Aus einer israelischen Zeitung, von der Botschaft verschickt:

Die Demokratie ist kein Auto
Von Nathan Zach

Ich hoffe, zumindest ein Teil der amerikanischen Führung hat verstanden, dass die Demokratie keine Exportware ist wie es Autos, Flugzeuge, Waffen, Medikamente oder Lebensmittel sind. Wer dies noch nicht gelernt hat, wird sich die schmerzliche Wahrheit in Zukunft verinnerlichen müssen. Schließlich ist sie in unserer Welt wie in der der jungen Vereinigten Staaten von herausragenden Lehrmeistern jedem, der sie hören wollte, vermittelt worden. Man denke an die Lehren aus Vietnam, Irak, Afghanistan und nun auch Ägypten; Lehren, die mehr und mehr ernüchterte Amerikaner sich verinnerlichen angesichts des Hackfleischs, das aus ihren guten Absichten gemacht wurde, die – wenn man es ironisch ausdrücken darf – auf so undankbare Art und Weise enttäuscht wurden.

Selbst ein junger Geschichtsstudent muss bereits wissen, dass die Demokratie sich nur in einem Land entwickeln kann, das den vollen Preis für seine Fehler bezahlt hat. Schon deren Anerkennung erfordert viel Zeit, und sie folgt gewöhnlich auf das Scheitern der Autokratie - sei es in Form eines bestimmten Despoten, einer schweren Kriegsniederlage oder des Verzichts einer Religion auf den Versuch, sich den Einwohnern eines Staates oder einer Minderheit, die sich ihr zu folgen weigert, gewaltsam aufzuzwingen; schließlich waren nicht wenige Kriege in der Geschichte der Menschheit Kriege mit religiösem Hintergrund – sicher nicht weniger als Kriege, die wegen Gier nach Eroberung von Gebieten mittels überlegener militärischer Gewalt ausbrachen. Wer von uns würde also wagen, mit dem großen Juden Sigmund Freud zu sagen, dass sie Religion nichts weniger als eine „Art von allumfassender Zwangsneurose“ sei? (Ich zitiere aus dem autobiographischen Essay des „Erfinders“ der Psychoanalyse.

Was die Zeit angeht, die eine von einem despotischen Alleinherrscher beherrschte Nation benötigt, um das demokratische Grundprinzip von Rechten und Pflichten anzuerkennen, die für alle Bürger gleich sind – unabhängig von ihrem Glauben, ihrer Kultur, ihrer Geschichte oder ihrer ethnischen Herkunft -, so haben wir das sowjetische Beispiel vor uns. Ist die GUS unserer Tage unter der Herrschaft Vladimir Putins wirklich zu einem demokratischen Staat geworden? Was ist mit Tschetschenien und den gleichen Rechten für alle Bürger?

Wir wollen also kein voreiliges Urteil fällen in Bezug auf das, was in Ägypten und der gesamten Region, die von Despoten und vom Islam beherrscht wird, vor sich geht. Der Islam wird noch Jahrzehnte und womöglich sogar noch mehr Zeit benötigen, bis er die Ebene erreicht, die England erstmals mit der Enthauptung des Königs und der Cromwellschen Übergangszeit erreicht hat, Frankreich erst nach einer blutigen Revolution und der Niederlage Napoleons und Deutschland erst nach zwei Weltkriegen, die mit dem Tod von rund 40 Millionen deutscher Soldaten und Zivilisten und dem Verlust eines beträchtlichen Teils des Landes endeten.

Es ist klar, dass die Lösung nicht nur eine Frage der Zeit ist. Hier liegt die größte und schwerste Aufgabe der Kultur, die die Herrschaft des Menschen über seinen Mitmenschen verachtet – ungeachtet seiner Religion, Sprache, Hautfarbe und Vorurteile. Dafür braucht es – wie gesagt – Zeit; aber nicht weniger als das Erziehung, Erziehung und nochmals Erziehung. Und selbstverständlich sollte man vom besten und nicht vom schlechtesten Beispiel lernen.

Nathan Zach, geb. 1930, ist einer der bedeutendsten Dichter Israels.

(Haaretz, 08.02.11)