Wandere aus, solange es noch geht - Finca Bayano in Panama!
Ergebnis 1 bis 3 von 3
  1. #1
    Registriert seit
    15.11.2007
    Beiträge
    3.858
    Blog-Einträge
    2

    Leben im Dazwischen

    Über Mariam, sechzehn, kann man Folgendes sagen: Dass sie klug ist, und schlagfertig. Dass sie schön ist - dunkelhaarig, dunkeläugig, manche meinen, ein bisschen wie Penélope Cruz, die Schauspielerin. Dass sie in Berlin lebt, mitten im Wedding, und mag, was Jugendliche dort eben so mögen: im Gesundbrunnencenter herumhängen, zum Beispiel.


    Dass sie manchmal mit ihrer Schwester durch ihr Zimmer tanzt, und unmögliche Kleiderkombinationen ausprobiert. Dass sie ein bisschen davon träumt, einen Jungen kennenzulernen, wie es sie in Filmen gibt, oder in Illustrierten. Man könnte über Mariam aber auch sagen, dass sie eine besondere Technik entwickelt hat, um Worte an sich abprallen zu lassen, laute Worte, harsche Predigten, Beschimpfungen. Und eine andere Technik, um den stärksten Tritten und Schlägen ihres Vaters auszuweichen. Dass sie manchmal darum betteln muss, zur Schule gehen zu dürfen. Dass sie oft tagelang in ihr Zimmer eingesperrt wird. Dass sie Angst hat, und unfrei ist, seit sie denken kann.

    Mariam ist die Protagonistin des eben erschienenen Buches "Arabqueen" der deutsch-türkischen Autorin Güner Balci. Es erzählt die Geschichte eines komplizierten Lebens, aus dem es kaum Ausbruchmöglichkeiten gibt, und das immer irgendwo dazwischen stattfindet: zwischen Kulturen, zwischen dem Kampf um Freiheit und der Angst davor, zwischen dem Alltag der Familie und dem vor der Tür. Ein Leben, wie es ziemlich viele Mädchen mit sogenanntem Migrationshintergrund in Berlin führen müssen, und von dem die meisten dennoch nur relativ vage Vorstellungen haben. Sie werden erst dann konkreter, wenn Schlagzeilen daraus werden, in denen Worte wie Ehrenmord und Zwangsheirat auftauchen. Die droht auch Mariam irgendwann. Ein Extrem? "Kein Einzelfall", sagt Güner Balci. Man müsse sich nur mal die Statistiken anschauen. Die der Frauenhäuser zum Beispiel.

    Güner Balci braucht die Statistiken eigentlich nicht, zumal die nur einen Bruchteil erfassen. Sie hat die Mädchen selbst erlebt, Generationen von Mädchen inzwischen. Sie ist in Neukölln aufgewachsen, in jenem längst über die Grenzen der Stadt berüchtigten Rollbergviertel zwischen Hermann- und Karl-Marx-Straße. Ihre Eltern kamen als Gastarbeiter in den 60er-Jahren hierher. Güner Balci hat dort selbst jahrelang in Jugendtreffs als Sozialarbeiterin gearbeitet, noch zu Schulzeiten, und später während des Studiums. Sie hat miterlebt, wie sich das Viertel veränderte, wie die Probleme drängender wurden und die Hilflosigkeit größer, vor allem gegenüber der sogenannten Parallelgesellschaft der arabischen und türkischen Familienclans. Sie kennt die "harten Jungs", die hier leben, die Familien, die Konflikte. Und sie hat in den vergangenen Jahren immer wieder darauf aufmerksam gemacht. Vor zwei Jahren hat Güner Balci ein erstes Buch geschrieben, es hieß "Arrabboy" und beschrieb die Realität der Jungen aus Nordneukölln, eine Welt aus Gewalt, Kriminalität, Drogen. Eine Realität, die damals einige nicht glauben wollten, die aber andere sofort bestätigten: der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky etwa. Oder die Jugendrichterin Kirsten Heisig.

    Es war vor allem die Realität der Straße, und es hat vielleicht auch damit zu tun, dass Frauen in dem Buch nur am Rande vorkamen. Die Schwestern und Mütter der "harten Jungs" sind nicht auf der Straße, wenn es sich vermeiden lässt. Und wenn sie dort sind, gibt es genug Leute, die ein Auge auf sie haben: Die Nachbarn, der Kioskbesitzer, die Cousins, die an der nächsten Ecke herumhängen und auf ein Fehlverhalten lauern: Ein zu lautes Lachen, das Abnehmen des Kopftuches, ein zu keckes Aufblicken. Balcis Protagonistin Mariam und ihre Schwester Fatme sind die Kontrolle von klein auf gewöhnt. Und daran, dass ihre Freiheit genau bis zum nächsten Discounter geht, bei dem sie den Familieneinkauf zu erledigen haben. Sie haben sich in der Schule daran gewöhnt, anders zu sein als die deutschen Klassenkameraden, keine Kindergeburtstage, kein Schwimmbad, kein Fasching. Nur die Auskunft vom vor dem Fernseher sitzenden Vater, dass sie das nicht bräuchten: Geburtstag, Schwimmbad, Fasching. Mädchen, sagt er, "diese Deutschen sind doch verrückt, kein vernünftiger Mensch macht so etwas. Wir Muslime brauchen keinen Fasching". Jeder Widerspruch zwecklos, ja, sogar gefährlich.

