Der Exil-Reformkleriker Eshkevari sagt u.a.:
Die Erfahrung zeigt, dass solche Einschränkungen immer das Gegenteil bewirken. Eines der Resultate ist das Gefühl der Erniedrigung bei den Muslimen. Sie versinken dann in sich selbst und ziehen sich zurück. Es führt zu Ghettobildung und zur Trennung von der Gesellschaft des Gastlandes. Der Spalt zwischen ihnen und der Gesellschaft des Gastlandes geht noch weiter auf.

Aus dieser Masse werden dann Leute rekrutiert, die bereit sind sich eine Bombe umzubinden und sich in der Londoner Metro in die Luft zu jagen. Aus lauter Zorn und aus Revanche für die Erniedrigung.
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derStandard.at - Interview



derstandard.at: "Einschränkungen bewirken das Gegenteil"

von Michaela Kampl | 04. Mai 20 16:01


Der Exil-Reformkleriker Eshkevari über Reformierbarkeit des Iran und was Burkaverbote mit Bomben zu tun haben

"Menschen, die Standpunkte von Demokratie und Menschenrechten vertreten, können doch nicht Personen in so privaten Bereichen Vorschriften machen", sagt Hassan Yussefi Eshkevari im Gespräch mit derStandard.at. Er meint das Burka-Verbot in Belgien. Solche Maßnahmen hätten immer nur das Gegenteil bewirkt. Im Iran erkennt er Fortschritte, die in Richtung Demokratisierung und Reform des Islam deuten.

Der Reformkleriker lebt seit 2005 im Exil, derzeit in Italien. Zuvor war er vier Jahre im Iran in Haft. Ein iranisches Sondergericht für Geistliche hatte zuerst ein Todesurteil ausgesprochen, das aber in zweiter Instanz in eine Haftstrafe umgewandelt wurde. Der Grund für seine Festnahme: Eshkaveri hatte sich im Jahr 2000 bei einer Iran-Konferenz in Berlin kritisch gegenüber dem Regime geäußert. Unter anderem hatte er gesagt, das Kopftuch für muslimische Frauen wäre optional.

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derStandard.at:
Sie haben sich schon im Jahr 2000 bei einer Iran-Konferenz im Berlin dafür ausgesprochen, dass es muslimischen Frauen selbst überlassen sein soll, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Vergangene Woche hat das Parlament in Belgien ein Burka-Verbot beschlossen. Was sagen Sie, zu einem Staat, der eine bestimmte Kleidungsart verbietet, wie Belgien, im Vergleich zu einem Staat, der bestimmte Kleidungsvorschriften anordnet, wie der Iran?

Eshkevari:
Man kann nicht mit zweierlei Maß messen. Menschen die Standpunkte von Demokratie und Menschenrechten vertreten, können doch nicht Personen in so privaten Bereichen Vorschriften machen. Es kann nicht sein, dass zweierlei Logik für ähnliche Situationen gilt. Wenn ein westlicher demokratischer Staat vorschreibt, dass Menschen, die eine andere kulturelle Entwicklung haben, sich so und so zu verhalten haben, also nicht die Burka tragen.

Sonst kann man mit dem gleichen Recht erwarten, dass die islamische Republik westlichen Frauen vorschreiben darf, dass diese sich bei einem Besuch des Landes nach islamischen Gesetzen kleiden.
Die Erfahrung zeigt, dass solche Einschränkungen immer das Gegenteil bewirken. Eines der Resultate ist das Gefühl der Erniedrigung bei den Muslimen. Sie versinken dann in sich selbst und ziehen sich zurück. Es führt zu Ghettobildung und zur Trennung von der Gesellschaft des Gastlandes. Der Spalt zwischen ihnen und der Gesellschaft des Gastlandes geht noch weiter auf.

Aus dieser Masse werden dann Leute rekrutiert, die bereit sind sich eine Bombe umzubinden und sich in der Londoner Metro in die Luft zu jagen. Aus lauter Zorn und aus Revanche für die Erniedrigung.

derStandard.at:
Sind die Proteste gegen die Wiederwahl Ahmadinejads ein Zeichen dafür, dass reformorientierte Kräfte stärker werden? Oder ist das eine Missinterpretation?

Eshkevari: Ich denke, dass es vorwärts geht. Es gibt eine Parallele zwischen der Entwicklung dieser Bewegung und der Entwicklung des Reformdenkens im Islam seit den vergangenen 30 Jahren. Die Erfahrung mit Ahmadinejads Regierung, besonders innerhalb des vergangenen Jahres, hat die Menschen mehr in die Richtung eines neuen Weges getrieben.

derStandard.at: Sind die beiden Kandidaten der Opposition Moussavi und Karrubi ein Schritt in Richtung Reform?

Eshkevari: Wenn wir von Vollkommenheit reden, dann nicht. Aber innerhalb der gegebenen Verfassung und für den jetzigen Zeitpunkt ist das sicherlich ein Schritt in Richtung Reform.

derStandard.at: Die Muslime in Europa sind mehrheitlich Anhänger des traditionellen Islam. Wie erklären Sie sich das?

