Demografierisiko

DIE WELT: Industriestaaten sitzen auf einer Zeitbombe

Dramatischer Fachkräftemangel: Eine neue Studie belegt, wie hart der demografische Faktor die Firmen in Industrienationen treffen wird.





Boston Consulting Group (BCG) und die World Federation of People Management Associations (WFPMA) haben errechnet, wie hoch der Fachkräftemangel weltweit ist.

Von Ileana Grabitz

Das Thema Fachkräftemangel ist längst in aller Munde - doch offenbar wappnen sich nur die wenigsten Unternehmen aktiv gegen den Personalmangel. Das ist die Erkenntnis aus einer Studie, die die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) und die World Federation of People Management Associations (WFPMA) gemeinsam erstellt haben und die WELT ONLINE vorliegt. Demnach unterschätzen Firmen weltweit das Demografierisiko nach wie vor dramatisch.

Dabei fehlen schon heute vor allem Ingenieure und Naturwissenschaftler in etlichen Branchen. So beklagen zwar 56 Prozent der insgesamt 5600 befragten Führungskräfte einen kritischen Mangel an Nachfolgern für ihre oberen Führungsebenen. Konsequenzen scheinen die Unternehmen daraus aber nicht zu ziehen: Im weltweiten Ranking der wichtigsten Personalthemen rutschte das Demografiemanagement im Vergleich zu 2008 um sieben Plätze nach hinten und rangiert nur noch an 19. Position.

Rainer Strack, Studienautor und Senior Partner bei BCG, begründet dies auch mit der Wirtschaftskrise, infolge derer viele Unternehmen viel zu kurzfristig dächten. "Sie unterschätzen dramatisch den Tsunami, der da auf sie zurollt", so Strack.

Tatsächlich ist der Kampf um die besten Talente auch hierzulande bereits in vollem Gange. Einer Studie zufolge, die BCG und das World Economic Forum bereits im März vorgelegt hatten, muss sich vor allem die IT-Branche künftig mit großen Personalengpässen auseinandersetzen. Zudem drohe bis 2020 insbesondere im Gesundheitswesen ein gravierender Fachkräftemangel, der sich bis 2030 dramatisch ausweiten soll.

Von einer systematischen Personalplanung, um die vorhandenen Ressourcen besser auszuschöpfen, sind viele Unternehmen trotzdem noch weit entfernt. Nur neun Prozent der Befragten gaben an, effiziente Personalplanungstools zu verwenden, die den zukünftigen Bedarf an Arbeitskräften berücksichtigen. Viele Personalabteilungen räumten selbstkritisch ein, nicht einmal ausreichende Kenntnisse über die Fähigkeiten, das Potenzial oder gar die Altersstruktur ihrer Belegschaften zu haben.

"Die Personalressorts müssen deutlich analytischer und zahlengetriebener vorgehen als bislang, wenn sie den demografischen Herausforderungen zukünftig gerecht werden wollen", mahnt Strack. Im Vergleich zu den Finanzressorts hätten die Personal-Abteilungen in dieser Hinsicht großen Nachholbedarf. Da Aufbau und Entwicklung der eigenen Mitarbeiter häufig vernachlässigt werden, müssen viele Unternehmen bei der Besetzung von Top-Positionen auf externe Kandidaten zurückgreifen: Rund die Hälfte der befragten Firmen gab an, ihre Führungspositionen in der Regel extern zu besetzen.

Selbst die seit Jahren heiß geführte politische Debatte über den Mangel an weiblichen Führungskräften hat offenbar noch keine Folgen gezeitigt: Obwohl Frauen bei den aussichtsreichen Universitätsabsolventen überdurchschnittlich vertreten sind, wird ihr Potenzial in der Wirtschaft nach wie vor sträflich vernachlässigt. Bei 44 Prozent der Unternehmen machen sie gerade einmal zehn Prozent des internen Talentpools aus - jener Mitarbeiter also, die in den Genuss besonderer Förderung kommen.

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