Bereits am 10.5. berichtete Euronews von dieser Tatsache, jetzt ziehen auch andere Medien mit weiteren Details nach.

Euronews, 8.6.: Syrer fliehen aus Angst vor Armee-Einsatz in die Türkei


fr-online: Syrer flüchten in die Türkei

Damaskus – Dschisr al-Schogur, rund 30 Kilometer von der syrischen Grenze zur Türkei gelegen, glich schon Anfang der Woche einer Geisterstadt. Bewohner, die trotz Zusammenbruchs der Telekommunikation die Außenwelt erreichten, berichteten von Panikflucht ihrer Mitbürger, während 2000 junge Männer die Straßen patrouillieren und Häuser bewachen, nicht zuletzt, um Behauptungen der Regierung zu widerlegen, die Stadt werde von „bewaffneten Banden“ terrorisiert. Zugleich errichteten jugendliche Aktivisten Straßenbarrikaden, um einen drohenden Einmarsch der staatlichen Sicherheitskräfte zu verhindern.

Am Dienstag meldete der Nachrichtensender Al-Arabija, die gefürchtete 4. Brigade der Armee sei bereits auf dem Weg in die Kleinstadt, in der nach offiziellen Angaben 120 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet worden waren. Die Brigade wird von Maher al-Assad, einem Bruder des Präsidenten Baschar al-Assad, kommandiert. Die Türkei ist seit einigen Wochen darauf vorbereitet, notfalls tausende Syrer, die vor den Regierungstruppen flüchten, in Zeltstädten unterzubringen. Berichte, wonach die visafreie Einreise in die Türkei wegen des Konflikts ausgesetzt wurde, seien falsch, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Ankara.

Innenminister Ibrahim Schaar hatte schon am Montagabend vielsagend eine „scharfe und entschlossene“ Reaktion auf die Tötung der 120 Soldaten und Polizisten angekündigt. Offizielle Stellen sprechen von einem „wahren Massaker“, für das sie „bewaffnete Banden“ verantwortlich machen, die das Hauptquartier der sogenannten Sicherheitskräfte attackiert hätten. Es gelte, so heißt es offiziell, die Bevölkerung gegen diese „Banden“ zu schützen.

Was wirklich in Dschisr al-Schogur geschah, blieb zunächst unklar, da die Behörden unabhängigen Beobachtern den Zugang zur Stadt verweigern. Bewohner widersprachen gegenüber dem britischen Sender BBC deutlich der offiziellen Version. Es habe in Dschisr al-Schogur lediglich friedliche Proteste gegeben, die in den vergangenen Tagen allerdings enorme Menschenmengen in die Straßen gebracht hätten. Nach einigen Berichten hatten die Streitkräfte auf eigene Leute geschossen und dann begonnen, Häuser zu stürmen und auszurauben. Ein Aktivist meldete, er hätte innerhalb des Hauptquartiers Schießereien gehört, bevor es zu dem Blutbad gekommen sei.

Welche der beiden Versionen auch zutreffen mag, fest steht, dass die Ereignisse von Dschisr al-Schogur eine dramatische Eskalation der Revolte gegen das Regime Assad markiert. Es ist das erste Mal, dass das Regime eine hohe Opferzahl bei den eigenen Leuten zugibt. Manche Oppositionelle halten dies für einen Trick, um eine Vergeltungsaktion gegen die Stadt zu rechtfertigen. Es könnte jedoch auch der Wahrheit entsprechen und ein erstes Signal für eine Revolte in der Armee und ein Auseinanderbrechen der Streitkräfte sein.

Seit Assads Schergen mit Panzern und schweren Geschützen unbewaffnete Bürger töten und terrorisieren, um durch Friedhofsruhe die Macht des Regimes zu retten, mehren sich die Berichte von Menschenrechtsaktivisten über Soldaten, die sich weigern, unschuldige Mitbürger zu ermorden. Immer wieder würden solche rebellierende Soldaten von den eigenen Leuten erschossen. Zuletzt strahlte der Satellitensender Al Dschasira das erste Videobekenntnis eines Abtrünnigen aus. Der Armee-Offizier Abdel Razzak Mohammed Tlass, Mitglied einer prominenten Familie, die lange einen Verteidigungsminister stellte, erklärte seinen Schritt als Protest gegen die „Verbrechen“, deren er in Deraa Zeuge gewesen war. Je länger das Regime an seiner menschenverachtenden Repressionspolitik festhält, desto mehr Angehörige der Streitkräfte könnten dem Beispiel von Tlass folgen.

