22. August 2009, Neue Zürcher Zeitung - Zeitzeichen

Amok für Allah

Der heilige Krieg und seine Frauen – ein Beispiel aus dem Irak

In der römischen Antike war das Martyrium für den Glauben nicht vorgesehen. Vielgötterei herrschte mitsamt den schützenden Mächten für Haus und Herd, und wenn der Heldentod gefordert schien, so galt er dem Staat, der ihn ehrte – genauer: der res publica, solange sie noch ihren Namen verdiente. Deshalb konnten später die christlichen Bekenner, die ihrer Religion bis zum Äussersten nachlebten, nur mit dem Unverstand – und alsbald mit der Grausamkeit – ihrer Verfolger rechnen. Anderseits wussten sie sich mit einem Jenseits belohnt, das den Himmel über ihnen aufspannte. Viele unter ihnen erhob die Kirche später zu Heiligen ihrer beispielhaften Standfestigkeit.

Die Kämpfer für den heiligen Krieg, die heute den Islam radikalisieren, beseelt eine andere Mission. Auch sie glauben sich zwar geborgen in der Vertikale, die ihr Gott geöffnet hat. Doch tragen sie den Glauben bei Bedarf mit Gewalt in die Welt, was zugleich die Unterscheidung in Freund und Feind erzwingt. Die Folgen dieser politisierten Theologie sind uns längst bekannt – die Handschrift der Anschläge und Attentate läuft inzwischen über den ganzen Globus. Wer aber gemeint hätte, dass die Mobilmachung vorwiegend junge Schreckensmänner rekrutiere, sähe sich mittlerweile eines Besseren belehrt. Die Grenze zwischen den Geschlechtern ist durchlässig geworden, Frauen mit Bildung und Verstand stellen sich in den Dienst des Terrors.


Eine Titelstory


Am vergangenen Wochenende hat die «International Herald Tribune» auf ihrer Titelseite einen Bericht publiziert, der dieses Phänomen auszuleuchten versucht. Die Korrespondentin Alissa Rubin besuchte in einem irakischen Gefängnis eine junge Frau, die – auch nach eigenem Bekenntnis – bereit war, sich und andere mit einem Bombengürtel in die Luft zu sprengen. Mehr noch: Die Attentäterin steht – ebenfalls nach eigenem Bekenntnis – weiterhin parat, das Fanal zu vollstrecken, so sie nur Gelegenheit dazu erhält. Nichts scheint sie von ihrem Vorsatz abbringen zu können. Überdies fühlt sie sich aufgehoben in einer Gruppe von Gleichgesinnten, die den Suizid mit Breitenwirkung teils schon vollzogen haben, teils wie eine latente Offenbarung noch in sich tragen. Die Solidarität unter ihresgleichen trägt dazu bei, dass sich das Gewissen dieser Frauen gegen Zweifel und Skepsis immunisiert hat.

Baida, wie die Frau heisst, stammt aus der Provinz Diyala etwa 65 Kilometer nordöstlich von Bagdad, wo der Terrorismus – auch weiblicher Provenienz – endemisch ist. Die Polizei untersucht, wo immer das möglich ist, dessen Hintergründe und Motive. Spreche man von den Frauen, so sei jede Geschichte gesondert zu betrachten – manche verloren seit der amerikanischen Invasion ihre Angehörigen; andere leben in isolierten Gemeinschaften, die von Extremisten beherrscht werden. Die meisten allerdings stehen unter dem Diktat von Männern, die ihr Leben mit harter Hand regulieren, und alle haben die Lesarten des radikalen Islam kräftig assimiliert. Hinzu tritt, dass sich in dieser Provinz der irakische Ableger von al-Kaida als Gruppierung sunnitischer Fanatiker machtvoll festgesetzt hat.

Endlich greift auch und mit zynischem Hintergedanken eine taktische Erwägung bei den Drahtziehern und Einpeitschern. Da schon viele männliche Attentäter gefasst wurden, werden Frauen in die Pflicht genommen: Erstens verbirgt die traditionelle, bis zum Boden fallende Abaya die Sprengkörper, und zweitens verbieten es sowohl Stammestraditionen wie die arabischen Vorstellungen von Dezenz, dass Leibesvisitationen bei Frauen erlaubt wären. Seither lauten die Instruktionen für die Sicherheitskräfte, darauf zu achten, ob eine Frau eine doppelte Abaya trägt, welche die Bombenweste überwölbt, und ob sie stark geschminkt ist – denn wer glaubt, in Kürze den Himmel zu erreichen, achte besonders auf sein Aussehen.


