Meinung

Integrationsdebatte

DIE WELT: Thilo Sarrazin führt die Volksparteien vor

Die Bürger stimmen nicht den Entgleisungen Sarrazins zu, sondern seinen Denkanstößen, die das Scheitern der Volksparteien offenbaren.

Von Andrea Seibel

Deutschland ist ein schwerfälliges Land und oft zum Verzweifeln: Probleme werden hierzulande nicht gelöst, sondern oft abgelöst. Das droht auch der Integrationsdebatte, die dank Thilo Sarrazins provozierenden Thesen über die Deutschen kam wie ein Donnerwetter. Doch der Stachel dieses Buches, das in beispielloser Weise die öffentliche Debatte der letzten Woche prägte, scheint die Politik schon nicht mehr zu schmerzen. Sarrazin trage nichts zur Lösung bei, sagt die Kanzlerin nochmals in einem Interview mit der Bild am Sonntag, basta. Der Ausschluss, die Vertreibung und Ächtung Sarrazins sind beschämend für unsere politische Kultur. Die Zustandsbeschreibung, die Sarrazin lieferte, aber bleibt.

Deutschland ist jedoch auch ein vernünftiges Land, und daher sind die Menschen wütend über den kollektiven Schulterschluss der Politik: Die Bevölkerung stimmt gerade nicht Sarrazins Thesen zu Intelligenz oder Genetik zu, sondern findet sich wieder in seiner Kritik des Sozialstaates und der mangelhaften Integration von Einwanderern. Die Umfragen vom Wochenende sprechen eine klare Sprache. Man begrüßt seine berechtigten Denkanstöße. Die Einwanderung in Frage stellen oder gar rückgängig machen will man nicht. Längst hat man sie angenommen, aber eben nicht in masochistischer Fügung, sondern stellen selbstbewusst Forderungen: nach Leistung, Teilhabe, Bekenntnis zu Sprache und Kultur.[NEWSBREAK][/NEWSBREAK]

Auch wenn einer Emnid-Umfrage zufolge jeder 5. Deutsche eine Sarrazin-Partei wählen würde: Die Deutschen bleiben vernünftig. Sie sehen in Thilo Sarrazin eben keinen Volkstribunen, der sie aus dem Tal der elenden Volksparteien und ihrer Lebenslügen in eine goldene Zukunft führt. Und würden ihm Friedrich Merz und Joachim Gauck vorziehen, – sieh an, Männer der Mitte, Männer mit Charisma, Männer des Wortes, Männer mit Profil. Wer redete da von einer populistischen Gefahr, wie sie unsere Nachbarländer heimsuchen?

Die Volksparteien sollten sich auf die Hinterbeine stellen. Ihr Volk ist anspruchsvoller und lebensklüger, als ihnen wohl lieb ist. Und das ist gut so.