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    Integration in Schweden - SPIEGEL

    Integration in Schweden

    Warme Jacken am Flughafen

    Von Niels Reise, Stockholm

    Lotsen für Neuankömmlinge, geringe Arbeitslosigkeit, guter Verdienst: In Schweden geht es Migranten gut, weil man Integration dort anders versteht als im Rest Europas. Nämlich nicht nur als Verpflichtung des Einwanderers, sondern auch als Bringschuld der Gesellschaft.








    Demonstranten protestieren mit Vuvuzelas gegen die rechtsnationale Partei "Sverigedemokrater". Die Rechtspopulisten haben gute Chancen, bei der Wahl am Sonntag mehr als vier Prozent der Stimmen zu bekommen und erstmals in den Reichstag einzuziehen.


    Eine gute Autostunde südlich der schwedischen Hauptstadt Stockholm liegt Trosa - eine kleinstädtische Bilderbuchidylle, deren rote Holzhäuschen Jahr für Jahr auch dem "Inga Lindström"-Filmteam des ZDF als Kulissen dienen. Trosa gehört zur Provinz Södermanland, in der bereits Dutzende Filme des deutschen Traums vom bodenständigen Glück blonder Menschen gedreht worden sind. Doch natürlich ist das eine Illusion.

    In Wirklichkeit verzeichnet Södermanland - im Verhältnis zur Einwohnerzahl - die größte Einwanderung des gesamten Königreiches. Und die Gemeinde Trosa landete unlängst in der Spitzengruppe eines landesweiten Integrationsrankings. Vor allem in einer Disziplin lag das pittoreske Örtchen ganz vorn: Hier haben die meisten Migranten nicht nur eine Arbeit - sie verdienen auch annähernd so viel wie ihre schwedischen Mitbürger. Das ist selbst im traditionell integrationsfreundlichen Schweden ungewöhnlich. Trosa ist ein Modell.

    Morgens um sieben klingelt bei Amanual Harboy der Wecker. Zum Frühstück isst der Eritreer Joghurt und Fruchtmüsli. "Ein typisches Junggesellenessen", sagt er und lacht entschuldigend. Die Familie des 51-Jährigen wartet immer noch in Asmara auf die schwedische Einreiseerlaubnis. Harboy bewohnt eine kleine Wohnung im sogenannten Millionenprogramm von Arnö, südlich von Trosa. Millionenprogramme nennt man die grauen Betonsiedlungen, die in den siebziger Jahren überall in Schweden errichtet wurden - große in Stockholm, kleine in Södermanland. Wer hier wohnt, ist Ausländer oder arm. Meistens beides. Amanual Harboy ist einer von drei Mentoren, die einen wichtigen Bestandteil des Modells von Södermanland ausmachen: Sie sollen dabei helfen, Einwanderer besser und zügiger in die schwedische Gesellschaft zu lotsen. Dazu halten sie Kurse in ihrer Muttersprache ab. 60 Unterrichtsstunden. Außer Tigrinya, eine der beiden Mehrheitssprachen Eritreas, sprechen die Mentoren auch Somali und Arabisch - damit erreichen sie fast sämtliche Flüchtlinge, die nach Södermanland kommen.


    Harboy findet die Schweden aufgeschlossen - wenn man sie denn versteht

    "Schweden verstehen", beschreibt Harboy seinen Auftrag, "das ist gar nicht so leicht! Wir müssen natürlich das politische System erklären, Demokratie und so", sagt er beflissen. "Aber die alltäglichen Spielregeln hier sind wichtiger." Er macht eine Pause. Dann: "Du glaubst mir das vielleicht nicht", sagt er, "aber viele von uns glauben, dass die Schweden spinnen."

    Neulich war Harboy mit einer 15-köpfigen Männergruppe aus Eritrea in der kleinen Poliklinik. Die Männer sollten eine Hebamme treffen, die einen Vortrag über das schwedische Beschneidungsverbot vorbereitet hatte. "Wir also rein in den Raum, eine ältere Dame im weißen Kittel begrüßt uns, dann geht auch schon das Licht aus." Laut lachend erzählt Harboy, was passierte, als die Hebamme das erste Dia zeigte: "Es war das Nacktfoto einer Frau! Es war mucksmäuschenstill. Einige waren schockiert. Die Jüngeren hielten sich die Hände vor den Mund, weil sie das Bild für Porno hielten. Die alte Hebamme verstand überhaupt nicht, was los war, und ich musste das aufklären."

