Das Weltwirtschaftsforum ist aus der Zeit gefallen
Das World Economic Forum muss sich ändern, wenn es eine glaubwürdige Plattform bleiben will. Derzeit wirkt das Format des Gründers Klaus Schwab wie eine Parallelwelt.
Der Erfolg des World Economic Forum (WEF) basiert auf zwei Rezepten: einmal darauf, dass es dem globalen Networker Klaus Schwab jedes Jahr von Neuem gelingt, die Mächtigen aus der Welt der Wirtschaft und Politik zusammenzubringen. Und darauf, dass der inzwischen 82-jährige WEF-Gründer seinen Veranstaltungen jene Aura der Exklusivität verleiht, für die Unternehmen weltweit bereit sind, viel Geld auszugeben. Schwabs Ideen für einen mehr inklusiven Kapitalismus sind aktueller denn je. Seine Erfolgsrezepte verlieren jedoch ihre magische Wirkung.
Erstmals in seiner über 50-jährigen Geschichte musste das Forum diese Woche in die virtuelle Welt ausweichen, weil die Pandemie das übliche globale Speed-Dating der „Mover & Shaker“ in den Schweizer Bergen verhinderte. Das digitale Davos 2021 hat jedoch die Schwächen des bisherigen Formats noch sichtbarer gemacht: Der krasse Gegensatz zwischen den Fensterreden der Autokraten Xi Jinping und Wladimir Putin auf der einen und der oft erschütternden Lage in ihren Ländern auf der anderen Seite wirft die Frage auf, wie lange das WEF diese Parallelwelten auf seiner Plattform noch am Leben halten will.
Dadurch, dass der diktatorisch regierende Xi unwidersprochen von Freiheit und Demokratie schwadronieren konnte und „Zar“ Putin über die Proteste in seinem Land kein Wort verlor, müssen die Auftritte der Großmächtigen auf ihre Landsleute daheim wie Hohn gewirkt haben. Für den Rest der Welt waren sie wie aus der Zeit gefallen.
Parallelwelten von Xi Jinping und Putin
Schwab und das WEF müssen sich fragen, was solche Auftritte noch wert sind, wenn sie nur noch mit Kopfschütteln quittiert werden können. Der WEF-Gründer hat zwar recht mit seiner Forderung, dass es gerade bei Konflikten darauf ankomme, im Gespräch zu bleiben und einander zuzuhören. Ein Gespräch aber hat nicht stattgefunden. Besser wäre es gewesen, Schwab selbst oder ein kompetenter Gesprächspartner hätten die Mächtigen beim Wort genommen und ihnen den Spiegel vorgehalten.
Zugleich war das digitale Brainstorming der globalen Elite weit weniger exklusiv als in der schwerbewachten Festung Davos. Mehr Menschen konnten an den über 140 Online-Veranstaltungen teilnehmen, oft sich sogar mit Fragen zu Wort melden. Das ist gut für das Image des Forums, aber schlecht fürs Geschäft. Das WEF finanziert sich ganz überwiegend durch die Beiträge seiner Wirtschaftspartner aus der Unternehmenswelt. Die Firmen zahlen oft enorme Summen für ihren exklusiven Auftritt auf der Davoser Weltbühne und die Nähe zu anderen Mächtigen aus Wirtschaft und Politik.
Je offener und damit inklusiver das Forum wird, desto mehr verliert es den Glanz der Exklusivität. Das WEF hat in den vergangenen Jahren bereits viel dafür getan, sich zu öffnen und sein Image als Elitegipfel abzulegen. Die Digitalisierung, eines der Lieblingsthemen von Schwab, geht jedoch auch am Forum selbst nicht spurlos vorbei. Die digitalen Technologien bieten Möglichkeiten der Partizipation, die die kommenden Treffen, selbst wenn sie im Mai in Singapur und 2022 wieder in Davos stattfinden können, stark verändern werden. Ob das bisherige „Geschäftsmodell WEF“ dann noch funktioniert, ist keineswegs sicher.
Organisatorisch muss sich das Forum also neu erfinden. Die Ideen, mit denen Schwab 1971 das Forum gründete, sind dagegen noch immer oder wieder verblüffend aktuell. Der Deutsche mit dem Schweizer Pass warb bereits vor 50 Jahren für einen „Stakeholder“-Kapitalismus, also für die Beteiligung aller Betroffenen bei der Ausgestaltung unserer Wirtschaftsordnung. Was könnte nach dem wirtschaftlichen Schock der Finanzkrise und dem anthropologischen Schock der Pandemie aktueller sein?
Wird die Wirtschaft zur fünften Gewalt?
Ebenfalls seit Langem fordert Schwab eine aktivere Rolle von Unternehmen und ihren Managern bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen – sei es der Klimawandel, der Gesundheitsschutz, die digitale Revolution oder die Verteidigung liberaler Werte gegen autoritäre Populisten. Auch hier beweist der WEF-Gründer ein gutes Gespür für den Zeitgeist. Jüngste Umfragen zeigen, dass viele Menschen nur der Wirtschaft noch zutrauen, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.
Hier wartet die nächste große Debatte, die vom Weltwirtschaftsforum gefördert und geführt werden sollte: Die Pandemie hat in vielen Ländern zu einem wirtschaftlichen Comeback des Staates geführt, zugleich sinkt das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Fähigkeiten, die Krise zu bewältigen. Können und sollen Unternehmen, die ja bereits beim Klimaschutz, der Entwicklung von Impfstoffen und in den sozialen Medien quasi staatliche Aufgaben erfüllen, zu einer Art „fünfter Gewalt“ werden und so diese Lücke schließen?
Darüber läuft bereits ein weltweiter Diskurs. Diesem Diskurs ein globales Forum zu geben ist der ureigene und immer noch aktuelle Sinn des WEF. Um diese noble Aufgabe in unserer digitalisierten und von Konflikten gezeichneten Welt weiterhin erfüllen zu können, müssen Schwab und sein Team jedoch mit der Zeit gehen.
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