Biografie des Elends


Das alles bildet den Fond, vor dem das Porträt der Kämpferin immer unheimlichere Konturen erhält. Es ist eine Skizze aus mehreren Begegnungen, schliesslich auch in einer psychiatrischen Klinik, woraus mit irritierender Deutlichkeit eine Mischung aus Fanatismus, Revanchegelüsten und meditierender Gelassenheit hervorspringt. Baida verlor – wie sie erzählt – mehrere Brüder, die als Mujahedin von den Amerikanern getötet wurden. Sie heiratete einen Mann, der sie schon bald mit brutaler Gewalt niederdrückte. Sie kam darauf in Kontakt mit Cousins, die sie einer Gruppe von Terroristen zuführten. Diese pflanzten ihr die Mission ein, indem sie ihren Stolz und ihre Selbstachtung beförderten: in vermeintlicher Freiheit über den eigenen Tod entscheiden zu können. Die ideologische Aufrüstung funktionierte – seither ist Baida bereit und willens zu töten.

Als mögliche Opfer ihrer Pläne nennt sie nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten wie Bauarbeiter, ferner generell die Ungläubigen und die Juden. «I am willing to explode them, even civilians, because they are invaders and blasphemers and Jewish – Ihre drei Kinder hat Baida seit ihrer Verhaftung nicht mehr gesehen. Auf die Frage, ob diese sie vermissten, antwortet sie versonnen: «Allah will take care of them.» Als die Reporterin wissen will, ob sie fähig wäre, auch sie umzubringen, schwankt sie in ihrer Reaktion. Auf ein «Frankly, yes» folgt der Vorbehalt, dass der beiden Bekanntschaft dagegen sprechen könnte, doch dann kommt die Kehre – falls «jene» dies von ihr verlangen würden, wäre sie dazu entschlossen. «As a foreigner it is halal to kill you.» «Halal» meint: Das Gesetz sanktioniert es.

Solches Partisanentum der Mixtur aus Rache und Amok nährt eine Vorstellung von Feindschaft, die von äusserster Intensität getragen ist. Sie hat sich eingerichtet und ausgebildet für die weltlichen Realitäten, aber ihre Rechtfertigung ist letztlich nicht von dieser Welt. Das verleiht dem Islamismus eine Dimension der Kälte, der mit Argumenten der Vernunft und des Lebens nicht mehr beizukommen ist. Psychologen mögen und dürfen darüber spekulieren, welche Hemmungen bei Frauen überspielt werden müssen, damit sie ihren Kollegen und also männlicher Entschlossenheit in nichts mehr nachstehen. Doch im Grunde genommen geht es am Ende um anderes: um eine Façon von Glauben, die das Schwert und den Hass legitimiert – und für alle Proselyten eine Reihe von raffinierten Führern und Verführern aufbietet, die als Big Brother ihre Armeen entsenden.

Big Brother hat noch ein anderes Gesicht. Das Novum dieser Geschichte von Baida liegt weniger in der Sache selbst begründet als in der medialen Präsenz, die sie nun erhalten hat. Der Story von Alyssa Rubin ist eine Fotografie vorangestellt, die gross und in dreifacher Sequenz das Porträt der jungen Frau präsentiert. Baida, wer wollte es bestreiten, ist eine attraktive Persönlichkeit mit nachdenklichem Blick. Nur die grafische Härte zwischen Schwarz und Weiss liesse vermuten, dass dahinter das Gefährliche liegt.


Im globalen Medienraum


Wie «virtuell» oder gar irreal das Abbild im grossen Multiplikator auf der Frontpage der «Herald Tribune» für die global community erscheinen mag, es verweist andernorts auf Wirklichkeiten blutiger Alltäglichkeit. Das Papier trägt den sogenannten Clash of Civilisations wie ein Inserat in die westlichen Lebenswelten, während im Irak die Explosionen dröhnen. «Do not be deceived by my peaceful face», empfiehlt Baida Abdul Karim al-Shammari ihrer Gesprächspartnerin mit ironischem Beiklang. «I have a heart of stone.» Die Bombe tickt.

Quelle