Deutsche Wirtschaft erträgt Erdogans Willkür nicht mehr
Zuletzt zeigte sich die türkische Abhängigkeit von Deutschland durch einbrechende Urlauberzahlen. Jetzt verschlechtert sich das wirtschaftliche Klima. Der Handel bricht ein, Investoren bleiben fern.
Es ist nicht so, dass sie den Ernst der Lage verkennen würde. Die türkische Regierung ergreift gerade jeden Strohhalm, um den schlimmen Einbruch der Touristenzahlen abzumildern. Mit Kerosinzuschüssen für die Airlines sollen die Tickets günstiger werden. So will der Tourismusminister die deutschen Urlauber ins Land locken.

Präsident Erdogan persönlich hatte vor Kurzem die Idee, die rund 50.000 Hochzeiten, die die Auslandstürken jedes Jahr feiern, doch bitte in die Heimat zu verlegen. Kein schlechter Plan, wenn man bedenkt, dass auf diesen traditionellen Festen fast immer mehrere Hundert Gäste eingeladen sind.

Der politische Aktionismus scheint bislang nicht zu fruchten. Denn wie der Deutsche Reiseverband (DRV) in dieser Woche erklärte, ist die Türkei für den Sommerurlaub 2017 nicht mehr gefragt. In der Frühbucherphase zwischen November und Januar registrierte der Verband im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Minus von 58 Prozent.

Willkür ist Gift für unternehmerische Entscheidungen

Das Tourismus-Desaster ist jedoch nicht das einzige ökonomische Problem, welches der Türkei im Verhältnis zu Deutschland droht. Auch die deutsche Wirtschaft ist zunehmend schlecht auf den autoritären Führungsstil der Regierung in Ankara zu sprechen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter den Mitgliedern des Leaders Parliament von Roland Berger und der „Welt“-Gruppe. Fast die Hälfte der Befragten in den Chefetagen ist der Meinung, dass ein so willkürlicher und autoritärer Führungsstil auch Gift für jede unternehmerische Entscheidung ist.
Auch Vertreter der deutschen Industrie beobachten die Situation in der Türkei mit Sorge. Der Handel mit dem einst so guten Partner sinke bereits jetzt spürbar. Bei der Deutschen Auslandshandelskammer in der Türkei hätten sich die Geschäftsanfragen im vergangenen Jahr halbiert, sagte Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK), der „Welt am Sonntag“. „Neue deutsche Investoren bleiben fern.“

Und auch bei den ansässigen deutschen Unternehmen herrscht schlechte Stimmung. „Sie verlassen das Land zwar nicht, aber auch sie sind verunsichert und halten sich mit neuen Investitionen generell zurück“, erklärt Treier. „Daran ändern auch die Bemühungen vieler türkischer Stellen nichts – im Gegensatz zum provozierenden Auftreten ihres Präsidenten –, Investoren aus Deutschland zu gewinnen.“

Ratingagenturen senken auf Ramschniveau

In diesen Tagen werde deutlich, dass die Türkei sehr viel abhängiger von Deutschland ist als umgekehrt, heißt es aus Kreisen der deutschen Industrie. Tatsächlich offenbart ein Blick in die Exportstatistik, wie sich die Kräfteverhältnisse verteilen.
Die Waren, bei denen Deutschland im Handel mit der Türkei einen großen Überschuss erzielt, sind etwa Autos und Maschinen – also Güter, die sich nicht ohne Weiteres in dieser Qualität aus jedem anderen Land dieser Welt beziehen lassen. Umgekehrt importiert Deutschland vor allem Bekleidung oder Früchte – Waren, die man sich auch in anderen Regionen besorgen kann.
Die zunehmende Zurückhaltung der deutschen und anderer ausländischer Investoren ist für Ankara auch deshalb ein so großes Problem, weil das Land deutlich mehr Waren und Dienstleistungen einführt, als es ausführt. Diese Lücke muss mit ausländischem Kapital gedeckt werden. Das wird immer schwieriger, weil auch die Ratingagenturen inzwischen den Daumen gesenkt haben. Die Analysten von Fitch haben Ende Januar die Kreditwürdigkeit der Türkei auf Ramschniveau herabgestuft. Damit gelten türkische Staatsanleihen bei allen großen Ratingagenturen als sehr risikoreich. Die Rating-Analysten begründen ihr Urteil vor allem mit der ökonomischen Unsicherheit aufgrund der fehlenden politischen Stabilität im Land.
Dieses Risiko spiegelt sich nicht zuletzt im Kurs der türkischen Lira. Die Währung hat vor allem in den vergangenen zwölf Monaten eine dramatische Talfahrt erlebt. Ein Niedergang, gegen den Kerosinzuschüsse und Hochzeitsreisen bislang keine wirksamen Mittel waren.
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