GAYS UND ISLAM


Über das Leben in einem völlig anderen Kulturkreis

"Es ist unmöglich, Moslem und schwul zugleich zu sein" - meinen die meisten Moslems. Sofern sie überhaupt wissen, was Schwulsein bedeutet. In 57 Ländern ist Sex unter Männern ausdrücklich verboten; in 22 davon liefert der Islam mehr oder weniger die Begründung für Ablehnung, Ausgrenzung und Bestrafung. Die andere Seite, das Paradoxe daran: Männer in Islamischen Ländern treiben es untereinander - und das so zahlreich wie sonst nirgends auf der Welt. Wie passt das zusammen? Wo haben Schwule besonders unter der Religion zu leiden? Wie bringen schwule Moslems sexuelle Identität und Religion unter einen Hut?
Das die Uhren in den islamischen Ländern anders ticken, wissen wir spätestens seit der Berichterstattung nach dem 11.September. Doch wie anders ticken sie, wenn es um Schwulsein, Homosexualität und Sex unter Männern geht? Werfen wir erst einmal alle Vorstellungen, die sich um den Begriff "Homosexualität" ranken, über Bord. Schwulsein? Gar eine schwule Identität? Das gibt es in islamischen Ländern nicht. Aber es muss doch überall auf der Welt schwule geben? Nein, muss es nicht. Eine sexuelle Identität, Schwulsein als Lebensstil, das ist eine Konstruktion der Westlichen Welt. "Den Homosexuellen" gibt es in den meisten islamischen Ländern weder im Denken noch in der Sprache. Also kann es ihn auch nicht in der Realität geben.


