Wahlkampf in Großbritannien

faz: Mutlos in Luton - die Kompassnadel zittert

Von Johannes Leithäuser




Labour-Wahlkampf in Luton

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Bei allen Unterhauswahlen seit dem Zweiten Weltkrieg zeigte Luton-Süd die politischen Richtungsänderungen wie ein verlässlicher Kompass an: So wie die Lutoner Mehrheit votierte stets ganz Großbritannien. Dieses Mal aber wirken mehr Magnetfelder als sonst auf die politische Richtungsnadel: erstens die politische Vertrauenskrise, zweitens die Wirtschaftskrise - Luton beherbergt eine Autofabrik des Herstellers Vauxhall, Schwesterfabrikat der Marke Opel -, drittens das im Wahlkampf beschwiegene Einwanderungsthema (fast dreißig Prozent der Einwohner des Wahlkreises sind "nichtweißer Herkunft", mehr als 17 Prozent bekennen sich zum Islam). Als viertes Kraftfeld wirken die neuen Fernsehdebatten der Spitzenkandidaten Brown, Cameron und Clegg auf die Kompassnadel ein.
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Straße für Straße, Haus für Haus

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In den drei Jahrzehnten, in denen sich die Konservativen und Labour in ihren Regierungsepochen abwechselten, hat die Stadt, wie das ganze Land, an Vielfalt gewonnen, aber an Substanz verloren. "Ich bin ja unter den Tories groß geworden", sagt Labours Hoffnung Gavin Shuker, und es klingt, als spräche er von einer Kriegszeit. Seine Mutter arbeitete bei Elektrolux, der Vater bei Vauxhall - damals, als beide großen Firmen noch Zehntausende in Luton beschäftigten. Dann aber zerbrach die Macht der Gewerkschaften am Strukturwandel und an den regierenden Konservativen, und Luton sei "die Hauptstadt der Zwangsversteigerungen im Vereinigten Königreich" geworden, sagt Shuker bitter. Zehn Prozent Arbeitslose - das stecke den Leuten in Luton noch in den Knochen. "Das vergessen die nicht", hofft er.

Und die eigene Bilanz, die Labour-Ära? In der jüngsten Krise habe es nur halb so viele Arbeitslose gegeben, trumpft der Kandidat [Shuker] auf, und fast niemand habe bisher sein Haus wegen unbezahlter Hypotheken an die Bank verloren. Die Labour-Sozialhilfen für Alleinerziehende, für verschuldete Hausbesitzer, die Heizungszulage für die Rentner, das mache eben doch viel aus. Shuker kennt auch die neuen Sozialprogramme von Labour auswendig, die für die nächste Wahlperiode vorgesehen sind:

Ausbildungssicherheit für Schulabgänger, Jobgarantie für Langzeitarbeitslose (nach zwei Jahren). Als er auf seiner Straßenrunde eine junge Frau trifft, die gerade ihr Auto eingeparkt hat und ihm schlecht gelaunt zuruft, sie habe genug von Labour und von der ganzen Politik, breitet Shuker lächelnd seine Angebote aus. Ihr Vater sei seit einem Jahr arbeitslos, gibt sie zurück, mit sechzig Jahren! Solle er noch ein Jahr auf das Garantieversprechen warten? "Und dann gebt ihr ihm doch keinen Job, sondern bloß so'n Trainingsprogramm", hält sie dem Labour-Kandidaten vor. [...]


Sprechstunden dreimal pro Woche

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Das Parteibüro der Konservativen liegt nördlich der Innenstadt in Bury Park, in jenem Wohngebiet, das in Luton schon immer die neuen Einwanderer aufnahm; zuerst katholische Iren, dann muslimische Pakistaner, in neuerer Zeit auch viele Osteuropäer. Wenn Nigel Huddleston aus seinem Büro auf die Straße schaut, blickt er auf das Minarett der größten Moschee in der Stadt. Der Kandidat der Konservativen muss sich um diese Nachbarn kümmern und mindestens einige überzeugen, für ihn zu stimmen, wenn er Luton-Süd gewinnen will. Er beteuert, das klappe ganz gut: Die "großen Themen" David Camerons, also "mehr Bürgersinn, mehr Familiensinn, mehr Eigeninitiative", die deckten sich doch stark mit traditionellen muslimischen Familienwerten.