    Die Schwestern haben das so oft gehört, dass auch das irgendwann schließlich zu ihrer Lebensstrategie gehörte, unter anderem, um sich nicht permanent als Opfer zu fühlen: das Deutsche abzulehnen. Identifikation durch Abgrenzung, wenn sich sonst schon nichts anbietet. Aber auch das funktioniert nicht. Nicht für sie, und nicht generell. Wenn man die Mädchen für sich in ihrer Kultur betrachten würde, sagt Güner Balci, könne man sich schnell herausreden mit einem: Die sind halt ein bisschen anders. "Aber sie sind nicht so anders. Sie müssen anders leben." Ein Leben im Dazwischen.

    Zu ihrer Lebensstrategie gehört von Anfang an genauso das Lügen und Verstecken. Das Doppelleben. Das heimliche Schminken im abgedunkelten Zimmer, die unter den Betten versteckten Illustrierten. Die Kleider, die sie durch das Fenster in den Hof abseilen, um sich bei Freunden umzuziehen, Kleider, für die sie der Vater krankenhausreif schlagen würde. Der minutiös geplante Ausflug in das Berliner Nachtleben, den sie mithilfe der Cousine unternehmen. Immer kurz vor der Entdeckung, immer mit Angst vor der eigenen Courage - und drastischen Folgen. Als Fatme einmal ihr Kopftuch nicht trägt, und von ihrem Onkel so auf der Straße gesehen wird, rasiert ihr der Vater in einem Akt brutaler Gewalt den Kopf kahl. Als Mariam sich verliebt und es wagt, den Türken Ercan kurz zu treffen - ohne dass es tatsächlich zu einer körperlichen Annäherung kommt, dazu ist sie viel zu scheu - ist das das Ende jeder Ausbruchsmöglichkeiten. Sie wird in ihr Zimmer eingeschlossen. Die Hochzeit mit einem Cousin aus der Türkei besiegelt. Bis dahin wird sie keinen Fuß vor die Tür setzen dürfen.

    Ein Klischee, vielleicht. So wie die deutsche Freundin, die Güner Balci Mariam in dem Buch gegenüberstellt, Lena, die in Paris gelebt hat, die Abitur macht, die liberale Eltern hat, die in ihrer Jugend Hippies waren. Der verständnisvolle Vater, wohl einer der ersten netten Männer, die Mariam in ihrem Leben kennenlernt. Für die meisten anderen hat sie ziemlich harsche Bezeichnungen, wenn sie will. Klischees vielleicht, aber solche, die die Realität hervorbringt. Es hat die beiden Mädchen Mariam und Fatme gegeben, es gibt die beiden Frauen Mariam und Fatme, Güner Balci hat hat Namen und Orte verändert, um die Frauen zu schützen, aber das meiste, was sie erzählt, hat sich so abgespielt. Sie hat die beiden in dem Mädchentreff in Neukölln kennengelernt, in dem sie lange gearbeitet hat. Der Treff war eine der kleinen Freiheiten, die sie damals hatten, die ihnen vor allem erlaubt wurde, weil dort eben nur Mädchen waren. Güner Balci lebt nicht mehr in Neukölln, sie ist vor einer Weile nach Mitte gezogen. Aber sie ist noch heute oft da, auch im Mädchentreff, gerade vor wenigen Tagen erst, um das Buch vorzustellen. Inzwischen kommen fast nur noch arabischstämmige Mädchen dorthin. Der Treff hat sich verändert, so wie sich das Viertel verändert hat, Deutsche gibt es so gut wie gar nicht mehr, auch Türken kaum noch. Die Abgrenzung voneinander ist größer geworden.

    Sie hat also gelesen, und dann wurde erzählt. Geschichten, die begannen mit "Weißt du bei der...", und "Die ist ja auch...". Und es wurde diskutiert, über Freiheit zum Beispiel. Für viele, sagt Güner Balci, ist die einzige Möglichkeit, sich von der Familie zu emanzipieren, zu heiraten. Wenn möglich, nicht den, der ihnen aus dem Verwandtenkreis bestimmt ist. Aber diese Möglichkeit gibt es eigentlich nicht. Ein Mädchen, sagt Güner Balci, hätte gesagt: Eigentlich bräuchten sie jemanden, der hier mal ein paar vernünftige Jungen vorbeibringt, die sie kennenlernen könnten. Das ist die eine Seite.

