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  1. #1
    open-speech Gast

    Wer hat Angst vor der Scharia? / Interview mit Tariq Ramadan: „Islam ist eine österreichische Religion“

    Wer hat Angst vor der Scharia? 1.11.2009 - Von ERICH KOCINA

    Umfrage: Die Hälfte der österreichischen Türken kann sich Teile des islamischen Rechts in Österreich vorstellen. Debatte um das neue Selbstbewusstsein der Muslime in Europa – und seine Auswirkungen.

    WIEN. Die Scharia als Bestandteil der österreichischen Rechtsprechung – die Hälfte der in Österreich lebenden Bevölkerung mit türkischen Wurzeln ist dafür, sagt zumindest die jüngst vom Innenministerium präsentierte Studie „Integration in Österreich“. Ein Zeichen des erstarkten muslimischen Selbstbewusstseins in Europa, wie der umstrittene muslimische Denker Tariq Ramadan (Interview) es formuliert?

    Fakt ist, dass 50 Prozent der Befragten der Frage zustimmten, ob „Teile des islamischen Rechtes, z. B. Ehe-, Familien- und Erbrecht, in die österreichische Rechtsprechung Eingang finden“ sollten. Und dass der Anteil bei besonders religiösen Muslimen und jenen mit niedriger Bildung noch höher ist. Welcher Rechtsordnung – der islamischen oder der österreichischen – in jenen Bereichen der Vorzug gegeben werden sollte, in denen die beiden in Konflikt geraten würden, wurde nicht erhoben. Und auch nicht, was überhaupt unter Scharia verstanden wird.

    Strafrecht im Blickpunkt

    Denn die Scharia ist kein kodifiziertes Regelwerk, sondern die Gesamtheit der islamischen Glaubensgrundlagen und Regeln, denen sich ein Moslem unterwerfen muss. Als Quellen gelten zunächst der Koran und die Sunna (Erzählungen über und Aussprüche des Propheten Mohammed) und der Konsens der Gelehrten. Im Lauf der Jahrhunderte bildeten sich einzelne Rechtsschulen heraus.

    Besonderes Augenmerk in der westlichen Welt gilt dem islamischen Strafrecht, in dem Hände abzuhacken, Steinigungen und Todesstrafe als Sanktionen möglich sind. Im Großteil der islamischen Staaten existiert allerdings ein duales Rechtssystem, in dem nur Familien- und Erbrecht nach islamischen Regeln behandelt werden. Nur wenige muslimische Länder (Iran, Saudiarabien, kleinere Golfstaaten, teilweise Sudan und Nigeria) wenden die Scharia überhaupt im Strafrecht an – Länder, die Ramadan als Diktaturen bezeichnet, die den Islam „politisch instrumentalisieren“.

    Aber welches Verständnis des islamischen Rechts haben nun die in der Integrationsstudie des Innenministeriums befragten Menschen mit türkischen Wurzeln? Eine Frage, der in der Studie nicht nachgegangen wurde – und damit viel Unsicherheit, aber auch Interpretationsspielraum freilässt. Und das, obwohl explizit nur zu Ehe-, Familien- und Erbrecht gefragt wurde. Dass es einen großen Spielraum bei den Befragten gibt, zeigen jene 16 Prozent, die angaben, es käme darauf an, welche Bestandteile der Scharia angewendet werden sollten.

    Auch in anderen Bereichen der Studie bleiben Fragen offen – etwa bei der Einstellung zu Demokratie und Meinungsfreiheit. Zwar gibt es bei einigen Punkten einen Vergleich mit der österreichischen Mehrheitsbevölkerung – die dezidierte Ablehnung der Demokratie ist in beiden Gruppen mit 6 (Österreicher) und 7 Prozent (Türken) übrigens etwa gleich hoch –, in anderen Fragen fehlt er allerdings.

    Eine Tatsache, die Studienleiter Peter Ulram vom Meinungsforschungsinstitut GfK bedauert: „Die Studie hatte schon so gigantische Ausmaße, da konnten wir manche Themen nur anreißen.“ Er geht jedenfalls davon aus, dass es bei einigen Fragen auch in der Mehrheitsbevölkerung Vorbehalte gibt.

    Seine These, die unter anderem durch eine im Juni veröffentlichte Wertestudie gestützt wird, laut der immerhin 46 Prozent der Österreicher unzufrieden mit der Demokratie sind und sich 21 Prozent einen „starken Mann“ wünschen, „der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss“ – bei aller Vorsicht, dass diese Antwort vielleicht nur die Unzufriedenheit mit den Parteien abbildet.


