Auf den ersten Blick unterscheidet sich Gettr kaum von seinem Vorbild Twitter. Vor allem die Farbgebung springt ins Auge: Statt dem einprägsamen Twitter-Hellblau setzt der rechte Klon auf ein tiefes Rot. Eine Fackel ziert das Logo des Netzwerks. Der wichtigste technische Unterschied: Im Gegensatz zu den knappen 280 Zeichen, die für eine Kurznachricht auf Twitter zur Verfügung stehen, sind es bei Gettr bis zu 777 Zeichen.
Gettr wurde im vergangenen Sommer von Jason Miller gegründet, der zuvor als Pressesprecher und Kommunikationsstratege für Donald Trump gearbeitet hatte. Miller, ein Mittvierziger mit Vollbart und zurückgegelten Haaren, blickt auf eine lange Karriere in der Republikanischen Partei zurück. Er verließ das Trump-Team, um eine „unzensierte“ Social-Media-Plattform zu starten – ohne „Cancel Culture“ und mit freier Rede für die Nutzerinnen und Nutzer. So beschreibt sich Gettr zumindest selbst.......Das Versprechen der „Zensurfreiheit“
Mit ihrem Versprechen der „Zensurfreiheit“ richtet sich die Plattform weltweit vor allem an breites Spektrum rechter Nutzerinnen und Nutzer – von Rechtskonservativen bis hin zu Rechtsextremen – die fürchten, auf den etablierten sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook und Youtube gesperrt zu werden.
Seit Jahren gehen diese Plattformen stärker gegen Hassrede, aber auch gegen medizinische Falschinformationen in der Corona-Krise und gegen die Verbreitung mancher Verschwörungserzählungen vor. Rechtsextreme Inhalte und auch die Accounts einiger rechter und rechtsextremer Gruppen und Einzelpersonen wurden gerade in Deutschland zunehmend gesperrt und gelöscht.
Teilweise kommen die Plattformen damit den gesetzlichen Anforderungen etwa durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz nach, teilweise setzen sie ihre darüberhinausgehenden eigenen Communityrichtlinien um. So verbannte der Facebook-Konzern in den vergangenen Jahren etwa die rechtsextreme Identitäre Bewegung und die Organisation „Querdenken“ von seinen Plattformen.
Diese Löschungen und Sperrungen haben einen spürbaren Effekt: Vielfach verzichten Verschwörungsideologinnen und rechte Publizisten mittlerweile von vornherein darauf, bestimmte Inhalte auf den etablierten Social-Media-Plattformen zu verbreiten. Inhalte etwa, in denen die Gefahren des Coronavirus heruntergespielt oder Falschinformationen über Impfungen verbreitet werden. Die Sperren und die vorauseilende Selbstbeschränkung bedeuten teils deutlich geringere Reichweiten, die sich mitunter auch in finanziellen Einbußen niederschlagen.
Längst sind Rechte und Verschwörungsideologen deshalb auf der Suche nach alternativen Plattformen. In dem Messenger und sozialen Netzwerk Telegram haben sie eine solche Alternative gefunden. Dort erreichen die Größen der Szene teilweise bereits mehrere Hunderttausend Menschen.
In diesem Markt versucht auch Gettr Fuß zu fassen. Mehr als vier Millionen Nutzerinnen und Nutzer hat die Plattform laut eigenen Angaben weltweit, davon mehr als 250.000 in Deutschland. Zum schnellen Wachstum in Deutschland trug vor allem eine Reihe prominenter Nutzer und Nutzerinnen bei. Von einem „Reitschuster-Effekt“ sprach Gettr im Dezember in einer Pressemitteilung. Durch die Werbung des ehemaligen „Focus“-Korrespondenten und heutigen „Querdenker“-nahen Journalisten und rechten Medienaktivisten Boris Reitschuster habe das Netzwerk zahlreiche neue Nutzerinnen und Nutzer gewonnen.
Auch der frühere Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der seit Dezember Gettr-Nutzer ist, trug enorm zur Bekanntheit des Netzwerks bei: Er verbreitete dort kurz vor dem Jahreswechsel ein Video des zuvor durch antisemitische Aussagen aufgefallenen Mikrobiologen und Impfgegners Sucharit Bhakdi und befürwortete ein „Impfverbot“. Die Äußerung Maaßens sorgte für breite Kritik und führte zu erneuten Forderungen nach seinem Ausschluss aus der CDU.
Promo für Maaßen und vom Verfassungsschutz beobachtete Rechtsextreme
Zwei Wochen zuvor hatte Gettr-Gründer Jason Miller Maaßen in einem Post als neuen Nutzer der Plattform begrüßt. Maaßen antwortete Miller, er „finde es toll, dass Sie dieses neue Medium aufgebaut haben, das vielen Menschen Hoffnung gibt, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen“. Da „Regierungen und Massenmedien oft eher links und sozialistisch eingestellt“ seien, brauche es Meinungsfreiheit für Menschen, die sich dem Kampf gegen den Sozialismus verschrieben hätten.
Eine persönliche Begrüßung oder Promotion durch den Gettr-Gründer erhielt nicht nur Maaßen. Miller verbreitete und bewarb in den vergangenen Monaten auch Beiträge der Pegida-Chefs Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz. Außerdem verbreitete er Beiträge des Podcasts „Honigwabe“, der unter anderem von einem Rechtsextremisten betrieben wird, der sich „Shlomo Finkelstein“ nennt. In den vergangenen Jahren erlangte der Mann etwa durch ein Video Bekanntheit, in dem er einen Koran zuerst verbrennt, um anschließend auf die Überreste zu urinieren und hetzte seine Followerschaft aus der Anonymität heraus immer wieder auf ihm verhasste Einzelpersonen.
Auch der offizielle Account von Gettr Deutschland bewarb in den vergangenen Wochen mehrere rechtsextreme Medien und Einzelpersonen. So etwa den vorbestraften rechten Rocker Tim Kellner oder die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften und beobachteten Medien „Compact-Magazin“ und „PI-News“...........
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