulats schriftlich. In dem Brief, der an einer Stelle Moras Namen mit einem anderen verwechselt, nennt „mehrere Tattoos, die eine Verbindung zu einer Straßengang zeigen".


In der Populärkultur angekommen

„Es gab keine sorgfältige Untersuchung der Fakten, um zu zeigen, dass die Gang-Anschuldigung gerechtfertigt war", sagt Patrick Taurel, einer der Anwälte des Paares. Vergangene Woche erhoben diese vor dem Bundesgericht Anklage gegen die US-Regierung, in der sie die Behauptung anfechten, Mora gehöre zu einer kriminellen Gruppe. Sein Einwanderungsverbot verletze das Grundrecht der Ehefrau, bei ihrem Mann zu sein.

Nachdem er Weihnachten bei seiner Familie verbrachte, reiste auch der Handwerker Villalobos nach Ciudad Juárez zu Terminen für seinen Greencard-Antrag. Dort erlebte er das gleiche wie Mora: Die Beamten machten Fotos von seinen Tattoos, vor allem von zwei Dreiecken, die als „mi vida loca" bekannt sind – „mein verrücktes Leben". Anstatt sein Visum zu genehmigen, bekam Villalobos einen Brief, laut dem sein Fall genauer untersucht werden müsse. Wie lange das dauern wird, weiß er nicht.

Das Tattoo wird oft mit einer mexikanischen Gang in Verbindung gebracht, doch es ist in den letzten zehn Jahren auch in der „Populärkultur" angekommen, sagt der Gang-Experte Boerman.
Er sieht mir nicht nach einem Gang-Mitglied aus"

„Die versuchen mich als schlechte Person darzustellen, weil ich Kunst mag", sagt Villalobos. „Meine Akten zeigen die Wahrheit." Laut dem Colorado Bureau of Investigation ist Villalobos noch nie festgenommen worden. Ein beglaubigter Brief von einer Grundschullehrerin beschreibt Villalobos und seine Frau als „unterstützende, engagierte Eltern, die sich immer als erstes zu Schulaktivitäten bereiterklären."

Wenn Villalobos' Antrag abgelehnt wird, müssen er und seine Familie über den nächsten Schritt nachdenken. Ohne sein Einkommen musste seine Frau, eine nichtberufstätige Mutter, ihre Krankenversicherung kündigen. Derzeit verlässt sie sich auf die finanzielle Unterstützung ihrer eigenen Mutter.

Vergangenes Jahr hatte Jim Neel, ein pensionierter Postbeamter aus Lakewood, Colorado, Villalobos engagiert, um eine Küchentheke in seinem Haus zu installieren. Vor kurzem hat er versucht, Villalobos für einen anderen Job wiederzufinden. „Er sieht mir nicht nach einem Gang-Mitglied aus", sagt Neel, der die Tattoos auch bemerkt hatte. „Er ist sehr ruhig."

Kontakt zum Autor: redaktion@wallstreetjournal.de
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