    Harboy kann sich beim Erzählen kaum halten. Es ist sein zweites Leben hier. Von 1980 bis 1996 war er schon einmal in Stockholm. Bis 2008 war er ins gerade unabhängig gewordene Eritrea zurückgekehrt. Jetzt ist er in Södermanland.

    Er findet die Schweden aufgeschlossen - wenn man sie denn versteht.


    Im Reichstag herrscht Political Correctness

    Schweden ist das einzige skandinavische Land, in dem bislang keine rechte Protestpartei im Parlament sitzt, während zuletzt jeder sechste Däne und jeder dritte Norweger sein Kreuzchen bei den Ausländerhetzern und Islamophoben machte. Einzig die Schwesterpartei der deutschen Liberalen, die "Folkpartiet" und ihr Parteivorsitzender Jan Björklund, versuchen, mit dem Wunsch nach Sprachtests und der Forderung, "Forderungen an Einwanderer zu stellen", Kapital aus der auch im Land der Elche latenten Xenophobie zu schlagen. Ansonsten herrscht wie in Berlin Political Correctness.

    Jeder siebte Schwede ist eingewandert. Seit der ersten großen Migrationswelle in den sechziger Jahren hat sich das Land mehr und mehr zum Ziel für Auswanderer in aller Welt entwickelt. Heute kommen prozentual sogar doppelt so viele Menschen hierher wie in die USA. Die meisten von ihnen sind Flüchtlinge und deren Angehörige. Vor 40 Jahren war das anders.

    "Bei uns lief's prima", sagt Mustafa Can über seine Integration in Schweden. "Aber man nannte das nicht so." Der heute 40-jährige Kurde kam zu Beginn der siebziger Jahre als kleiner Junge mit seinen Eltern aus der Türkei nach Schweden und wuchs im westschwedischen Industriestädtchen Skövde auf. "In meiner Generation Einwanderer gibt es Piloten und Medizinprofessoren", sagt er. "So gesehen sind wir mehr als integriert."

    2. Teil: Einwanderer der zweiten Generation haben ein höheres Ausbildungsniveau

    Can gilt als einer von Schwedens einflussreichsten Publizisten. Und er ist nur einer von vielen prominenten Migranten, die es in der schwedischen Gesellschaft weit gebracht haben. Die amtierende Ministerin für Verbraucherschutz und Integration, Nyamko Sabuni, stammt aus Uganda. Der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Ibrahim Baylan, kommt wie Can aus der Türkei.

    In fast allen Bereichen der Gesellschaft haben heute 40-Jährige mit Migrationshintergrund richtig Karriere gemacht. Die Einwanderer der zweiten Generation haben ein merkbar höheres Ausbildungsniveau und verdienen deutlich mehr Geld als ihre schwedischen Altersgenossen. Damit glänzt Schweden im europäischen Vergleich.

    Die Stockholmer Politologin Clara Sandelind ist Mitherausgeberin der Studie "Lyckad invandring". Zu Deutsch: Geglückte Einwanderung. Darin versuchen sich zehn von Schwedens führenden Integrationsforschern an Erklärungsmodellen dafür, was funktioniert. Laut Sandelind sind sich Experten einig: Integration kann kein aktiver Akt der Migranten sein, sondern hängt von der Haltung ab, mit der ihnen die Mehrheitsgesellschaft begegnet.

    Sandelind sitzt in einem schicken Büro des Stockholmer In-Viertels Södermalm. Ihre Studie ist aufgemacht wie ein belletristisches Taschenbuch, das auf- und gefallen soll. "Integration hat auch nichts damit zu tun, welche oder wie viele Ausländer ins Land kommen", sagt sie. In den achtziger und neunziger Jahren hätte man den Fehler gemacht, Einwanderung über die Köpfe der Menschen hinweg zu planen - so hätten Professoren neben Analphabeten in den monotonen Sprachkursen der Ausländerbehörden gesessen. Ähnlich ziel- und sinnlos sei die Strategie gewesen, Flüchtlinge da anzusiedeln, wo der Strukturwandel zuvor ganze Landesteile speziell in Nordschweden entvölkert habe. Mit solchen Maßnahmen habe man das enorme wirtschaftliche Potential der Migration in sein Gegenteil verkehrt und Hunderttausende Einwanderer zu Problemfällen degradiert. Zum Glück hätte man den Fehler erkannt und die Politik umgestellt.


