Die Soziologin Necla Kelek zu Kopftuch, muslimischen Kindergärten und Islam im Religionsunterricht / Samstag in der Bibliothek

Vom 05.03.2009

BAD KREUZNACH. Was Dr. Necla Kelek sagt, haben viele über Jahre gedacht, es aber nicht auszusprechen gewagt: Die bisherige Integrationspolitik sei gescheitert, weil viele muslimische Migranten sich nicht integrieren wollen. Kelek kommt am Samstag nach Bad Kreuznach. Wir sprachen vorab mit ihr. Frau Kelek, beim Kreuznacher Islamforum rechtfertigten türkische Frauen das Tragen des Kopftuchs als freie Willensentscheidung, als persönlich gelebte Religion. Sie kennen diese Argumente?
Kelek: Natürlich. Jede mündige Frau oder Mann kann sich kleiden, wie er möchte - zum Beispiel ein Kopftuch tragen. Aber das Kopftuch ist nur bedingt religiös zu begründen, es ist auch ein politisches Bekenntnis. Mit einem Kopftuch verhüllt die Frau sich ja nicht aus Ehrfurcht vor Allah, sondern damit wird die Herrschaft der Männer über die Frauen anerkannt. Nach islamischer Auffassung soll sich die Frau in der Öffentlichkeit verhüllen, damit sie den fremden Mann nicht sexuell reizt. Ihre Sexualität gehört allein ihrem Ehemann. Das Kopftuch trennt die Gesellschaft in die Frauen, die ewigen Verführerinnen, und die Männer, das sind ihre Besitzer und die anderen, vor denen der Besitz verhüllt wird. Das läuft unter dem Begriff: Die Frau ist die "Ehre" des Mannes. Das kann durchaus freiwillig geschehen. Aber deshalb ist es lange nicht richtig. Ein Tschador, der Ganzkörperschleier, geht noch einen Schritt weiter. Da wird die Frau zum Nichts, wird entpersönlicht, hat kein Gesicht mehr. Das ist für mich ein Angriff auf die Würde des Menschen, denn es ist in einer freien Gesellschaft niemandem zuzumuten, sich mit Gespenstern zu umgeben. Nicht alles, was man freiwillig macht, ist deshalb richtig. Sonst würde ein freiwilliges Bekenntnis zum Nazitum ja den Faschismus rechtfertigen. Ich kritisiere das, weil es Frauen zu Menschen minderer Rechte macht.
In der Kreuznacher Islamkonferenz hieß es zum Thema Kopftuch auch, deutsche Frauen hätten vor 200 Jahren schließlich ebenso Kopftuch getragen...
Kelek: Ja eben: vor 200 Jahren. Aber aus anderen Gründen, und die Frauen sind inzwischen gleichberechtigt. Es ist ja richtig, Entwicklungen im historischen Kontext zu analysieren, aber wir wollen schließlich nicht ins Mittelalter zurück. Das Kopftuch ist Teil eines Systems, und dieses System hat eben nicht zur Integration muslimischer Bürger, das heißt zur Gleichberechtigung muslimischer Frauen, beigetragen. Wissen Sie, wenn es nicht diese spezifische Gewalt in muslimischen Familien gäbe, die vielen Zwangsverheiratungen und arrangierten Ehen, diese archaischen und mittelalterlichen Bräuche, die Frauen und Kinder zu Besitz der Männer machten, wenn ihre Verhüllung nur ein modisches Accessoire oder individuelle Identität ausdrücken würde, dann könnten die von mir aus ihr ganzes Leben lang als Funkenmariechen herumlaufen.
Interview
Das Kopftuch wird doch auch als Schutz verteidigt?
Kelek: Als Schutz vor den Männern oder der ihrer Meinung nach sittenlosen deutschen Gesellschaft? Dieser so genannte Schutz bedeutet, dass den Frauen das Recht auf Selbstbestimmung entzogen wird. Nein, das Kopftuch wird auch zur Selbstausgrenzung benutzt. Es soll sagen: Seht her wir sind Muslime, und wir sind "rein". Von daher ist es in diesem Sinne auch identitätsstiftend.
In Mainz ist kürzlich ein muslimischer Kindergarten eröffnet worden, in dem Deutsch gesprochen wird. Was halten Sie davon?