    Türken in der Opferrolle

    Ein interessanter Aspekt der Integrationsstudie ist die Frage nach negativen Erfahrungen mit der Mehrheitsgesellschaft. Hier gaben 53 Prozent der türkischen Migranten an, dass sie das Gefühl haben, vom Staat benachteiligt zu werden – mehr als die Hälfte fühlt sich also in der Opferrolle. Eine Konstellation, die in der Logik von Tariq Ramadan erst recht zu Problemen führt: „Der schnellste Weg zu extremistischer Gewalt ist das Opferbewusstsein: Ihr wollt uns nicht, jetzt zeigen wir es euch.“

    Dementsprechend ermutigt er alle Muslime, diese Opferrolle aktiv abzulegen und selbstbewusster aufzutreten. Die österreichische Bevölkerung brauche davor allerdings keine Angst zu haben: Denn, so Ramadan, „Selbstvertrauen zu haben heißt nicht stolz oder gar arrogant zu sein.“ Und: „Wer Selbstvertrauen hat, braucht keine Gewalt.“

    ***
    http://diepresse.com/home/panorama/o...reich/index.do

    ***

    Interview:

    Tariq Ramadan: „Islam ist eine österreichische Religion“ - 1.11.2009 - Von Michael Fleischhacker

    Ramadan, einer der wichtigsten islamischen Intellektuellen im Westen, sieht im "Presse"-Interview die Opferrolle als wichtigste Quelle islamischer Gewaltbereitschaft und fordert neues muslimisches Selbstbewusstsein.

    Die Presse: In Ihrem jüngsten Buch, „Radikale Reform“, empfehlen Sie den Muslimen einen Wechsel von der Defensive in die Offensive.

    Tariq Ramadan: Wir müssen von einer „Reform als Adaption“ zu einer „Reform als Transformation“ kommen. Wir sind nicht da, um uns einer Welt anzupassen, in der es Krisen gibt, sondern wir sind dazu da, diese Welt zum Besseren zu verändern. Und ich sage, dass man sich nicht nur auf die Textgelehrten verlassen kann, sondern dass man auch Kontextgelehrte braucht. Wir brauchen Leute, die sich in allen Gebieten der Wissenschaften auskennen, damit wir bessere Grundlagen für eine globale islamische Ethik haben.

    Zunächst gehen Sie aber ganz bewusst zurück zu den Fundamenten, zum Koran und der Prophetentradition. Sie nennen sich ja selbst einen „Reform-Salafisten“.

    Ramadan: Der Punkt ist: Wenn Sie sich heute mit dem Islam und mit den Muslimen beschäftigen und ihnen erklären, dass der Text, der Koran, nicht so wichtig ist, werden die Ihnen nicht einmal zuhören, geschweige denn folgen. Für praktizierende Muslime ist klar, dass sie bei allem, worüber sie heute debattieren, zunächst zurückgehen müssen zu den Quellen, also zum Koran und in die Fußstapfen der ersten drei Generationen. Die Frage ist nicht, ob man zu den Quellen zurückgeht, sondern wie: Mit einem literalistischen, wörtlichen Verständnis oder mit der Überzeugung, dass manche Dinge kontextualisiert werden müssen. Unsere Zeit braucht Veränderung. Das gilt für alle Bereiche, nicht zuletzt für die Wirtschaft, die jetzt so eine schwere Krise durchlebt. Wir schützen die Banken, wir schützen die Konzerne, aber wir schützen nicht die normalen Leute.

    Würden Sie sagen, dass Ihr Ansatz für eine neue islamische Wirtschaftsethik antikapitalistisch ist?

    Ramadan: Ich würde zumindest sagen, dass eine solche Ethik eine fundamentale Änderung unseres Verständnisses vom freien Markt beinhalten muss. Man kann nicht für Demokratie sein und zugleich ein ökonomisches System ohne Regeln und Demokratie befürworten. Jetzt haben wir ein System, in dem der Mensch der Wirtschaft dienen muss. Wir brauchen aber ein System, in der die Wirtschaft den Menschen dient.

    Antikapitalistisches Denken richtet sich gegen das Privateigentum. Die Verteidigung des Privateigentums ist aber einer der Pfeiler islamischen Rechtsdenkens.

    Ramadan: Ja, aber wir müssen einen ethischen Umgang mit dem Eigentum finden: keine Ausbeutung, keine Spekulation. Es gibt im Islam das Zinsverbot. Ich weiß nicht, ob wir auf einen Schlag weltweit das System der Zinsen abschaffen können. Aber wir sollten über eine Strategie nachdenken, mit der wir Schritt für Schritt herauskommen. Wir können auch nicht zulassen, dass transnationale Konzerne wie Coca-Cola oder Nike darüber entscheiden, was Staaten zu tun haben.

