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Wahlen im Iran

Der Tag, an dem CNN starb


Von Frank Schmiechen 19. Juni 2009, 11:01 Uhr

Im Iran protestieren Zehntausende Menschen auf den Straßen, ein Hauch von Revolution liegt in der Luft. Doch der Nachrichtensender CNN verpennt die Situation. Wer sich für die Lage interessiert, wird stattdessen bei Twitter, Facebook und YouTube fündig. Sind wir Zeugen eines großen Medienumbruchs?

Es war ein dramatischer Samstag. Die Menschen im Iran protestierten auf den Straßen, wollten sich mit der offensichtlich gefälschten Wahl nicht abfinden. Dramatische Bilder, Nachrichten im Minutentakt. Aber nicht auf CNN. Das amerikanische Nachrichtennetzwerk sendete am Abend vorproduzierte Shows und die üblichen News-Updates, die der weltpolitisch wichtigen Situation absolut nicht gerecht wurden. Während im Internet die Drähte aus Teheran heiß liefen, blieb CNN beim geplanten Programm. Wer etwas aus dem Iran hören wollte, konnte beim Kurznachrichtendienst Twitter oder auf Facebook im Internet aus erster Hand erfahren, was gerade passiert. Von Menschen im Iran, die diese Dienste nutzen. Ein schwarzer Tag für CNN.

Ist CNN einfach nur zu unbeweglich geworden oder beginnt gerade eine neue Zeit in der Produktion und Verbreitung von Nachrichten? Auf der „140character“-Konferenz in New York sind sich alle sicher: Wir erleben gerade eine Zeitenwende im weltweiten Nachrichten- und Mediengeschäft. Traditionelle Medien sind zu langsam und satt für die neuen, DSL-schnellen Zeiten. Börsenkurse gibt es online erst mit 10 Minuten Verzögerung. News im Fernsehen und Radio hinken oft Stunden hinter den Ereignissen hinterher, die sie beschreiben. Zeitungen sind einen ganzen Tag zu spät. Bei Twitter und Facebook gibt es alles live.

Konferenz-Veranstalter und Internet-Held Jeff Pulver sagt es so: „Wir sind Pioniere. Heute geht es um ,Real-Time-Informationen’. Twitter ist das neue Jetzt-Medium. Wir lernen gerade eine neue Sprache.“ Und sogar der knochentrockene Chefredakteur von BusinessWeek.com, John A. Byrne, stimmt Pulver zu: „Wir müssen den Journalismus neu erfinden und unser Publikum besser einbinden.“ Aus dem geheimen Prozess in den abgeschlossenen Redaktionsstuben will er in Zukunft einen öffentlichen Vorgang machen. Von der Auswahl der Geschichten über Hilfe beim Faktensammeln bis zum Veröffentlichen auf alten Plattformen will Byrne die Leserschaft beteiligen. Journalismus muss sich öffnen, damit er überleben kann.

Sein Kollege Moeed Ahmad vom arabischen Netzwerk Al Jazeera haut in die gleiche Kerbe. Sein Sender hat bei der Berichterstattung über den Krieg in Gaza soziale Netzwerke eingesetzt, um Stimmen aus dem umkämpften Gebiet zu bekommen und zu verbreiten. Diese Twitter-Nachrichten sind dann weltweit von interessierten Menschen in ihren Nachrichten-Feeds aboniert und gelesen worden. Wir müssen Mehrwert für das Publikum schaffen, auf allen Plattformen. Byrnes etwas bitteres Fazit: „Wenn wir ehrlich sind, ist uns unser Publikum bis heute ziemlich egal gewesen.“

Nicht egal ist es jetzt allerdings dem CNN-Moderator Rick Sanchez auf der Bühne, der die verunglückte Iran-Berichterstattung seines Senders verteidigen muss. Als er es wagt zu bemerken, dass es die Leute vielleicht mehr interessieren würde, dass Britney Spears gerade ihr Höschen auszieht, kommt es zu Tumulten. Ignoranz und Totalversagen sind noch die harmlosesten Vorwürfe, die sich Sanchez gefallen lassen muss. Seine attraktive NBC-Kollegin Ann Curry spürt geschickt den Trend und hält eine leidenschaftliche Rede für Journalismus über ernsthafte Dinge, für die sich die Leute dann auch wirklich interessieren. Brausender Applaus. Der CNN-Kollege ist für das Konferenz-Publikum erstmal gestorben und setzt sich auf der grellen Bühne aus Spaß seine schwarze Ray-Ban-Sonnenbrille auf.

Ob das seinem Sender helfen wird, sich auf die neuen Medien im Netz einzustellen? Er sollte sich beeilen. Denn die nächste Revolution steht schon vor der Tür. Nach den 140-Zeichen-Mitteilungen auf Twitter kommt jetzt Video für Jedermann. Das neue iPhone bietet die Möglichkeit Filme zu drehen und sie sofort ins Internet zu laden. Die anderen Geräte werden folgen. Plattformen im Web wie „12seconds“ dafür stehen schon bereit, um die Videos zu verwalten. Man muss nicht mehr aufwendig schneiden, produzieren – es ist kinderleicht. Schon bald werden wir alle zu kleinen TV-Stationen. Wir werden Momente, Gesichter und Nachrichten mit dem Handy einfangen und für jeden sofort zugänglich machen. Die Revolution im Mediengeschäft ist nicht mehr aufzuhalten. Auch nicht durch blickdichte, dunkle Sonnenbrillen.