    Die kleinen Betriebe der verarbeitenden Industrie tun sich hervor

    "Lyckad invandring" enthält viele Beispiele aus Småland - dem Baden-Württemberg Schwedens. Hier, auf halber Strecke zwischen Stockholm und Kopenhagen, liegt auch Älmhult - Herkunftsort und Hauptquartier von Ikea-Gründer Ingvar Kamprad. Älmhult findet sich seit Jahren gemeinsam mit etlichen småländischen Kommunen am oberen Ende der Integrationstabellen wieder. Dabei sind es weniger Möbelriesen, sondern die kleinen Betriebe der verarbeitenden Industrie, die sich integrativ hervortun. Sie bieten die Jobs, die auch ohne Vorkenntnisse der schwedischen Sprache und ihrer eigentümlichen sozialen Codes funktionieren.

    Am Werdegang bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge, die in den Jahren 1993 und 94 nach Schweden kamen, zeigt der Växjöer Volkswirtschaftsprofessor Jan Ekberg, welche Faktoren über geglückte und missglückte Integration entscheiden. Dabei fand er frappierende Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen des Landes. In der Großstadt Malmö beispielsweise hatte selbst nach sieben Jahren nur etwa ein Drittel der bosnischen Einwanderer einen Job. In Småland dagegen waren es 90 Prozent - die damit sogar einen höheren Beschäftigungsgrad aufweisen konnten als der Durchschnitt der Schweden.
    Die Vernetzung von Behörden, Unternehmen und Einzelpersonen sei entscheidend - von dem Augenblick an, in dem ein Ausländer mit der Einwanderung nach Schweden beginne, so Ekberg.


    Individueller Plan für jeden Einwanderer

    In Salem, einer Gemeinde mit prachtvollem Integrationsindex in der Nähe Stockholms, nimmt man das wortwörtlich. Bürgermeister Lennart Kalderén hat angeordnet, dass Neuankömmlinge im Winter am internationalen Flughafen Arlanda mit einer warmen Jacke empfangen werden, um die örtlichen Bedingungen von Anfang an auch klimatisch meistern zu können.

    Ende des Jahres tritt das "Etablierungsgesetz" in Kraft, in dem die Integration von Einwanderern vom schwedischen Reichstag nach dem Vorbild von Trosa geregelt wird: Das Arbeitsamt entwickelt einen individuellen Plan für jeden Einwanderer. Aufgrund von Ausbildung und Arbeitserfahrungen sucht die Behörde gemeinsam mit einem regionalen Unternehmensnetzwerk einen geeigneten Wohnort - und zwar dort, wo entsprechender Arbeitsplatzbedarf besteht. Dazu gibt es Mentoren und einen "Etablierungslotsen", der mögliche Arbeitgeber besucht, Praktika organisiert und die Verantwortung dafür trägt, dass Migranten in festen und sozialversicherten Arbeitsverhältnissen landen.

    Über die Zukunft der schwedischen Integrationspolitik und ihren Erfolg entscheidet auch die Wahl am kommenden Sonntag. Sollten die rechtsnationalen "Sverigedemokrater" in den Reichstag einziehen, ist auch in Schweden mit einem härteren Ton gegenüber Ausländern zu rechnen.

  2. #2
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    AW: Integration in Schweden - SPIEGEL

    Nämlich nicht nur als Verpflichtung des Einwanderers, sondern auch als Bringschuld der Gesellschaft.
    Bringschuld! Immerhin scheinen einige Schweden andere Vorstellungen von Bringschuld zu haben! Irre was in manchen Köpfen für Irrsin tobt!

  3. #3
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    AW: Integration in Schweden - SPIEGEL

    Derzeit liegt die Arbeitslosenquote in Schweden bei ca. 8% Damit ist sie höher als in Deutschland. Scheinbar wird das dort aber nicht zum Knüppel mißbraucht, mit dem man auf die Bürger eindrischt, um ihnen den praktizierten Sozialabbau als notwendige Maßnahme zu verkaufen. In Deutschland werden die Leute gegeneinander ausgespielt

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