    Viele Europäer können sich nicht vorstellen, dass die positiven Veränderungen ausgerechnet aus der islamischen Welt kommen sollen.

    Ramadan: Mir geht es nicht nur um Veränderungen in den westlichen Ländern, sondern auch in muslimischen Mehrheitsgesellschaften. Wir brauchen dort ganz grundsätzliche Änderungen, wenn es um die Frage der Diktatur geht, und um den Mangel an Freiheit.

    Die Literalisten lehnen Ihre Forderung nach Einbeziehung des historischen Kontexts ab, den Liberalen sind Sie zu nah am Koran.

    Ramadan: Ja, ich stehe in der Mitte. Der Offenbarungstext gibt mir eine Richtung, die Geschichte gibt mir eine Realität. Ich will aber nicht nur eine Richtung, und ich will nicht nur die Realität. Ich will beides. Ich habe kein Problem damit, von beiden Seiten angegriffen zu werden. Aber ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass die einzige Möglichkeit, liberal zu sein, die westliche Art von Liberalität ist. Das ist falsch. Die beste Möglichkeit, dem Westen zu helfen, ist, kritisch zu sein gegenüber seinem Lebensstil, seiner Art, mit wirtschaftlichen Fragen umzugehen.

    Sie sagen, dass staatliche Gesetze von einer religiösen Offenbarung abgeleitet werden sollen, und verneinen das säkulare Prinzip.

    Ramadan: Nein, das stimmt nicht. Ich sage, dass wir alle von religiösen Ideen inspiriert sind, in Westeuropa eben vom Christentum.

    Aber niemand käme auf die Idee, dass der Katechismus der katholischen Kirche die Grundlage der Gesetze sein soll.

    Ramadan: Ich definiere Scharia als Weg zur Gläubigkeit. Es ist meine Inspiration. Ich habe kein Problem mit der Gewaltentrennung. Alles, was der menschliche Geist hervorbringt und nicht im Widerspruch zu Zielen wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde steht, ist meine Scharia. Darum habe ich ein Problem mit jenen, die den Islam nicht als europäische oder westliche Religion integrieren wollen. Ich möchte, dass die Österreicher verstehen, dass der Islam eine österreichische Religion ist.

    Aber wir haben große Probleme mit dem politischen Islam.

    Ramadan: Wir haben nicht ein Problem mit dem politischen Islam. Wir haben ein Problem mit der politischen Lage in vielen islamischen Mehrheitsgesellschaften. Schauen Sie sich die arabischen Länder an: keine Freiheit, keine Demokratie. Diktatur. Wo es keine Freiheit gibt, kommt es zu einem sehr engen Verständnis des Islam.

    Der Islam weist in allen seinen Erscheinungsformen Züge der Gewalt auf. Das wird damit entschuldigt, dass die Muslime Opfer seien.

    Ramadan: Ich sage den Muslimen immer, dass sie mit der Opfermentalität aufhören müssen. Wir sind zuallererst selbst für unser Scheitern verantwortlich.

    Mehr islamisches Selbstbewusstsein würde eine Verstärkung seiner expansiven Tendenzen bedeuten.

    Ramadan: Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der schnellste Weg zu extremistischer Gewalt ist das Opferbewusstsein. Schauen Sie sich die einschlägigen Videos an. Da heißt es: Ihr tötet unsere Brüder dort, jetzt töten wir euch hier. Wer Selbstbewusstsein hat, braucht keine Gewalt. Ich sage zu meinen Schülern: Das hier ist euer Land, bringt euch ein, geht zur Wahl, bildet euch. Selbstvertrauen zu haben heißt nicht stolz oder gar arrogant zu sein.

    Der Islam ist mit dem Westen so schwer kompatibel, weil er nicht durch das reinigende Bad der Aufklärung gegangen ist.

    Ramadan: Ja, man ist im Westen den Weg gegen die Vorstellung einer höchsten Autorität in den Händen der Kirche gegangen, um die Aufklärung zu erreichen. Das ist fein. Aber die Aufklärung kam ja von irgendwo her. Das war das Aufeinandertreffen von Christentum und Islam im Mittelalter. Die Frage ist: Haben die Muslime die Kraft, durch einen Prozess zu gehen, der es ihnen wieder, wie seinerzeit, ermöglicht, die zeitgenössischen Herausforderungen zu bestehen? Gleichzeitig würde ich gern dem Westen sagen: Tut nicht so, als sei die Aufklärung das Ende der Geschichte. Ihr habt im Namen der Rationalität getötet. Der Holocaust kommt nicht aus einem religiösen Bewusstsein.