Kelek: Man müsste sich das Konzept genau anschauen, um zu sehen, ob die Kinder indoktriniert oder integriert werden. Sind dort ausgebildete Pädagogen tätig, ist es ein Ziel, mündige Bürger zu erziehen et cetera? Mir fällt auf, dass die Islamverbände in Deutschland alle Möglichkeiten nutzen, um ihre traditionell-konservative, reaktionäre Sichtweise zu verbreiten. Sie sind sehr geschickt darin, ihre Rechte beim Bau von Moscheen durchzusetzen, sie reden vom "Kopftuchverbot" und klagen dagegen oder wollen verhindern, dass muslimische Mädchen am Schwimmunterricht an Schulen teilnehmen und begründen das religiös. Es ist der Versuch, mit den Mitteln demokratischer Freiheiten ein anderes, wie ich es empfinde: unfreies Weltbild zu propagieren. Die deutsche Sprache schützt uns davor nicht, überhaupt nicht.
In Bad Kreuznach gibt es alljährlich den Tag der offenen Moschee, an dem zum Dialog der Kulturen geladen wird...
Kelek: Ja, aber es ist, wie ich es aus anderen Moscheen kenne, kein echter Dialog. Man soll in die Moschee kommen, es wird Tee und Gebäck serviert - "süß essen und süß sprechen", wie es im Türkischen heißt. Die Muslime wollen zeigen : "So leben wir." Das ist in Ordnung. Sie meinen damit aber gleichzeitig: "Mischt euch nicht ein." Kritische Gespräche über den Islam werden von den Islamverbänden als Einmischung gewertet. Spricht man Moscheevertreter auf Probleme an, heißt es: "Das hat mit Islam nichts zu tun." Mein Eindruck ist, dass Muslime nicht über den Islam sprechen wollen - schon gar nicht mit "Ungläubigen".
Wie stehen Sie zur Frage eines muslimischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen?
Kelek: Das ist ein sehr wichtiges Thema. Wir müssen unbedingt soweit kommen, dass an deutschen Hochschulen ausgebildete Religionspädagogen und Imame den Kindern die Möglichkeit geben, ihren Glauben kennenzulernen. Denn was an den Koranschulen vermittelt wird, ist grauenhaft und dient allein der Abgrenzung gegenüber den "furchtbaren" Deutschen und Christen. Es wird dort oft ein sektiererischer Islam gelehrt, der ein Menschen- und Weltbild vermittelt, das direkt in eine Gegengesellschaft mündet. Wichtig ist, dass den zukünftigen Religionslehrern beim Studium auch die europäischen Werte, wie die Menschenrechte als höchstes Gut, vermittelt werden. Und wir müssen unterscheiden zwischen Religionskunde, auf die jeder ein Recht hat, und Religionsausübung. Die Religionskunde soll dem Kind ermöglichen, eine eigene Entscheidung zum Glauben zu treffen. Die Religionsausübung aber gehört nicht in den Unterricht.
Davon wird der Ditib, der ja viele Imame hierzulande stellt, nicht gerade begeistert sein.
Kelek: Nicht nur der von der türkischen Regierung gelenkte Ditib, sondern auch die Milli Görüs oder arabische Muslimverbände wollen das natürlich nicht. Aber wir müssen jetzt damit anfangen - und wenn sie dagegen sind, auch ohne sie.
Sie thematisieren die spezifische Gewaltbereitschaft vor allem muslimischer Männer. Haben Sie als exponierte Kritikerin Ihrer eigenen Glaubens- und Kulturgenossen nicht Angst, selbst einmal Opfer dieser Gewaltbereitschaft zu werden?
Kelek: Nein, Furcht darf man nicht haben, dann würde man ja dieses System der Angst akzeptieren. Ich glaube an meine Arbeit, und ich erfahre sehr viel Unterstützung bei meiner Arbeit. Und weil ich in Gefängnissen viel mit inhaftierten muslimischen Männern gesprochen habe, weiß ich, dass viele dieser Männer selbst unter dem tradierten und starren System leiden, in dem sie leben müssen. Ja, sie sind oft regelrecht froh, im Gefängnis ihre Ruhe davor zu haben. Ich spreche vielen muslimischen Mädchen und Jungen aus dem Herzen. Da bin ich mir sicher.
Die Fragen stellte Robert Neuber.