Montag, 25. Juli 2011 12:50 Uhr

Auch die meisten ausländischen Zeitungen kommentieren die beiden Anschläge in Norwegen. Dabei geht es vor allem um das Motiv des mutmaßlichen Täters. Zudem befassen sich die Kommentatoren unter anderem mit der Hungersnot in Ostafrika. Doch zunächst nach Norwegen. Das russische Blatt MOSKOWSKI KOMSOMOLEZ schreibt zum Geständnis des mutmaßlichen Täters:

"Der Norweger, der sich zum 'Kreuzritter' stilisierte, der unschuldige Menschen tötete, ist überzeugt, dass ihm Europa einmal dankbar sein wird. Das 'Paradies der Kindheit', wie Regierungschef Stoltenberg die Fjordinsel Utøya nannte, machte er zu einem Schlachthaus. 'Grausam, aber notwendig', nennt er seine Taten. Zum Märtyrer wollte sich der selbst ernannte "Jäger der Marxisten" aber dann doch nicht machen", unterstreicht das Blatt MOSKOWSKI KOMSOMOLEZ.


Das LUXEMBURGER WORT bemerkt:
"Solche Verbrechen brauchen immer einen fördernden oder zumindest nicht verhindernden politisch-gesellschaftlich-medialen Rahmen, der den Terror aus Tätersicht legitimiert. So wird die Tat erst, wie es der Täteranwalt formuliert, im Terroristenkopf 'notwendig'."


Für die KLEINE ZEITUNG aus Österreich ist Breivik kein verschrobener Einzelgänger:
"Er war im etablierten politischen System eingebunden und gesellschaftlich engagiert, mehr als viele weltfremde Jungpolitiker, die Jura studieren und um der Karriere willen in die Partei ihrer Eltern eintreten. Mit Ende 20 wird der zunächst gemäßigt rechte Polit-Aktivist immer extremer. Die norwegische Demokratie kann ihn nicht mehr einbinden. Ihn bindet auch nicht die für die meisten Bürger des erdölreichen Landes realistische Aussicht auf Glück durch Wohlstand und Konsum. Irgendwo zwischen diesem Unvermögen der immer technokratischer werdenden Zentraldemokratie und einer psychischen Störung des Täters liegen 93 Menschenleben begraben", notiert die KLEINE ZEITUNG aus Graz.


"Sollte der rechtsextremistische Terrorismus eine neue Gefahr für unsere Gesellschaften geworden sein?", fragt LE FIGARO aus Paris:
"Es ist beunruhigend festzustellen, dass ein Mann über zwei Jahre hinweg diese Taten vorbereiten konnte, ohne dabei gestört zu werden. Die Geheimdienste und die Polizei müssen sich fragen, ob sie nicht zu sehr auf den islamistischen Terrorismus fokussiert sind und damit die Beobachtung anderer extremistischer Bewegungen vernachlässigen."
So weit die französische Zeitung LE FIGARO.


Und in der italienischen LA REPUBBLICA heißt es zur extremen Rechten in Norwegen:
"Sie hat keinen wahren Chef, sondern ist ein Mosaik kleiner Gruppen, die die Bedürfnisse der demokratischen Gesellschaft in fanatische Reden übersetzen. Von dieser ideologischen Brühe hat Breivik sich genährt", betont LA REPUBBLICA aus Rom.


"Der Feind von Innen" titelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG und schreibt:
"Das stolze und selbstbewusste Land wird sich nicht durch einen feigen Attentäter in die Knie zwingen lassen, wie Regierungschef Stoltenberg sich ausdrückte. Seine Antwort auf die Gewalt lautet: Noch mehr Demokratie, noch mehr Offenheit.Wenn der Schock sich gelegt hat, wird sich Norwegen auch neue Fragen stellen müssen. Fragen zum Polizeieinsatz auf Utöya, Fragen zu möglichen Versäumnissen der Sicherheitspolizei und vor allem Fragen zur Tatsache, dass der Feind von innen kam.Das allgemeine Bedrohungsbild des Nato-Staates richtete sich auf ausländische Akteure, besonders islamische Radikalisten. Auf einen blonden, blauäugigen, im eigenen Land großgezogenen Terroristen war man dagegen nicht vorbereitet", resümiert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.