    Sie würden allen Ernstes sagen, dass der Holocaust das Produkt eines Systems ist, das auf der Aufklärung und Rationalität basiert?

    Ramadan: Natürlich war das rational. Im Namen der Rationalität kann man Faschist werden und töten. Faschismus ist nicht irrational, sondern sehr rational: richtig oder falsch, mein Land. In diesem System gibt es keinen Gott, nur ein sehr enges System der Rationalität. Die Aufklärung hatte nicht nur gute Konsequenzen. Wir sollten verstehen, dass die wirkliche Essenz der Aufklärung ein selbstkritisches Bewusstsein ist.

    Es ist unübersehbar, dass es gerade in den muslimischen Mehrheitsgesellschaften große soziale Probleme gibt.

    Ramadan: Für die arabischen Gesellschaften würde ich ihnen zustimmen. Was wir in asiatischen Ländern wie Malaysia sehen, ist aber sehr ermutigend. Für die Probleme in den muslimischen Mehrheitsgesellschaften ist wiederum die Opferrolle die Hauptursache: Wenn wir den Westen für unsere Probleme verantwortlich machen, aber selbst nicht genug für unsere Armen tun, ist das heuchlerisch.

    Sie gelten als das nette Gesicht des Fundamentalismus.

    Ramadan: Diesen Vorwurf hat man schon in den 30er- und 40er-Jahren gegen die Juden erhoben: „double talk“ – dass sie also nicht wirklich denken, was sie sagen, und nicht wirklich sagen, was sie denken. Jetzt passiert dasselbe mit dem Islam. Für viele Menschen ist das, was ich sage, zu schön, um wahr zu sein. Also müssen sie mir unterstellen, dass ich eigentlich etwas anderes denke. Die Wahrheit ist: Der Westen sagt nichts über Steinigungen in Saudiarabien, solange er von dort sein Öl bekommt. Und die Saudis propagieren islamische Werte, obwohl sie eine Diktatur errichtet haben und ihre Prinzen Alkohol trinken und Sklaven halten. Ich kritisiere beide. Und weil sie darauf nichts entgegnen können, werfen mir beide „double talk“ vor.

    http://diepresse.com/home/panorama/r...rreich/518728/

  2. #2
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    AW: Wer hat Angst vor der Scharia? / Interview mit Tariq Ramadan: „Islam ist eine österreichische Religion“

    Prinz Eugen wuerde sich im Grab umdrehen...

    Zitat Zitat von Pest - Watch Beitrag anzeigen
    Wer hat Angst vor der Scharia? 1.11.2009 - Von ERICH KOCINA

    Umfrage: Die Hälfte der österreichischen Türken kann sich Teile des islamischen Rechts in Österreich vorstellen. Debatte um das neue Selbstbewusstsein der Muslime in Europa – und seine Auswirkungen.

    WIEN. Die Scharia als Bestandteil der österreichischen Rechtsprechung – die Hälfte der in Österreich lebenden Bevölkerung mit türkischen Wurzeln ist dafür, sagt zumindest die jüngst vom Innenministerium präsentierte Studie „Integration in Österreich“. Ein Zeichen des erstarkten muslimischen Selbstbewusstseins in Europa, wie der umstrittene muslimische Denker Tariq Ramadan (Interview) es formuliert?

    Fakt ist, dass 50 Prozent der Befragten der Frage zustimmten, ob „Teile des islamischen Rechtes, z. B. Ehe-, Familien- und Erbrecht, in die österreichische Rechtsprechung Eingang finden“ sollten. Und dass der Anteil bei besonders religiösen Muslimen und jenen mit niedriger Bildung noch höher ist. Welcher Rechtsordnung – der islamischen oder der österreichischen – in jenen Bereichen der Vorzug gegeben werden sollte, in denen die beiden in Konflikt geraten würden, wurde nicht erhoben. Und auch nicht, was überhaupt unter Scharia verstanden wird.

    Strafrecht im Blickpunkt

    Denn die Scharia ist kein kodifiziertes Regelwerk, sondern die Gesamtheit der islamischen Glaubensgrundlagen und Regeln, denen sich ein Moslem unterwerfen muss. Als Quellen gelten zunächst der Koran und die Sunna (Erzählungen über und Aussprüche des Propheten Mohammed) und der Konsens der Gelehrten. Im Lauf der Jahrhunderte bildeten sich einzelne Rechtsschulen heraus.

