Das konsumieren auf pump zeigt nun seine Schattenseiten. Über viele Jahre kauften die Türken wie entfesselt alles mögliche und das meistens auf Kredit. Das Resultat sind viele hoffnungslos überschuldete Haushalte. Ein Großteil der Einkommen geht nun für die Zinsen drauf, die für die Kredite bezahlt werden müssen. Da bleibt für den Sparstrumpf nichts übrig und so sinkt die Sparrate der Bevölkerung drastisch.

Sparen gerät in der Türkei aus der Mode

Thomas Fuster, Wien
Die Türkei kämpft mit einem hohen Leistungsbilanzdefizit. Entsprechend gross ist die Abhängigkeit von ausländischem Kapital und die Verletzlichkeit gegenüber einem abrupten Abzug dieses Kapitals. Viel wäre geholfen, wenn das Land mehr sparen würde. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wenngleich die Türkei in den vergangenen zehn Jahren ein rasantes Wachstum hingelegt hat, was eigentlich einen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse nahelegen würde, ist die Sparquote in diesem Zeitraum drastisch gesunken. Lag die Quote noch in den neunziger Jahren bei durchschnittlich 23,5% des Bruttosozialprodukts, sank der Wert zwischen 2000 und 2008 auf 17% und betrug im Jahr 2010 nur noch 12,7%, der tiefste Stand seit 1980. Zu erklären ist diese Entwicklung ausschliesslich mit dem starken Rückgang der privaten Ersparnisse, zumal der Staat seine Rücklagen in diesem Zeitraum erhöht hat.
Die Türkei scheint ein Opfer ihres Erfolgs zu sein. So haben die nach der schweren Wirtschaftskrise von 2001 ergriffenen Strukturreformen dazu geführt, dass die Gesamtwirtschaft deutlich robuster geworden ist. Die Zinsen sanken ebenso wie die Inflation, und mit der Normalisierung der Wirtschaft ging auch ein vereinfachter Zugang zu Krediten einher. Das Vertrauen in eine Fortsetzung dieser Entwicklung ist gross, und allenthalben wird Konsum auch mit künftigem Einkommen finanziert. Dennoch, ganz auf das Sparen verzichten die Türken nicht. Wie jedoch die Weltbank in einer unlängst veröffentlichten Studie schreibt, wird ein grosser Teil der Ersparnisse «unter der Matratze» gehalten, etwa in Form von Gold, Schmuck, Uhren, Bargeld oder mittels informeller Kredite an Freunde und Bekannte. So geben knapp 15% der Haushalte in Umfragen an, Gold-Ersparnisse zu besitzen. Ins offizielle Bankensystem fliessen diese Guthaben nicht. Wenn daher die Regierung mit diversen Initiativen das Sparen fördern will, muss sie zunächst daran denken, dass 26 Millionen Erwachsene noch immer über kein Bankkonto verfügen.

http://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft....17005726.html