Eshkevari: Dafür sind zwei Gründe ausschlaggebend: Der erste ist, dass sie, indem sie ihre Heimat verlassen haben, neue Entwicklungen nicht mitgemacht haben. Der zweite Grund ist die islamfeindliche Haltung, die sie in Europa erfahren. Diese beiden Tatsachen drängen sie in ihre eigene Identität, in der sie sich sicher fühlen und diese Positionen vehementer zu vertreten.

derStandard.at: Was könnte Europa oder der Westen tun, um einen reformorientierten Islam zu fördern?

Eshkevari: Bezogen auf den Iran soll der Westen und auch die Medien Menschenrechtsverletzungen wahrnehmen, dagegen Position beziehen und darüber sprechen. Die Internationale Gemeinschaft soll immer wieder darauf drängen, dass der Iran die eingegangenen Verpflichtungen wahrnimmt. Regierungen sollen bei Verhandlungen den Iran immer wieder darauf hinweisen: Ihr habt diese Konventionen unterschrieben, bitte haltet das ein. Die Tür zum Gespräch soll offen bleiben, aber der Ton kann kritisch sein.

Bezogen auf Moslems in Europa: Man muss den Islam in Europa wirklich ernst nehmen, sowohl Regierungen als auch NGOs, Medien und Universitäten. Die Muslime mit den eigenen Bürgern über einen Kamm scheren und nicht mit zweierlei Maß messen.

Die Ausbildung der jungen Moslems, die hier aufwachsen, muss so sein, dass sie mit Begriffen wie Demokratie und Menschenrechten, die die westliche Welt vielleicht länger und besser kennt, vertraut werden.
Muslime im Westen müssen als gleichwertige Staatsbürger behandelt und nicht immer wieder mit der Frage des Terrorismus und der damit einhergehenden impliziten Erniedrigung ihrer Position konfrontiert werden.
Dann werden sie sich auch als verantwortungsvolle Bürger der Länder im Westen fühlen, die eben auch eine islamische Identität haben. Aber sie werden nicht, wie es leider Gottes immer wieder passiert, in die Opposition getrieben.

derStandard.at:
Ist der Iran für Sie eine islamische Republik, oder geht es schon eher Richtung Militärdiktatur?

Eshkevari:
Ja, es geht in diese Richtung. Das Militär zieht seit längerem hinter den Bühnen die Fäden. Jetzt treten sie sehr offen an den Tag und die wichtigsten Geschäfte des Landes liegen in ihren Händen. Es gibt weder eine unabhängige Regierung, noch eine unabhängige Justiz. Das sind alles Instrumente, die den militärischen Kräften zur Verfügung stehen.

derStandard.at:
Könnte sich ein reformorientierter Präsident gegen Militär und Klerus durchsetzen?

Eshkevari:
Es kommt darauf an, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen eine Reformregierung an die Macht kommt. Wichtig ist, dass sie eine möglichst breite Unterstützung in der Bevölkerung hat.
Die Position der derzeitigen Führer der Opposition hat sich im Vergleich zum vergangenen Jahr sehr verbessert. Damals war ihre Anhängerschaft noch nicht so groß. Also wenn sich das verbreitet und verfestigt, wenn sie ein sehr klares Programm haben und wenn sie auch entschlossen sind dieses Programm Schritt für Schritt vorwärts zu bringen, dann könnte eine solche Regierung Erfolg haben.

In diesem einen Jahr hat die Opposition Erfahrung mit der gesellschaftlichen Struktur gemacht und große Unterstützung aus der Bevölkerung bekommen. Wenn sich das in diese Richtung fortsetzt - was wir hoffen - dann wird es möglich sein, die Probleme, die das Land hat, zu lösen.

derStandard.at:
Was war die Ursache dafür, dass der Widerstand gegen Ahmadinejads Wiederwahl vergangenes Jahr so gut funktioniert hat?

Eshkevari:
Diese Explosion ist vielleicht so zu erklären, dass während der ersten Amtsperiode von Ahmadinejad die Unterdrückung und Erniedrigung der gesamten Bevölkerung so spürbar war, dass die Leute das nicht mehr haben wollten. Dieser Topf war vor dem Überlaufen und ist explodiert. Einfacher gesagt: Zu noch mal vier Jahren Ahmadinejad haben die Leute, "nein danke" gesagt.

derStandard.at:
Gibt es auch innerhalb des iranischen Klerus-Establishments Stimmen, die einen reformorientierten Islam unterstützen?

Eshkevari:
Ja, viele. Montazeri war ein ganz wichtiges Beispiel. (Großajatollah Montazeri war einer der bekanntesten Regimekritiker. Er starb im Dezember vergangenen Jahres, Anm.) Aber es gibt mehr: Ajatolla Sanei, der auch Fatwas zu Frauenfragen erlässt und auch Ajatollah Taheri - um nur zwei Namen zu nennen. Sie sind gegen die Politik Ahmadinejads. Vielleicht weicht ihre Sichtweise von der der Zivilgesellschaft ab, aber auch sie wollen den Status Quo nicht mehr. Beim jüngsten Besuch Ahmadinejads in Qom (der heiligen Stadt, Anm.) hat ihn niemand empfangen. Das ist in der iranischen Kultur eine große Beleidigung.

(mka, derStandard.at, 4.5.2010)