    Besonderes Augenmerk in der westlichen Welt gilt dem islamischen Strafrecht, in dem Hände abzuhacken, Steinigungen und Todesstrafe als Sanktionen möglich sind. Im Großteil der islamischen Staaten existiert allerdings ein duales Rechtssystem, in dem nur Familien- und Erbrecht nach islamischen Regeln behandelt werden. Nur wenige muslimische Länder (Iran, Saudiarabien, kleinere Golfstaaten, teilweise Sudan und Nigeria) wenden die Scharia überhaupt im Strafrecht an – Länder, die Ramadan als Diktaturen bezeichnet, die den Islam „politisch instrumentalisieren“.

    Aber welches Verständnis des islamischen Rechts haben nun die in der Integrationsstudie des Innenministeriums befragten Menschen mit türkischen Wurzeln? Eine Frage, der in der Studie nicht nachgegangen wurde – und damit viel Unsicherheit, aber auch Interpretationsspielraum freilässt. Und das, obwohl explizit nur zu Ehe-, Familien- und Erbrecht gefragt wurde. Dass es einen großen Spielraum bei den Befragten gibt, zeigen jene 16 Prozent, die angaben, es käme darauf an, welche Bestandteile der Scharia angewendet werden sollten.

    Auch in anderen Bereichen der Studie bleiben Fragen offen – etwa bei der Einstellung zu Demokratie und Meinungsfreiheit. Zwar gibt es bei einigen Punkten einen Vergleich mit der österreichischen Mehrheitsbevölkerung – die dezidierte Ablehnung der Demokratie ist in beiden Gruppen mit 6 (Österreicher) und 7 Prozent (Türken) übrigens etwa gleich hoch –, in anderen Fragen fehlt er allerdings.

    Eine Tatsache, die Studienleiter Peter Ulram vom Meinungsforschungsinstitut GfK bedauert: „Die Studie hatte schon so gigantische Ausmaße, da konnten wir manche Themen nur anreißen.“ Er geht jedenfalls davon aus, dass es bei einigen Fragen auch in der Mehrheitsbevölkerung Vorbehalte gibt.

    Seine These, die unter anderem durch eine im Juni veröffentlichte Wertestudie gestützt wird, laut der immerhin 46 Prozent der Österreicher unzufrieden mit der Demokratie sind und sich 21 Prozent einen „starken Mann“ wünschen, „der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss“ – bei aller Vorsicht, dass diese Antwort vielleicht nur die Unzufriedenheit mit den Parteien abbildet.


    Türken in der Opferrolle

    Ein interessanter Aspekt der Integrationsstudie ist die Frage nach negativen Erfahrungen mit der Mehrheitsgesellschaft. Hier gaben 53 Prozent der türkischen Migranten an, dass sie das Gefühl haben, vom Staat benachteiligt zu werden – mehr als die Hälfte fühlt sich also in der Opferrolle. Eine Konstellation, die in der Logik von Tariq Ramadan erst recht zu Problemen führt: „Der schnellste Weg zu extremistischer Gewalt ist das Opferbewusstsein: Ihr wollt uns nicht, jetzt zeigen wir es euch.“

    Dementsprechend ermutigt er alle Muslime, diese Opferrolle aktiv abzulegen und selbstbewusster aufzutreten. Die österreichische Bevölkerung brauche davor allerdings keine Angst zu haben: Denn, so Ramadan, „Selbstvertrauen zu haben heißt nicht stolz oder gar arrogant zu sein.“ Und: „Wer Selbstvertrauen hat, braucht keine Gewalt.“

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    http://diepresse.com/home/panorama/o...reich/index.do

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    Interview:


    Tariq Ramadan: „Islam ist eine österreichische Religion“
    - 1.11.2009 - Von Michael Fleischhacker

    Ramadan, einer der wichtigsten islamischen Intellektuellen im Westen, sieht im "Presse"-Interview die Opferrolle als wichtigste Quelle islamischer Gewaltbereitschaft und fordert neues muslimisches Selbstbewusstsein.

    Die Presse: In Ihrem jüngsten Buch, „Radikale Reform“, empfehlen Sie den Muslimen einen Wechsel von der Defensive in die Offensive.

    Tariq Ramadan: Wir müssen von einer „Reform als Adaption“ zu einer „Reform als Transformation“ kommen. Wir sind nicht da, um uns einer Welt anzupassen, in der es Krisen gibt, sondern wir sind dazu da, diese Welt zum Besseren zu verändern. Und ich sage, dass man sich nicht nur auf die Textgelehrten verlassen kann, sondern dass man auch Kontextgelehrte braucht. Wir brauchen Leute, die sich in allen Gebieten der Wissenschaften auskennen, damit wir bessere Grundlagen für eine globale islamische Ethik haben.