Ähnlich sieht es die Zeitung HOSPODARSKE NOVINY aus Tschechien:
"Europa muss nun die Illusion aufgeben, dass es sich nur gegen einen äußeren Feind wehren muss. Die Sicherheitskräfte werden die tatsächlichen Gefahren neu und besser analysieren müssen. Kein blauäugiger blonder Mann darf sich in Zukunft wundern, wenn auch er bei der Sicherheitskontrolle auf dem Flughafen die Schuhe ausziehen muss. Die Debatte über das 'Ethnic Profiling', um potenzielle Terroristen ausfindig zu machen, ist am Ende. Zum anderen sollten die Parteien mehr über die Unzufriedenheit der Bürger mit ihren europäischen und multikulturellen Projekten nachdenken", rät HOSPODARSKE NOVINY aus Prag.


Das chinesische Blatt HUANQIU SHIBAO blickt auf die Rolle der Medien:
"Sie sollten Zurückhaltung üben und der Stimme des Täters möglichst wenig Gehör verschaffen. Dadurch würde seine Absicht durchkreuzt, mit seinen furchtbaren Taten für ewig im Gedächtnis der Menschen zu bleiben. Leider ist jedoch zu beobachten, dass die Presse in vielen Fällen auf die Attentäter hereinfällt", stellt HUANQIU SHIBAO fest.


Die polnische GAZETA WYBORCZA überlegt:
"Norwegen war eine außergewöhnlich offene Gesellschaft. Das wird sich jetzt wahrscheinlich ändern. In Regierungsgebäuden und Parteizentralen werden Kontrollposten mit Metalldetektoren eingerichtet. Politiker und Mitglieder der Königsfamilie werden nicht mehr ohne Bewachung das Haus verlassen. Der norwegische Geheimdienst wird öfter auf Abhörmaßnahmen zurückgreifen. Mit anderen Worten: Norwegen wird jetzt das erleben, woran sich Amerikaner und Westeuropäer schon seit langem gewöhnt haben. Möglicherweise steht Norwegen auch eine ähnlich negative Entwicklung bevor, wie die Niederlande sie nach den zwei politischen Morden an Pim Fortuyn 2002 und Theo van Gogh 2004 erlebten. Die traditionelle niederländische Politik der Toleranz wich Populismen und einem Integrationswiderwillen. In Norwegen könnte Ähnliches bevorstehen", befürchtet die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.


Aus Sicht der österreichischen Zeitung DER STANDARD hat sich das gesellschaftliche Klima in Europa allgemein gewandelt:
"Skandinavien, das bei oberflächlicher Betrachtung einheitlich mustergültig sozial und multikulti zu sein scheint, hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Es hat sich eine - wenn auch kleine - rechtsextreme Szene entwickelt, rechtspopulistische Parteien verzeichnen Zuwächse. In Norwegen hat es die Fortschrittspartei auf Platz 2 bei der vergangenen Parlamentswahl gebracht. Dass der Attentäter in dieser Partei Mitglied war, ist kein Zufall. Sie agitiert gegen Muslime und Ausländer. Solche pauschalen Angriffe sind auch bei FPÖ-Veranstaltungen üblich. Durch Hetzreden und kalkulierte Tabubrüche, wie sie auch Thilo Sarrazin mit seinem Buch 'Deutschland schafft sich ab' gesetzt hat, wird ein Klima geschaffen, in dem Extremisten meinen, in diesem, ihren Sinne handeln zu können. Dem kann nur entgegengewirkt werden, indem eine Debatte über Zuwanderung geführt wird, bei der Probleme offen angesprochen und aktiv angegangen werden", meint DER STANDARD aus Wien.