Türkei:
Männer, die nicht Frauen, sondern Männer als Sexpartner favorisieren, finden sich dagegen überall. In der islamischen Welt vermischt sich diese kleine Mehrheit mit der großen Mehrheit derer, die Sex mit Männern aus anderen Gründen praktizieren. Es geht um Druck ablassen, Macht ausüben, Status sichern. Der Wissenschaftler Arno Schmitt bringt es auf den Punkt: "Die Normalform mann-männlicher Sexualität im islamischen Kernraum ist Dominanzsexualität" Diese Dominazsexualität hat sehr viel mit Religion zutun. Der Islam sieht beispielsweise strikt getrennte Männer- und Frauenwelten vor. Sex mit einer Frau darf erst in der Ehe passieren. Und Religion, Gesellschaft und Staat - in der islamischen Welt meistens nicht voneinander zu trennen - lassen nichts unversucht, um Sex vor der Ehe zu verhindern: Einige Wohnungen sind erst üblich, wenn man geheiratet hat. Nachbarn denunzieren, Polizisten und so genannte Gotteswächter achten streng auf die Einhaltung der Enthaltsamkeit.
Da ist es unter Männern, in der Männerwelt, viel einfacher, Druck abzulassen. Der Mann wird einfach zur Ersatzfrau, denn es ist egal, was um das Loch herum ist. Der Abbau sexueller Spannung ist komplett losgelöst von Gefühlen, und auch sprachlich geht es dabei einfach nur ums Ficken. Der sexuelle Umgang mit Jungen, teilweise sehr verbreitet, wird ebenso wenig als homosexuelle Handlung angesehen; denn der Knabe gilt als unmännliches Wesen. Vielfach ist es einfach statushebend, in dem Ausgesprochenen Ruf zu stehen, einen Jungen zu ficken. Einen Mann zu ficken ist für viele Araber ein Beweis ihrer Männlichkeit, ihrer Potenz, ihrer phallisch-aggressiven Stärke. Auch zärtliche Sexaktivitäten wie die gegenseitige Hilfe beim Abspritzen hat rein gar nichts mit Homosexualität zu tun. Da es mehr oder minder untersagt ist, öffentlich zwischen Mann und Frau Zärtlichkeiten auszutauschen, sind auch harmlose Zärtlichkeiten zwischen Männern, Umarmen oder Streicheln, üblich geworden.
In der Literatur der arabischen Welt werden Sex und Zärtlichkeiten zwischen Männern häufig beschrieben. Das kennen Europäer aus dem klassischen Werk "1001 Nacht". Doch die romantische Verklärung in der Literatur trügt: Trotz Männersex aller Orten sind die Gefahren, deswegen in Schwierigkeiten zu kommen, groß.
Schon vor der Errichtung des ersten islamischen Staates im Jahre 622 waren die Würfel gefallen. Patriarchale Herrschaften, von Macht- und Wirtschaftsstreben geleitet, hatten bereits Denkansätze geliefert: Haus und Hof werden über Generationen weitergeführt, männerliebende Männer können keine Kinder bekommen, die Steuer- und Angabenquelle ist gefährdet, also darf Männersex nicht sein und gehört bestraft. Der heutige Islam hat dieses Denken dann in feste, gesetzliche Bahnen gelenkt und in ein religiöses Fundament gegossen.
Diese Gesetze variieren von Land zu Land; je nachdem, ob der Islam Staatsreligion ist und ob das Rechtssystem der Scharia Anwendung findet. In den Ländern wie Bangladesch, Ägypten, Katar, Kuweit, Libyen, Marokko, Pakistan, Senegal, Somalia, Syrien oder Usbekistan muss man mit Inhaftierungen, Folterungen, Misshandlungen, Vergewaltigungen und so genannten medizinischen Behandlungen rechnen. Todesurteile erden in Saudi-Arabien, Iran, im Jemen, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Mauretanien, im Sudan und auch in Tschetschenien vollstreckt. Quelle dieser Auflistungen ist das Buch "Das Schweigen brechen", in welchem eine deutsche Gruppe von "Amnesty International" Menschenrechtsverletzungen auf Grund sexueller Identität dokumentieren.Eine islamische Welt
Wie ist die Situation von Homosexuellen In der Türkei, im Iran, in Ägypten und Afghanistan?Türkei
"Ein türkischer Mann muss Moslem sein, einen Bart tragen und den aktiven Part übernehmen", so fasst es Hüseyin Kuzkaya zusammen, der seine Doktorarbeit über die türkische Sprache geschrieben hat. In der Türkei ist es auf dem Land dann schon nicht mehr so wichtig, ob das Gefickte eine Frau, ein Mann, ein Schaf oder ein Esel ist. Gar nicht so selten kommt es vor, dass Jugendliche Männer damit prahlen, einen Mann gefickt zu haben. "Ich habe sogar einen mächtigen Mann niedergefickt", heißt es dann.Mit Homosexualität hat das in der türkischen Gesellschaft natürlich nichts zu tun. "Der Begriff homosexuell bedeutet in der türkischen Sprache so etwas wie weiblich/schwach", erklärt Hüseyin. Und das ist das Schlimmste, was man einem ehrenvollen, türkischen Mann vorwerfen kann. Als Mann gefickt worden zu sein, ist das Schlimmste. "Der Passive wird in die Rolle der Frau gezwungen. Sprachlich und in der Gesellschaft wird er quasi kastriert", so Hüseyin. Eine würdevolle Existenz ist der türkischen Gesellschaft wird dann fast unmöglich.
Gesellschaft, Religion und Staat lassen sich in der Türkei - im Vergleich zu anderen islamischen Ländern - besser trennen. Die Türkei ist das einzige islamische Land, das keine direkten oder indirekten Gesetze mehr gegen Homosexualität hat. Denn die Türken wollen irgendwann einmal der Europäischen Gemeinschaft angehören - deshalb haben sie in den vergangenen Monaten ein paar Moralparagraphen abgeschafft. Und damit die letzte Bestimmungen, die man hätte gegen schwule richten können.
Wie aber in den anderen islamischen Ländern auch, tut sich die Gesellschaft mit schwulen Identitäten schwer. Die Religion spielt da eine untergeordnete Rolle. Sex unter Männern kommt vor, aber bitteschön nicht als Lebensstil. Der Pornofilmer Ben macht klar: "In Deutschland wird drüber geredet, aber kaum was gemacht. In der Türkei wird es gemacht, aber nicht drüber gesprochen." Offen gelebte Homosexualität wird verurteilt. "So etwas wie die Homo-Ehe finden die absolut absurd. Als würde man uns Deutschen erzählen, in Schweden könnten jetzt Menschen und Tiere heiraten."
Eine Unterscheidung ist wichtig - die zwischen Land- und Stadtbevölkerung: Die Städte wie Ankara, Istanbul oder Ismir sind westlich orientiert; dort hat man von schwuler Identität zumindest schon mal was gehört. Viele Dörfer hingegen sind fast mittelalterlich, häufig von der Außenwelt ziemlich abgeschnitten. Dementsprechend gelten dort schwule als geisteskrank.
Ben Tamam, der Pornomacher, dreht direkt in der Türkei Pornos. Er spricht dafür Männer auf der Straße an, gedreht wird in "schlecht eingerichteten privaten Apartments" oder billigen Hotels. Keine anderen Pornos verkaufen sich so gut.
Wie werden die Jungs so schnell zu Darstellern? "Das ist für die kein Sex, es geht ums Geschäft. Wir machen denen die Zusage, dass die Filme nicht in der Türkei veröffentlicht werden. Dann ist das kein Problem." Beim Ansprechen packen die Pornofilmer die Männer bei der Ehre Ein türkischer oder ein kurdischer Mann gibt vor: Ich kann immer! Und das gilt es dann zu beweisen.
Passive Pornodarsteller zu finden, ist natürlich sehr viel schwieriger. Ben verzweifelt da manchmal: "Meistens ist das eine Katastrophe. Die, die wir bekommen, verwandeln sich im Dreh regelrecht in eine Frau. Ich sag´ dann immer: Bitte, bitte, benehmt euch männlich!"


Iran
Entsprechend Delikte unterliegt der göttlichen Strafe, was in der Regel der Todesstrafe gleich kommt. Zwei männliche Zeugen - oder ein Männlicher Zeuge und vier weibliche Zeugen - müssen den Analverkehr zweier Männer beobachtet haben und zu Protokoll geben. Auf frischer Tat ertappend, ziehen ganz "professionelle" Sittenwächter eine Schnur zwischen den beiden Männerkörpern hindurch. Wenn das nicht möglich ist, gibt es kaum mehr eine Chance, der Verhaftung und Verurteilung zu entgehen.

http://www.turkishgay.de/latestnews/0000009391118d821/