    Zunächst gehen Sie aber ganz bewusst zurück zu den Fundamenten, zum Koran und der Prophetentradition. Sie nennen sich ja selbst einen „Reform-Salafisten“.

    Ramadan: Der Punkt ist: Wenn Sie sich heute mit dem Islam und mit den Muslimen beschäftigen und ihnen erklären, dass der Text, der Koran, nicht so wichtig ist, werden die Ihnen nicht einmal zuhören, geschweige denn folgen. Für praktizierende Muslime ist klar, dass sie bei allem, worüber sie heute debattieren, zunächst zurückgehen müssen zu den Quellen, also zum Koran und in die Fußstapfen der ersten drei Generationen. Die Frage ist nicht, ob man zu den Quellen zurückgeht, sondern wie: Mit einem literalistischen, wörtlichen Verständnis oder mit der Überzeugung, dass manche Dinge kontextualisiert werden müssen. Unsere Zeit braucht Veränderung. Das gilt für alle Bereiche, nicht zuletzt für die Wirtschaft, die jetzt so eine schwere Krise durchlebt. Wir schützen die Banken, wir schützen die Konzerne, aber wir schützen nicht die normalen Leute.


    Würden Sie sagen, dass Ihr Ansatz für eine neue islamische Wirtschaftsethik antikapitalistisch ist?

    Ramadan: Ich würde zumindest sagen, dass eine solche Ethik eine fundamentale Änderung unseres Verständnisses vom freien Markt beinhalten muss. Man kann nicht für Demokratie sein und zugleich ein ökonomisches System ohne Regeln und Demokratie befürworten. Jetzt haben wir ein System, in dem der Mensch der Wirtschaft dienen muss. Wir brauchen aber ein System, in der die Wirtschaft den Menschen dient.


    Antikapitalistisches Denken richtet sich gegen das Privateigentum. Die Verteidigung des Privateigentums ist aber einer der Pfeiler islamischen Rechtsdenkens.

    Ramadan: Ja, aber wir müssen einen ethischen Umgang mit dem Eigentum finden: keine Ausbeutung, keine Spekulation. Es gibt im Islam das Zinsverbot. Ich weiß nicht, ob wir auf einen Schlag weltweit das System der Zinsen abschaffen können. Aber wir sollten über eine Strategie nachdenken, mit der wir Schritt für Schritt herauskommen. Wir können auch nicht zulassen, dass transnationale Konzerne wie Coca-Cola oder Nike darüber entscheiden, was Staaten zu tun haben.


    Viele Europäer können sich nicht vorstellen, dass die positiven Veränderungen ausgerechnet aus der islamischen Welt kommen sollen.

    Ramadan: Mir geht es nicht nur um Veränderungen in den westlichen Ländern, sondern auch in muslimischen Mehrheitsgesellschaften. Wir brauchen dort ganz grundsätzliche Änderungen, wenn es um die Frage der Diktatur geht, und um den Mangel an Freiheit.


    Die Literalisten lehnen Ihre Forderung nach Einbeziehung des historischen Kontexts ab, den Liberalen sind Sie zu nah am Koran.

    Ramadan: Ja, ich stehe in der Mitte. Der Offenbarungstext gibt mir eine Richtung, die Geschichte gibt mir eine Realität. Ich will aber nicht nur eine Richtung, und ich will nicht nur die Realität. Ich will beides. Ich habe kein Problem damit, von beiden Seiten angegriffen zu werden. Aber ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass die einzige Möglichkeit, liberal zu sein, die westliche Art von Liberalität ist. Das ist falsch. Die beste Möglichkeit, dem Westen zu helfen, ist, kritisch zu sein gegenüber seinem Lebensstil, seiner Art, mit wirtschaftlichen Fragen umzugehen.


    Sie sagen, dass staatliche Gesetze von einer religiösen Offenbarung abgeleitet werden sollen, und verneinen das säkulare Prinzip.

    Ramadan: Nein, das stimmt nicht. Ich sage, dass wir alle von religiösen Ideen inspiriert sind, in Westeuropa eben vom Christentum.

    Aber niemand käme auf die Idee, dass der Katechismus der katholischen Kirche die Grundlage der Gesetze sein soll.

    Ramadan: Ich definiere Scharia als Weg zur Gläubigkeit. Es ist meine Inspiration. Ich habe kein Problem mit der Gewaltentrennung. Alles, was der menschliche Geist hervorbringt und nicht im Widerspruch zu Zielen wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde steht, ist meine Scharia. Darum habe ich ein Problem mit jenen, die den Islam nicht als europäische oder westliche Religion integrieren wollen. Ich möchte, dass die Österreicher verstehen, dass der Islam eine österreichische Religion ist.