    Die andere Seite ist, dass es erst vor Kurzem heftige Debatten gegeben hätte unter den Mädchen, weil eine von ihnen mit einem Freund gesehen wurde. Das machte sofort die Runde. Es waren ihre Freundinnen, die sie bei der Tante denunziert haben. Sie sind immer dazwischen. Und sie schwanken. Können sich nicht entscheiden. Güner Balci sagt, sie haben nur diese eine Möglichkeit: Entweder fremd in der Gesellschaft zu bleiben, entmündigt in ihrem Schicksalskorsett. Oder aber Abschied zu nehmen von allem, was ihr Zuhause war.

    Für ihre Protagonistin wollte sie das. Sie sollte rebellieren, auch um anderen Mädchen ein Vorbild zu sein. Mariam flüchtet im letzten Moment vor ihrer Hochzeit durch einen beherzten Kletterakt aus einem Badezimmerfenster und mit Hilfe mehrerer Helfer in ein Frauenhaus. Am Ende des Buches fährt sie schließlich mit dem Zug nach Hannover, einer irgendwie besseren Zukunft entgegen.

    Die wirkliche Mariam hat das nicht geschafft, genauso wenig wie ihre Schwester. Güner Balci sagt, manchmal trifft sie sie heute noch, auf der Straße, junge Frauen inzwischen, verheiratet. Verheiratet mit Männern, die sie nie wollten, schlimmen Männern, sagt Güner Balci. Es sind kurze Begegnungen, manchmal kommt einer der Männer um die Ecke, um die Unterhaltung zu unterbrechen, meist haben sie ihre drei, vier Kinder mit dabei.

    Ihre Kinder. Die jungen Frauen werden irgendwann zu Müttern, das ist so vorgesehen. Oft genug zu Müttern von Jungen, die früher oder später ihre Schwestern und Töchter unterdrücken. Die Frauen, sagt Güner Balci, sind ja auch Teil des Systems. Sie tragen es mit. Sie gebären die Kinder, und sie erziehen sie, zumindest die ersten Jahre fast alleine. Sie sind Teil der Community, die sich gegenseitig überwacht. Es gibt einige Momente in Güner Balcis neuem Buch, in denen sich erahnen lässt, wie jeder einzelne, der prügelnde Vater, die so hilflose wie ihrerseits aggressive Mutter, die Brüder, auf ihre Art gefangen sind. Gefangen in einer Rolle, die sie sich nicht ausgesucht haben.

    Güner Balci hat keine Patentlösung, aber ein Anliegen. Die Mädchen, sagt sie, sollten zumindest ihre Grundrechte kennen, wissen, dass es die gibt. Früher, auch in der Zeit in der sie aufwuchs, sei selbstverständlich gewesen, dass Menschen als freie Individuen erzogen werden. Besser oder schlechter, aber frei. "Das sind doch unsere Mädchen", sagt sie. Unsere Zukunft.
    MoPo

  2. #2
    Registriert seit
    23.05.2010
    Beiträge
    9.680
    Blog-Einträge
    2

    AW: Leben im Dazwischen

    Hätte dieses Buch eine deutsche Frau geschrieben, würden die Musels glatt behaupten, das alles seien Vorurteile und nichts davon wäre wahr. Ich habe Güner Balci in einem Fernsehinterview gesehen und muss sagen, sie ist eine moderne Türkin und ein Hoffnungsträger. Nach ihrer Beschreibung dieses Muselmillieus kann ich nur festestellen, dass all unsere Befürchtungen und Ahnungen bestätigt werden. Diese schizoiden Traditionsbekenner verpassen die Chance, eine neue Generation in unsere Gesellschaft einzugliedern. Warum werden unsere Gestze nicht angewandt, um den jungen Muslimen zu helfen in ihrem Bemühen, sich unserer Gesellschaft anzupassen? Jugendämter sind nicht grade das, was man als echte Jugendhilfe brauchen kann. Eher kann man sie als Familientragödienförderer ansehen. Dabei sollten sie doch diejenigen sein, die hier helfend eingreifen könnten. Mein Vorschlag an die Politik : mehr professionelle Mitarbeiter in die Jugendämter, damit auch hier ein richtiger Schritt in die Zukunft unserer Gesellschaft gemacht wird! Wer die Jugend im Stich lässt, verbaut der Gesellschaft einen Teil ihrer Zukunft. Entweder man bekommt das Migrantenproblem bald in den Griff, oder unsere Gesellschsft sitzt bald auf einem Pulverfass!
    Keiner macht alles richtig, und zahlt dafür Lehrgeld. Viele aber machen alles falsch, und lassen andere dafür bluten.

  3. #3
    Registriert seit
    13.07.2010
    Beiträge
    57.799

    AW: Leben im Dazwischen

    Ich kenne die Argumentation in solchen Fällen. Die Muslime behaupten dann, dass das völlig übertriebene Darstellungen seien, weil die Deutschen so etwas lesen wollen. Grundsätzlich wird das als Nestbeschmutzung abgetan
    Alle Texte, die keine Quellenangaben haben, stammen von mir.

Aktive Benutzer

Aktive Benutzer

Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)

Stichworte

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •