welt.de: Sarkozy nimmt deutsche Wirtschaft an die Leine

Die EU-Wirtschaftsregierung kann für Deutschland gefährlich werden. Angela Merkel muss sich wehren – ohne besserwisserisch zu wirken.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy setzt sich mit seiner Vorstellung einer EU-Wirtschaftsregierung durch – zum Nachteil Deutschlands

von Christoph B. Schiltz

Was ist eine europäische Wirtschaftsregierung? So richtig sagen kann das niemand. Selbst die Experten auf der europäischen Polit-Bühne sind uneinig. EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso glaubt, seine Kommissionsbehörde sei die neue Wirtschaftsregierung. Die Bundesregierung erklärt, leicht pikiert: „Das Wort stammt nicht von uns“ und meint damit allenfalls lockere Wirtschaftsdebatten im Kreis der 27 EU-Regierungen.[NEWSBREAK][/NEWSBREAK]

Ganz anders Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Er will, dass die Chefs der 16 Euro-Länder im Rahmen einer Wirtschaftsregierung ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik künftig sehr eng aufeinander abstimmen und zugleich über die Geldpolitik in Europa mitbestimmen.


Verschwurbelter Kompromiss

Wer setzt sich durch? Auf den ersten Blick Kanzlerin Merkel, die Sarkozy vor zehn Tagen in Berlin einen verschwurbelten Formelkompromiss abgerungen hatte, der scheinbar ihre Position stützt. Dieser Kompromiss ist nichts wert. Er taugt nur dazu, den tiefen Graben zwischen Merkel und Sarkozy zu verdecken.

Am Ende wird der Franzose seine Vorstellungen weitgehend durchsetzen. Sarkozy hat unter den Regierungschefs der Euro-Zone mit großem Abstand die meisten Anhänger. Es dominiert die Ansicht, dass die Antwort auf die Wirtschafts- und Finanzkrise nur eine enge Abstimmung in Wirtschaftsfragen sein kann. „Wirtschaftspolitik ist keine nationale, sondern eine europäische Angelegenheit“, sagte Spaniens Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero kürzlich.

Hinzu kommt: Die Reform des Stabilitätspaktes, die Verwaltung des neuen 450 Milliarden Euro-Rettungsschirms und der gemeinsame Kampf gegen eine ungleichmäßige Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit („makroökonomische Ungleichgewichte“) in den nationalen Volkswirtschaften sind so angelegt, dass sie eine enge Verzahnung und regelmäßige Treffen der Eurozonen-Länder nötig machen. Sarkozys Wirtschaftsregierung wächst hinter den Kulissen mit Rasanz heran, während sich draußen die EU-Matadoren noch in verbalen Ringkämpfen um die exakte Begriffsdefinition verharken.


Für Deutschland gefährlich

Für Deutschland ist diese Entwicklung gefährlich. Denn die europäische Wirtschaftsregierung, deren Machtzentrum die Regierungschefs und die neuen Prozeduren innerhalb der Euro-Gruppe bilden, wird langfristig die nationalen Handlungsspielräume in der Wirtschafts- und Finanzpolitik und möglicherweise auch in Sozialpolitik einschränken. Harmonisierung statt Vielfalt, Verzahnung statt Eigenverantwortung und ein Primat der Politik – das sind die Ziele der Wirtschaftsregierung.

Dies dürfte faktisch zu einer weiteren Politisierung der Geldpolitik führen. Natürlich ist die Europäische Zentralbank (EZB) formal unabhängig – in der Praxis, und das haben die vergangenen Monate gezeigt, sind die vertraglichen Garantien aber nicht viel wert.

Immer deutlicher zeichnet sich auch ab, dass der zeitlich befristete Rettungsschirm für Pleiteländer in leicht abgewandelter Form zu einer Dauerlösung in der Eurozone werden soll – alle Forderungen, von EZB, Kommission und Ratspräsident van Rompuy gehen in diese Richtung. Das schwächt die Eigenverantwortung eines Landes und bläht die ohnehin existierende Transferunion weiter auf.


Angela Merkel muss behutsamer auftreten

Angesichts der Milliardenschulden ist bei der Haushaltsüberwachung mehr Kontrolle auf europäischer Ebene sicherlich richtig. Aber warum sollen künftig auch EU-Instanzen – und nicht die Märkte – mit Hilfe von Tabellen über die Wettbewerbsentwicklung eines Landes entscheiden?

Die europäisch verordnete Angleichung der Wettbewerbsunterschiede dürfte letztlich dazu führen, dass Deutschland nicht mehr wie bisher alleine entscheiden kann, welche Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ergriffen werden sollen: Sparquote, Inlandsnachfrage, Lohnstückkosten und indirekte Steuern – all dies wird dann in Brüssel auf den Tisch kommen. Nicht zu Unrecht wittern darum die Partnerländer in der Wirtschaftsregierung auch die Chance, die starke Exportnation Deutschland in die Schranken zu weisen.

Merkel wird diese Entwicklung im Grundsatz leider nicht aufhalten können. Aber die Kanzlerin sollte versuchen, die Wirtschaftsregierung maßgeblich mitzugestalten, um das Schlimmste zu verhindern. Dies gelingt aber nur, wenn Deutschland nicht länger als eigensinniger, schwieriger und zuweilen auch besserwisserischer Partner in Brüssel wahrgenommen wird.