    Aber wir haben große Probleme mit dem politischen Islam.

    Ramadan: Wir haben nicht ein Problem mit dem politischen Islam. Wir haben ein Problem mit der politischen Lage in vielen islamischen Mehrheitsgesellschaften. Schauen Sie sich die arabischen Länder an: keine Freiheit, keine Demokratie. Diktatur. Wo es keine Freiheit gibt, kommt es zu einem sehr engen Verständnis des Islam.

    Der Islam weist in allen seinen Erscheinungsformen Züge der Gewalt auf. Das wird damit entschuldigt, dass die Muslime Opfer seien.

    Ramadan: Ich sage den Muslimen immer, dass sie mit der Opfermentalität aufhören müssen. Wir sind zuallererst selbst für unser Scheitern verantwortlich.

    Mehr islamisches Selbstbewusstsein würde eine Verstärkung seiner expansiven Tendenzen bedeuten.

    Ramadan: Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der schnellste Weg zu extremistischer Gewalt ist das Opferbewusstsein. Schauen Sie sich die einschlägigen Videos an. Da heißt es: Ihr tötet unsere Brüder dort, jetzt töten wir euch hier. Wer Selbstbewusstsein hat, braucht keine Gewalt. Ich sage zu meinen Schülern: Das hier ist euer Land, bringt euch ein, geht zur Wahl, bildet euch. Selbstvertrauen zu haben heißt nicht stolz oder gar arrogant zu sein.

    Der Islam ist mit dem Westen so schwer kompatibel, weil er nicht durch das reinigende Bad der Aufklärung gegangen ist.

    Ramadan: Ja, man ist im Westen den Weg gegen die Vorstellung einer höchsten Autorität in den Händen der Kirche gegangen, um die Aufklärung zu erreichen. Das ist fein. Aber die Aufklärung kam ja von irgendwo her. Das war das Aufeinandertreffen von Christentum und Islam im Mittelalter. Die Frage ist: Haben die Muslime die Kraft, durch einen Prozess zu gehen, der es ihnen wieder, wie seinerzeit, ermöglicht, die zeitgenössischen Herausforderungen zu bestehen? Gleichzeitig würde ich gern dem Westen sagen: Tut nicht so, als sei die Aufklärung das Ende der Geschichte. Ihr habt im Namen der Rationalität getötet. Der Holocaust kommt nicht aus einem religiösen Bewusstsein.

    Sie würden allen Ernstes sagen, dass der Holocaust das Produkt eines Systems ist, das auf der Aufklärung und Rationalität basiert?

    Ramadan: Natürlich war das rational. Im Namen der Rationalität kann man Faschist werden und töten. Faschismus ist nicht irrational, sondern sehr rational: richtig oder falsch, mein Land. In diesem System gibt es keinen Gott, nur ein sehr enges System der Rationalität. Die Aufklärung hatte nicht nur gute Konsequenzen. Wir sollten verstehen, dass die wirkliche Essenz der Aufklärung ein selbstkritisches Bewusstsein ist.

    Es ist unübersehbar, dass es gerade in den muslimischen Mehrheitsgesellschaften große soziale Probleme gibt.

    Ramadan: Für die arabischen Gesellschaften würde ich ihnen zustimmen. Was wir in asiatischen Ländern wie Malaysia sehen, ist aber sehr ermutigend. Für die Probleme in den muslimischen Mehrheitsgesellschaften ist wiederum die Opferrolle die Hauptursache: Wenn wir den Westen für unsere Probleme verantwortlich machen, aber selbst nicht genug für unsere Armen tun, ist das heuchlerisch.

    Sie gelten als das nette Gesicht des Fundamentalismus.

    Ramadan: Diesen Vorwurf hat man schon in den 30er- und 40er-Jahren gegen die Juden erhoben: „double talk“ – dass sie also nicht wirklich denken, was sie sagen, und nicht wirklich sagen, was sie denken. Jetzt passiert dasselbe mit dem Islam. Für viele Menschen ist das, was ich sage, zu schön, um wahr zu sein. Also müssen sie mir unterstellen, dass ich eigentlich etwas anderes denke. Die Wahrheit ist: Der Westen sagt nichts über Steinigungen in Saudiarabien, solange er von dort sein Öl bekommt. Und die Saudis propagieren islamische Werte, obwohl sie eine Diktatur errichtet haben und ihre Prinzen Alkohol trinken und Sklaven halten. Ich kritisiere beide. Und weil sie darauf nichts entgegnen können, werfen mir beide „double talk“ vor.

    http://diepresse.com/home/panorama/r...rreich/518728/

  3. #3
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    AW: Wer hat Angst vor der Scharia? / Interview mit Tariq Ramadan: „Islam ist eine österreichische Religion“

    Sie würden allen Ernstes sagen, dass der Holocaust das Produkt eines Systems ist, das auf der Aufklärung und Rationalität basiert?

