Das Bundesverfassungsgericht hat die Hartz-IV-Sätze für verfassungswidrig erklärt – ein sensationelles Urteil, wie BILDmeint.

Dramatische Folge: Die staatlichen Leistungen für die 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger in Deutschland müssen grundlegend neu berechnet werden. Begründung der Richter: Die bisherige Berechnung sei nicht transparent genug.

Der Gesetzgeber muss bis zum 31. Dezember eine Neuregelung schaffen. So lange bleibt die bisherige gültig.

Bisher erhielten Erwachsene 359 Euro monatlich, Kinder von Hartz-IV-Beziehern je nach Alter zwischen 60 und 80 Prozent davon; der Bedarf wurde bisher nicht eigenständig errechnet – nicht hinnehmbar, wie das Gericht urteilte. Der Abschlag von 40 Prozent gegenüber Alleinstehenden beruhe „auf einer freihändigen Setzung ohne empirische und methodische Fundierung“. Beispielsweise blieben Aufwendungen für Schulbücher, Schulhefte, Taschenrechner unberücksichtigt.

Während ein Kommentar bei der WELT noch zur Sparsamkeit und Vernunft mahnt

Der Staat muss die Spendierhosen ablegen

Die Hartz-IV-Regelsätze müssen neu berechnet werden. Das heißt nicht unbedingt, dass die Transferempfänger künftig mehr Geld in der Tasche haben. Schon heute leben sie manchmal besser als andere Arbeitnehmer. Der Staat sollte unbedingt dafür sorgen, dass nicht der Steuerzahler der Dumme ist. ...
werden schon die ersten neuen Forderungen aufgestellt.

Die Diakonie jubelt: (hierzu nochmals bild.de: Hartz IV – alles neu! )


SOZIALVERBÄNDE JUBELN

Die Diakonie hat die Entscheidung begrüßt. „Das Bundesverfassungsgericht hat damit die Auffassung der Diakonie bestätigt, dass die gegenwärtige Regelung an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen vorbeigeht. Die vom Grundgesetz garantierte Existenzsicherung ist nicht verwirklicht“, erklärte Diakonie-Präsident Klaus-Dieter Kottnik nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe.

Die bisherige Methode sei nicht geeignet, um bedarfsgerechte Hartz-IV-Regelsätze zu berechnen, kommentierte Kottnik das Urteil. Bisher gebe es in Deutschland keinen Konsens darüber, wo das Existenzminimum tatsächlich liege. „Für eine wirklich fachlich fundierte Neuregelung ist unseres Erachtens eine umfassende wissenschaftliche Expertise notwendig“, sagte Diakonie-Präsident Kottnik.

Um das Armutsrisiko für Familien zu verringern, müssen die neu berechneten Kinderregelsätze durch einen umfassenden Ausbau der Infrastruktur begleitet werden. Dazu gehöre unter anderem ein kostenfreies Mittagsessen in Kindertageseinrichtungen und Schulen sowie kostenfreie außerschulische Bildungsangebote.

Zufriedenheit auch bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO), beim Deutschen Kinderschutzbund, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und des Zukunftforums Familie (ZFF). Doch: „Höhere Kinderregelsätze können nur ein erster Schritt sein“, betonten die Verbände in einer Erklärung. Das Karlsruher Urteil löse nicht „die grundsätzlichen Systemmängel unserer milliardenschweren Familienförderung“.

Das System der Familienförderung in Deutschland sei „sozial ungerecht, bürokratisch und intransparent“, so der Vorsitzende des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers: „So bevorzugen die Kinderfreibeträge und Steuererleichterungen gut verdienende Familien, während Sozialgeldbezieher nicht mal von der Kindergelderhöhung profitieren. Diese wird ihnen in voller Höhe abgezogen.


AUS FÜR DIE STEUERREFORM?

Für die Bundesregierung ist das Karlsruher Urteil ein Desaster. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nahm das Urteil mit versteinerter Miene zu Kenntnis, vereinbarte mit ihren Beratern nächste Schritte.

Denn auf den hoch verschuldeten Staat kommen jetzt weitere Milliardenkosten zu. Experten befürchten, dass jetzt für eine kräftige Steuerreform kein Geld mehr da ist!

Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion: „Damit sind die ohnehin absurden Steuersenkungspläne der Koalition endgültig obsolet.“


SIEG FÜR DIE KLÄGER

Geklagt hatten drei Familien im Jahr 2005. Sie hatten argumentiert, dass die Regelsätze für Kinder unter 14 Jahren von damals 207 Euro willkürlich festgelegt seien und das Existenzminimum nicht abdeckten. Außerdem werde der Gleichheitsgrundsatz verletzt, da Kinder von Sozialhilfeempfängern einen zusätzlichen Bedarf geltend machen können, Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern jedoch nicht.

Das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt und das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel bezweifelten in den Verfahren die Rechtmäßigkeit der Regelsätze für Kinder und riefen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an.

Hintergrund: Knapp sieben Millionen Menschen insgesamt beziehen Leistungen aus dieser staatlichen Grundsicherung – rund 1,7 Millionen Kinder in Deutschland bekommen Hartz IV.

***

http :// www . bild . de/BILD/politik/2010/02/09/hartz-iv-sozial-urteil-bundesverfassungsgericht-karlsruhe/entscheidung-ueber-regelsaetze-fuer-kinder.html

***

Passend dazu von der WELT: Wie man mit viel Geld Armut vermehrt - Welt Online