Huddleston holte im Wahlkampf Lord Sheikh nach Luton, den Gründer und Vorsitzenden des muslimischen Freundeskreises der Tories. Sheikh, ein soignierter Londoner Versicherungsmakler, Muslim indischer Herkunft, in Afrika aufgewachsen, dozierte abends im "Konservativen Club" über die Gründe, für die Konservativen zu stimmen. Es waren vor allem umständlich vorgetragene Passagen aus dem Wahlprogramm. Nicht mehr als zehn Neugierige erschienen, um ihm zuzuhören.


Hussein: Erst Labour-Partei, dann Liberaldemokraten

Am leichtesten fällt es dem Kandidaten der Liberaldemokraten, im Milieu der muslimischen Minderheit den richtigen Ton zu treffen, denn er gehört selber dazu. Qurban Hussein zog vor fünf Jahren schon für die "LibDems" in den Unterhauswahlkampf, kurz nach seinem Austritt aus der Labour-Partei. Das war seiner Weigerung geschuldet gewesen, den britischen Feldzug im Irak zu unterstützen, und brachte ihm damals 22,5 Prozent (knapp 9000) der Stimmen ein. Wenn Hussein dieses Plateau halten und den Zustimmungseffekt nutzen kann, den die Fernsehauftritte seines Parteichefs Clegg den Liberaldemokraten bringen, dann könnte die Addition womöglich ihn in Luton-Süd an die Spitze tragen.

Die Konkurrenz hat gleich Einwände parat: Der LibDem-Mann stamme doch aus Kaschmir, könne sich also keinesfalls auf die Anhängerschaft der vielen Muslime pakistanischer Herkunft verlassen, erzählen sie sich in der Labour-Mannschaft. Doch Labour hat eigene Sorgen im islamischen Viertel. Denn die Partei ist zwar stark verwurzelt im muslimischen Milieu - die Hälfte ihrer zwölf Gemeinderäte stammt von dort -, aber bei der Nominierung des Wahlkreiskandidaten für Luton-Süd scheiterte einer der muslimischen Lokalpolitiker dann doch knapp an dem jungen Gavin Shuker.

Der müht sich bei einem ausgiebigen Rundgang durch die Einkaufsstraße des Viertels, das Manko auszugleichen. Die ortskundigen Labour-Muslime haben ihm das Terrain vorbereitet. Rasch laufen sie voraus zum Gemüsemann, in den Laden des Halal-Fleischers, zum Hähnchengrill, um den Besitzern Besuch anzukündigen und die Kundschaft aufmerksam zu machen. Aus dem Geschäft für Stoffe und Saris zieht einer der Helfer den Labour-Kandidaten zurück, nachdem er einen Blick hineingeworfen hat: Im Laden sitze nur eine verschleierte Verkäuferin ohne männliche Begleitung - dort sollte Shuker also lieber nicht hineingehen.

Es gibt in diesem Wahlkampf außer dem Fernsehen nur eine Institution, die in Luton alle Kandidaten und politischen Farben zusammenbringt: die Kirche. Auf Einladung einer christlichen Initiative treffen sich alle Kandidaten für Luton-Süd an einem Montagabend in der Pfarrkirche St Mary's, die im Schatten der Parkhäuser des Einkaufszentrums steht. Zwölf Teilnehmer und rund drei Dutzend Interessierte finden sich in dem weiten neugotischen Kirchenschiff ein. Der Moderator beginnt den Abend mit einem Gebet: "Herr, unser Gott, führe uns bei der Wahl derjenigen, die künftig in unserem Parlament dienen sollen."

Der ganze Text bei der F.A.Z.

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Labour wollte Masseneinwanderung, um England multikultureller zu machen...