zenit.org: Christen in der Türkei: Von der Wiege des Christentums bis zur verfolgten Minderheit


Christen in der Türkei: Von der Wiege des Christentums bis zur verfolgten Minderheit

Dritter Teil des Vortrags von Bischof Luigi Padovese ein Jahr vor seinem Tod

ROM, 9. Juli 2010 (ZENIT.org).- Der vor einem Monat in der Türkei ermordete Bischof Luigi Padovese, der fließend Deutsch beherrschte, war regelmäßig zu Vortragsreisen in Deutschland eingeladen. Als ehemaliger Professor für Patristik und später als Vorsitzender der türkischen Bischofskonferenz kannte er die Geschichte des Christentums in der Region von der Antike bis zur Gegenwart bestens. ZENIT liegt das Manuskript eines Vortrags vor, den der Bischof am 18. Juni voriges Jahr im fränkischen Ansbach hielt, dessen zweiter Teil im Folgenden dokumentiert wird.

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18. Juni 2009

Vortrag für die Katholische Erwachsenenbildung

Katholisches Pfarramt St. Ludwig, Ansbach

Von Bischof Luigi Padovese

Apostolischer Vikar von Anatolien

Vorsitzender der türkischen Bischofskonferenz

Die beiden oben genannten Schienen, Nationalismus und Sunnitentum führten zu einem türkisch-sunnitisch-muslimischen Staatsgebilde, dessen Duftspuren bereits zuvor in der Luft lagen. Hieraus lassen sich die Anschläge und die Verfolgung in den vergangenen Jahren gegenüber katholischen Priestern und protestantischen Gemeindevorstehern erklären, die lediglich als eine Beeinträchtigung und als Störfaktor der nationalen Identität betrachtet werden.

Bei genauer Betrachtung kann man diese Reaktionen gegen Priester und evangelische Christen als Versuch der Nationalisten verstehen, um Europa von der Türkei zu entfernen und die Türken von Europa. Die extremistische nationalistische Partei muss Feinde suchen und bekämpfen, um die eigene Identität zu festigen: ein deutliches Signal - so wie die letzte Parlamentswahl gezeigt hat - dass diese politische Orientierung an Konsens verloren hat.

Sicher, wenn man die Vergangenheit betrachtet, muss man einräumen, dass die lateinische Kirche viele gute soziale Dinge bewirkt hat - Kollegien, Waisenhäuser und Schulen, von denen durch den Nationalismus nicht mehr viel übrig geblieben ist. Doch sie wurde von vielen Türken als ein Fremdkörper verstanden, der ja gerade im 20. Jahrhundert durch die Besatzungsmächte Italien, Frankreich, England und Griechenland unterstützt wurde. Für die türkische Geschichte ist es von immenser Bedeutung, dass die Entstehung des türkischen Staates zugleich der Tod des ottomanischen Reiches und die Befreiung von den Besatzern ist. Es ist anzumerken, dass die christlichen Missionare nie ein Interesse hatten, ein türkisches Christentum zu gründen. Das größte Hindernis war die Sprache: Wer kein Italienisch oder Französisch verstand, konnte nicht Christ werden. Als der Apostolische Delegat Roncalli, um diesem Hindernis zu begegnen, 1936 einige Gebete in Türkisch in die Liturgie integrierte, wurde er denunziert und musste sich vor dem Vatikan verantworten!

Diese Entwicklung hat natürlich über Jahrzehnte dazu geführt, dass die alten Vorurteile weiter geschürt wurden. Ich erlaube mir noch einmal auf den seligen Papst Roncalli zu verweisen. In seinem Tagebuch vermerkt er 1936, dass es nötig sei, die Vorurteile vieler Türken zu überwinden, die diese ja von Kindesbeinen nicht anders gelernt hatten; es gelte ihnen zu zeigen, dass ein Mensch „gut, milde und integer sein kann, auch wenn er nicht dem Islam angehöre". Heute zahlen wir noch immer für diese mangelnde Inkulturation des Christentums.

Wenn wir von der Vergangenheit zur Gegenwart kommen, muss man einige kleine Verbesserungen eingestehen. Ein wichtiger Schritt ist die Revision des Artikels 301 des Strafgesetzes, nach dem jeder strafrechtlich verfolgt wird, der die türkische Nation beleidigt. Dieser Artikel war so allgemein formuliert, dass jeder verfolgt werden durfte, der nur etwas an der Geschichte des Staates zu kritisieren hatte. Man denke nur an den Genozid der Armenier, über den zu sprechen gar nicht erlaubt war. Ans Licht zu bringen, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschah, zieht den Hass der türkischen Nationalisten auf sich; zugleich wollen die kemalistischen Intellektuellen stillschweigend am „Status quo" festhalten.

An diesem Punkt angelangt können wir fragen, wie die aktuelle Situation der Christen in der Türkei aussieht und welche Zukunftsperspektiven es gibt. Eine objektive Beschreibung findet man in der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 5. 1. 2008. „Das Land (die Türkei) - lesen wir - muss einen erneuerten politischen Reformwillen an den Tag legen .... Gewisse Fortschritte wurden in den Bereichen Meinungsfreiheit, Rechte nicht-muslimischer Religionsgemeinschaften ... erzielt. Jedoch fehlt noch ein kohärentes und umfassendes politisches Reformprogramm, insbesondere für die Verfassungsreform." Bezüglich der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes stellt die Kommission „nur begrenzte Fortschritte" fest ... . „Was die Religionsfreiheit anbelangt, wird durch das nunmehr verabschiedete Stiftungsgesetz eine Reihe von Fragen bezüglich der Eigentumsrechte nicht-muslimischer Religionsgemeinschaften geklärt. Es muss jedoch noch ein mit der Europäischen Menschenrechtskonvention übereinstimmender Rechtsrahmen geschaffen werden, der sicherstellt, dass die nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften und die Aleviten keinerlei ungebührlichen Beschränkungen unterworfen sind. Die Türkei muss weitere Anstrengungen unternehmen, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die einer uneingeschränkten Achtung der Religionsfreiheit in der Praxis förderlich ist."

Wie man aus dieser aktuellen Bestandsaufnahme herauslesen kann, besteht das Problem in dem Schritt der Umsetzung: vom Wort und dem Dekret bis in die Praxis kann es ein sehr langer Weg sein. Tatsächlich ist der Druck gegenüber den sogenannten Minderheiten noch immer groß: Steuern, Kontrollen, Diskriminierung, etc.1. Manche Reformen sind nichts anderes als kleine Ausbesserungen. Ein Beispiel ist die Immobilienfrage. Im Februar 2008 wurde ein Gesetz erlassen, um den Gemeinschaften (vor allem den Griechen, Armeniern und Juden) ihre Besitzungen zurück zu geben, die der Staat 1974 konfisziert hatte. Natürlich wurden auch der katholischen Kirche Immobilien enteignet. Aber so lange die katholische Kirche nicht rechtlich anerkannt ist, gibt es keine Möglichkeit einer Restitution der konfiszierten Gebäude und Liegenschaften. Wem sollten die Güter zurückgegeben werden, wenn wir in Wirklichkeit als Rechtsperson nicht existieren?

Wie man leicht versteht, liegt das Problem in der Religionsfreiheit und in der rechtlichen Anerkennung der Kirche. Diesbezüglich haben der Europäische Rat und die Europäische Kommission die Türkei nachdrücklich aufgefordert, den unilateral geschlossenen Vertrag von Lausanne hinsichtlich der religiösen Minderheiten zu überarbeiten. Gleichzeitig bitten sie darum, die Konventionen und die Menschenrechte hinsichtlich der Religionsfreiheit zu wahren.2

Bei vielen Beobachtern verstärkt sich der Eindruck, dass sich in der Türkei nichts ohne den Druck von außen bewegt. Das beste Beispiel dafür bietet Tarsus. Ich möchte hierbei das große Interesse der staatlichen türkischen Autoritäten betonen, mit dem sie die 2.000-Jahr-Feier des Paulus von Tarsus verfolgen. Ohne das Interesse der deutschen Bischöfe und der deutschen Bundesregierung hätten wir, als Bischöfe der Türkei, kaum etwas machen können. Wenn, wie ich es mir wünsche, die Kirche in Tarsus genehmigt wird - dort, wo momentan ein Museum ist - wäre das ein wichtiges Zeichen, dass man tatsächlich zu einer Demokratie kommen will, die zugleich den Pluralismus erlaubt! Wir dürfen aber nicht vergessen, dass dieser Weg ein Aufstieg ist.

Im Pastoralschreiben an die Gläubigen anlässlich des Paulusjahres haben wir aufgezeigt, dass die Christen in der Türkei am Leiden des heiligen Paulus teilhaben. Zugleich hat ihn nichts in seinem Missionseifer halten können. Wir haben ihn als Apostel der christlichen Identität definiert, da er sich auf keine falschen Kompromisse eingelassen hat, die frohe Botschaft überall verkündete und es nie zu Formen von Synkretismus kommen ließ. Das war seine Haltung gegen jene jüdischen Strömungen, die das Heilswerk Christi banalisierten, genauso wie gegen jene, die ein Christentum ohne Konversion als Ausdruck ihrer vermeintlichen Freiheit vertraten. Die Verkündigung Christi - wie Paulus sagt: Ärgernis und Torheit für viele - ist der Ausgangspunkt für den Dialog mit dem Islam. Es geht um einen wahrhaftigen Dialog, der nicht die Unterschiedlichkeit ignorieren darf. Nach dem großen Rückgang der Christen in der Türkei sind wir heute wieder in der Position der kleinen paulinischen Gemeinden, die mehr denn je gefragt sind, von ihrem Glauben Zeugnis abzulegen. Ich weiß nicht, ob diese knappen Ausführungen rechtfertigen, warum ich von der Türkei als dem „heiligen Land der Kirche" rede. Ich meine, dass dieses Attribut der geschichtlichen Wahrheit am besten entspricht. Wenn unsere Wurzeln auf das Land Jesu zurückgehen, dann finden wir hier den Stamm des Baumes, der Christentum heißt. Und es ist gut, wenn die Äste, die heute leben, weder die Wurzel, noch den Stamm, und somit auch uns in der Türkei nicht vergessen!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Ende Teil 3 von drei Teilen. Teil 1 und Teil 2 erschienen jeweils am 25. Juni und am 2. Juli 2010 bei ZENIT]

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(1) Luigi Padovese: Christen in der Türkei: Von der Wiege des Christentums bis zur verfolgten Minderheit

(2) Luigi Padovese: Christen in der Türkei: Von der Wiege des Christentums bis zur verfolgten Minderheit

Türkischer Muslim ersticht kath. Bischof!