    Ramadan: Natürlich war das rational. Im Namen der Rationalität kann man Faschist werden und töten. Faschismus ist nicht irrational, sondern sehr rational: richtig oder falsch, mein Land. In diesem System gibt es keinen Gott, nur ein sehr enges System der Rationalität. Die Aufklärung hatte nicht nur gute Konsequenzen. Wir sollten verstehen, dass die wirkliche Essenz der Aufklärung ein selbstkritisches Bewusstsein ist.

    Nationalsozialismus und Faschismus bzw. Stalinismus waren keine auf rationalen wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende Ideologien:


    Ablehnung der Atomforschung in allen Systemen, weil "jüdisch" oder der Lehre des Kommunismus widersprechend. Die Lehre von der Überlegenheit der "Arischen Rasse" oder eines erworbenen "Überlegenheitanspruches" durch Geburt in einem Nationalstaat/Kulturkreis (- es gibt seit dem Aussterben der Neandertaler keine "Menschenrassen" mehr), usw..

    Aber Moment, der radikale Islam und seine Vertreter stellen doch auch den Anspruch im Besitz der alleinigen "richtigen" Wahrheit zu sein, oder nicht? -nur er gibt sich nicht den Anspruch anderer totalitäter Ideologien, durch rationalen/wissenschaftlichen Denkansatz entstanden zu sein, ein "imaginäres" Gottesbild liefert die Erklärung für "wahr" oder "falsch". Wäre Gott in der letzten Zeit hier auf der Erde in Erscheinung getreten um etwaige Programmänderungen (Sündflut, Jüngstes Gericht, Heilige Kriege, etc.) bekanntzugeben, so wäre dies sicherlich die größte Sensation in der gesamten Menschheitsgeschichte gewesen -er spricht nicht mehr mit uns Menschen, nicht einmal mit den den selbstauserwählten Muslimen, wir alle haben Gott wahrscheinlich ziemlich enttäuscht

    Die Technokratie wäre ein System, das sich streng nach wissenschaftlichen und rationalen Erkenntnissen richtet. Dort wäre ein "Holocaust" nicht vorgekommen, da das Judentum, meist als Privatangelegenheit des Individuums praktiziert, keine religionsbedingten Veränderungen der Gesellschaft einfordert und somit als nicht systembedrohend eingestuft werden würde. Die Frage, ob hier eine "Religion" oder "Rassenzugehörigkeit" vorliegt, würde nicht gestellt werden, da es ein wissenschaftlich falscher Ansatz ist.

    Im Gegensatz dazu würde diese Staatsform diese Form des radikalen Islams nach rein rationalen und ökonomischen Gesichtspunkten beurteilen und weil systembedrohend, umgehend eleminieren, wobei hier nicht die physische Elimination der Systemabweichung, sondern die maximal zu erzielende Nutzleistung aus der "Abweichung" für das Gemeinwohl aus dem jeweiligen Individuum oder des Kollektivs im Vordergrund stehen würde.
    Weiters wären Religionszugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht soziale oder nationale Herkunft in diesem System irrelevant, als Bewertungsfaktoren des Menschen wären hier nur Fachwissen, Intelligenz und weitere definierte Meßgrößen relevant.
    Religion, Glaube sind hier auf den privaten Bereich beschränkt und im öffentlichen Bereich geduldet, aber nicht gefördert, da nicht "zielführend", eine Ausrichtung der Wirtschaft nach reiner "Profitgier" oder "Share-Holder Value" (Börsengeschäfte) würde in dieser Form nicht entstehen, eher eine Planwirtschaft unter Berücksichtigung gewisser kapitalistischer Erfordernisse.
    Ein ideales System.

    Herr Ramadan möge doch bitte dorthin zurückkehren, wo er her(...)gekommen ist und uns nicht weiter mit seinen Ausführungen über Begriffe wie Rationalität und Aufklärung, die sein geistiger Horizont nicht erfasssen kann, provozieren. Als Gottgläubiger muss er dies allerdings auch nicht, denn sein Gottesbild liefert die Antworten auf alle Fragen.

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