Beobachter schließen auch nicht aus, dass sich angesichts der Brutalitäten des Regimes der Zorn der Bürger derart steigert, dass sie nun beginnen, zu Waffen zu greifen. Immerhin starben während dreimonatiger Proteste mehr als 1300 Menschen, 10000 wurden verhaftet.


Wichtige Rolle der Grenzstädte

Dschisr al-Schogur liegt in der bitterarmen Landwirtschaftsprovinz Idlib und ist seit langem Hort sunnitischen Konservativismus. In den 80er Jahren war die Stadt nach Aufständen durch Muslimbrüder vom alawitischen Regime heftig bombardiert worden, Ereignisse, die die Bürger nicht vergessen haben. Die Nähe zur türkischen Grenze ermöglicht den Menschen zudem einen regen Schmuggel von Waffen. „Die ganze Region“, in der auch die Unruhestädte Hama und Homs liegen, „erhebt sich“, meint ein Aktivist. Und das Regime will blutige Ruhe erzwingen, wie in Deraa nahe der jordanischen Grenze und der unweit der libanesischen Grenze gelegenen Küstenstadt Baniyas.

Analysten sind überzeugt, Assad will unter allen Umständen verhindern, dass Grenzstädte der staatlichen Kontrolle entgleiten und, wie etwa im libyschen Bengasi, den Regimegegnern Stützpunkte und desertierenden Soldaten Zufluchtsorte bieten und damit die Chance wesentlich verbessern, das Regime zu Fall zu bringen. (mit dpa)

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NZZ: 200 Syrer flüchten aus Angst vor Rache in die Türkei

[...] Der Nachrichtensender al-Arabiya hatte am Vortag gemeldet, die gefürchtete 4. Brigade der Armee sei auf dem Weg in die Kleinstadt, die sich nur rund zwanzig Kilometer von der Grenze zur Türkei befindet. Die Brigade wird von Maher al-Asad, einem Bruder des Präsidenten Bachar al-Asad, kommandiert. Maher gilt als Scharfmacher und treibende Kraft hinter seinem Bruder.



Türkei bereitet sich vor

Die Türkei ist seit einigen Wochen darauf vorbereitet, notfalls tausende von Syrern in Zeltstädten unterzubringen. Bereits Ende April kamen die ersten Flüchtlinge der syrischen Unruhen über die Grenze in die südliche Provinz Hatay. Die Regierung in Ankara reagierte umgehend: In der Hatay-Region wurde ein Lager eingerichtet, das 300 Personen aufnehmen konnte. Später bestimmte die türkische Regierung das gesamte Grenzgebiet zu Syrien zur Aufnahmezone für die Flüchtlinge.

Die Angelegenheit verlief jedoch nicht ohne politische Misstöne. Denn einerseits hatten sich die beiden Länder erst in jüngster Zeit wieder etwas angenähert. Andererseits befürchtete die Regierung in Ankara enorme Probleme, falls die Zahl der Flüchtenden massiv zunehmen sollte.


Keine visumfreie Einreise

Verschiedene türkische Medien äusserten zudem Bedenken, dass die PKK versuchen könnte, syrische Kurden einzuschleusen, um die Wahlen in Anatolien zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Türkei versuchte das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen, indem sie Hilfslieferungen nach Libanon entsandte. Auch dort, in der Stadt. Wadi Khaled, haben sich bereits viele syrische Flüchtlinge eingefunden. [...]

Die Regierung in Damaskus hatte erklärt, bewaffnete Extremisten hätten in Jisr ash-Shughur Soldaten und Wachleute aus dem Hinterhalt getötet. Mehrere Exil-Oppositionelle sagten dagegen der Nachrichtenagentur dpa, die Soldaten seien von Angehörigen der Armee erschossen worden, weil sie sich geweigert hätten, in Jisr ash-Shughur auf unbewaffnete Zivilisten zu schiessen.

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Euronews, 10.5.: Hunderte Syrer flüchten in die Türkei