Sauerland-Zelle

Überzeugt von der „richtigen Religion“

Von Marianne Quoirin, 16.08.09, 11:15h, aktualisiert 16.08.09, 11:16h

Im Sauerland-Prozess geben die geständigen Angeklagten Aufschluss darüber, was der Islam für sie bedeutet.




Fritz Martin Gelowicz (Bild: dpa)

DÜSSELDORF - Was stellt sich ein junger Deutscher aus gutbürgerlichem Hause vor, wenn er sich entscheidet, in den Dschihad zu ziehen? Will er Anschläge verüben, als Märtyrer sterben? Fritz Martin Gelowicz, nach eigenem Eingeständnis Anführer der Sauerland-Zelle, sagt auf die Fragen von Bundesanwalt Volker Brinkmann: „Es war schon klar, dass ich an Kampfhandlungen teilnehmen werde, so wie es halt ist im Krieg...“ Aber nach Tschetschenien wollte er am Ende nicht, weil es dort zu kalt sei. Ob er denn in Afghanistan notfalls auf deutsche Soldaten schießen würde, will Brinkmann weiter wissen. „Darüber habe ich damals nicht nachgedacht, aber auf Nato-Soldaten schon. “Der Ankläger hält nach: „Ist die Nationalität der Soldaten zweitrangig, solange sie mit den Amerikanern kämpfen?“ Gelowicz, offenbar ein Kenner amerikanischer Krimis, antwortet mit einem knappen „Korrekt“. Später ergänzt er: „Der Sieg über den Feind ist das vorrangige Ziel, aber ich habe nicht ausgeblendet, getötet zu werden.“ Den Dschihad charakterisiert er als Verteidiger des Islam gegen Menschen, die ihn ablehnen. Die Amerikaner, so die Logik des Angeklagten Gelowicz, führen einen Krieg gegen den Islam: „Nach dem 11. September hat der Westen sein wahres Gesicht gezeigt.“ Die Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled el Masri, den Gelowicz von Besuchen der Moschee in Ulm kannte, habe er als Teil dieses Krieges empfunden.

Bevor am 19. Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf am Nachmittag die Vernehmung des zweiten Angeklagten Adem Yilmaz (30), beginnt, muss sich Gelowicz den Fragen des Gerichts, der Bundesanwaltschaft und der Verteidiger stellen. Dabei werden noch einmal Kindheit und Jugend des Angeklagten abgehakt: seine Probleme in der Schule mit einigen Lehrern, ein nie korrigierte Lese- und Schreibschwäche, das mit Mühen bestandene Fachabitur, der Zivildienst, die Jobs im Solarzellen-Unternehmen des Vaters, Abbruch des Fachhochschulstudiums zum Wirtschaftsingenieur. Es ergeben sich Dialoge, die Einblicke nicht nur in die Lebenswelt des Angeklagten Gelowicz bieten, sondern auch in die des Richters Ottmar Breidling. Auf die Aussage von Gelowicz, er sei mit sechs Jahren mit seiner Familie von München nach Ulm umgezogen, fragt Breidling nach: „Hatte das etwas mit der beruflichen Situation Ihres Vaters zu tun?“ „Nein“, antwortet Gelowicz: „Meine Mutter bekam eine Stelle als Ärztin.“

Breidling will wissen, warum Gelowicz den Wehrdienst abgelehnt und sich für den Zivildienst entschieden habe: „Gab es ein Problem mit der Waffe?“ Antwort: „Nein.“ Später, als der Richter noch einmal auf den Wechsel beim Zivildienst zurückkommt und dem Angeklagten vorhält, er habe den Abschied beim Deutschen Roten Kreuz mit dem Hinweis begründet, dass er beim Anblick von Blut in Ohnmacht falle, bekennt Gelowicz: „Das stimmt nicht ganz, das passiert nur bei eigenen Blut.“

Ottmar Breidling, durch viele Prozesse mit allen Varianten des Islam vertraut, will wissen, warum Gelowicz, nach eigenem Bekunden atheistisch erzogen, kurz vor seinem 16. Geburtstag konvertiert ist. Die Antwort muss verwundern: Gelowicz will versucht haben, seine beiden türkischen Freunde von der Aufgabe ihrer Religion zu überzeugen, sei dann aber zu der Überzeugung gekommen, „dass es die richtige Religion für mich ist“. Später sagt er auch: „Im Koran stehen manche Dinge, die nur von Gott stammen können.“

Breidling will wissen, an welche Regeln sich Gelowicz im Alltag hält. Er befürwortet die strikte Trennung von Männern und Frauen, wollte immer eine Muslimin heiraten, was er auch 2007 getan hat. „Ich gucke kein Bild an, wenn eine Frau kein Kopftuch trägt. Aber ich schmeiße es nicht in den Müll.“ Sein Motto: „Jeder muss wissen, was er tut.“ Über seine Haltung zur Demokratie sagt er: „Das ist jetzt so 'ne Frage. Die Regeln werden von Gott bestimmt, in der Demokratie ist das anders. Als Moslem folge ich dem Koran.“ Richter Breidling: „Heißt Koran Scharia?“ Gelowicz: „Ja, im Prinzip.“

Der Angeklagte, der nach eigenen Angaben Kontakte zu jordanischen, saudi-arabischen und iranischen Geheimdiensten hatte, wird von einem Verteidiger Attila Selek gefragt, ob er auch türkische Agenten kenne. „Nicht das (sic!) ich wüsste...“ Über die Gerüchte, dass Mevlüt K., der an der Beschaffung der Zünder für die Sauerland-Zelle beteiligt gewesen sein soll, auch für den türkischen Geheimdienst und den US-Geheimdienst CIA gearbeitet haben soll, gibt er eine interessante Variante zu Protokoll: „Ich war der Meinung, dass er jemanden beim Geheimdienst kennt, von dem er Informationen bekommt, um dem Dschihad zu helfen.“ Und er bekennt, es gut gefunden zu haben, so Zugang zu Geheimdienstinformationen erhalten zu haben: „Ich war davon überzeugt, dass er auf unserer Seite ist.“

Adem Yilmaz, 1978 in der Türkei geboren und 1986 auf Wunsch des Vaters nach Deutschland gekommen, lässt den Vorsitzenden Richter seine Einlassungen vor den Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) verlesen und abfragen, ob alles so stimmt. Der frühere Kaufhausdetektiv, Fahrscheinkontrolleur und Sicherheitsbeauftragte der Verkehrsbetriebe im hessischen Langen will 2003 durch einen Freund zu seinen Pflichten als Muslim ermahnt worden sein: „Ich habe dann meinen Job gekündigt und mit meiner Verlobten Schluss gemacht. Dann habe ich begonnen, mich mit dem bewaffneten Kampf zu beschäftigen.“

Yilmaz, der zunächst das Gericht provoziert und mehrere Tage Ordnungshaft kassiert hatte, will aus zwei Gründen zu einem umfassenden Geständnis motiviert worden sein: „Das Beweismaterial ist einfach zu dick, die haben ja schon alle Beweismittel. Und Allah hat uns die Möglichkeit gegeben, den Prozess zu verkürzen und von der Möglichkeit der Strafmilderung Gebrauch zu machen.“


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