Studie: Juden dienen immer wieder als Sündenbock

Berlin - "Sind Juden!" So antwortet ein 17-jähriger Jugendlicher mit libanesischem Familienhintergrund auf die Frage, warum er meine, dass seine Lehrer es ihm in der Schule so schwer machen. Das Beispiel ist nur eines von vielen aus der Untersuchung "Die Juden sind schuld - Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft am Beispiel muslimisch sozialisierter Milieus", die heute in Berlin vorgestellt wird. Herausgeber sind die Amadeu-Antonio-Stiftung und das Zentrum für Demokratische Kultur; die Präsentation übernimmt der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir. Zu Wort kommen Islamwissenschaftler, Sozialarbeiter und Pädagogen, die über ihre Erfahrungen mit muslimischen Jugendlichen berichten.
"Antisemitismus hat in der muslimischen Bevölkerung sehr unterschiedliche Ursachen", sagt die Extremismus-Expertin Claudia Dantschke. "Ausgeprägt sind antijüdische Tendenzen etwa bei rechtsextremen Türken oder Arabern, deren Familien vom Nahost-Konflikt betroffen sind. Dann wieder gibt es den Mainstream, der Stereotype unreflektiert aufgreift, etwa vom reichen Juden erzählt, der die Medien manipuliert." Mit der Veröffentlichung solle vor allem darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Problem dringend einer genauen empirischen Untersuchung bedarf, die bisher in Deutschland nicht existiert.
Viele Lehrer und Pädagogen in Jugendeinrichtungen berichten von Fällen spontaner antisemitischer Äußerungen ("du Jude", "schwuler Jude") oder Weigerungen, Gedenkstätten und jüdische Museen zu besichtigen. "Nur in seltenen Fällen sind solche Positionen wohl als Ausdruck einer umfassenden antisemitischen Weltanschauung unter Jugendlichen arabischer, türkischer oder muslimischer Herkunft zu werten", sagt der Islamwissenschaftler Jochen Müller. Dennoch verwiesen sie auf die Verbreitung eines "latent vorhandenen antisemitischen Ressentiments": Die Juden dienen als Sündenbock für das Gefühl der Ausgrenzung, persönliche oder gesellschaftliche Probleme. Bestärkt werde dieses Bild oft durch Berichte von Eltern und Großeltern, die ihre Erfahrungen mit Krieg, Flucht und Vertreibung schilderten. Hinzu komme eine oft einseitige Berichterstattung einiger arabischer Satellitenkanäle wie dem in Deutschland populären Sender al-Manar der libanesischen Islamistenorganisation Hisbollah.

Eine Studie des Bundesinnenministeriums kam vor gut einem Jahr zu dem Ergebnis, das Antisemitismus mit religiösem Fundamentalismus zusammenhängt. 39,2 Prozent der befragten fundamentalistischen Muslime zeigten antisemitische Überzeugungen, aber nur 11,6 Prozent der gering religiösen Muslime. Insgesamt stimmten 26,7 Prozent der unter 25 Jahre alten Muslime der Behauptung zu, Menschen jüdischen Glaubens seien überheblich und geldgierig. Nach dieser Studie sind zwei Gruppen für radikale Positionen offen: bildungsferne, junge Muslime, die in der Gesellschaft weitgehend chancenlos sind - und eine kleine Gruppe gut ausgebildeter Vordenker. Gerade unter den jungen Muslimen sind antijüdische Vorurteile erheblich stärker ausgeprägt als in der nichtmuslimischen Vergleichsgruppe.