Nach der Geschlechtsangleichung
"Es hat alles nur schlimmer gemacht"
Ein Leben lang fragt er sich, ob er als Frau glücklicher wäre. Dann wagt Joachim die Operation. Doch danach ist gar nichts einfacher.
Wenn Joachim die Tür zu seiner Erdgeschosswohnung öffnet, hält man ihn für einen Mann. Er trägt seine Haare kurz, hat ein kantiges Gesicht und spricht mit tiefer, fester Stimme. Nur die Slipeinlagen in seinem Badezimmer verraten, dass die Person, die hier lebt, körperlich eine Frau ist.
Eine Geschlechtsangleichung ist endgültig
Dabei würde Joachim es am liebsten vergessen. Er hat die Frauenkleider weggeworfen, die Kosmetik entsorgt. Sogar Bilder, die ihn als Frau zeigen, hat Joachim gelöscht oder zerrissen. „Vernichtet“, sagt er. „Weil ich das nicht bin.“
Jahrelang hat er dafür gekämpft, eine Frau zu werden. Nun, da er eine ist, will er lieber wieder ein Mann sein......Er ist einsam geworden, vorsichtig. Es fällt ihm schwer, anderen zu vertrauen – erst recht den Medien, die, so findet Joachim, zu positiv über den Eingriff berichten...Heute sagt Joachim, das Frausein sei eine Flucht gewesen: Wenn er Kleider trägt, ist er in einer anderen Welt. Die Probleme, die er als Mann hat, treten in den Hintergrund. Sobald sich sein Leben beruhigt, kehrt auch der Mann in ihm zurück. ....Den Großteil seines Lebens war Joachim unsicher, ob er wirklich transsexuell ist. Oder vielleicht nur ein Zwischenwesen. Nicht ganz Mann, aber auch nicht genug Frau. Doch nun fühlt er sich ermutigt. Von dem Arzt, den Medien, der Politik. Der Zuspruch, den er von offizieller Seite erfährt, lässt ihn hoffen. Die Operation soll ihm nicht nur zu einem neuen Körper verhelfen, sondern zu einem neuen, besseren Leben.
„Ich war wie im Rausch“, sagt Joachim. „Als hätte man mir Drogen verabreicht.“...Doch der Experte auf dem Gebiet sagt auch: Transmenschen hätten oft zu hohe Erwartungen an die Operation. „Einige glauben: Als Frau wird alles besser. Aber der Eingriff zaubert kein neues Leben.“....Vor dem Eingriff war Joachim innerlich zerrissen. Aber er hatte Freunde und fand immer wieder eine Partnerin, die ihm Sicherheit gab. Nun tuscheln die Menschen auf der Straße, wenn Joachim ihnen entgegenkommt. Er ist zwar eine Frau, aber er ist allein, ausgegrenzt und gebrechlich. Joachim fragt sich: „Was für eine Scheiße hast du da eigentlich gemacht?“
Der Zeitgeist, so sieht es Joachim, hatte ihm suggeriert, dass sich sein Leben als Transfrau verbessern würde. Dass eine Geschlechtsidentität außerhalb der Norm inzwischen akzeptiert sei. Doch Joachims Alltag kann dieses Versprechen nicht halten. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft eine Lücke.
„Ich erlebte Joachim F. in diesen letzten zwölf Monaten als sehr belastet durch die ungewollte Trennung der Ehefrau und seine Einsamkeit“, schreibt seine Psychologin. „Für mich nachvollziehbar stellt er inzwischen das Konzept Transsexualität ganz infrage.“......Joachims Rückverwandlung passiert schleichend. Irgendwann hört er auf, sich Arme und Beine zu rasieren. Achtet weniger auf seine Figur, kauft Jeans in Größe 42 statt 40. Er zieht seine Absatzschuhe seltener an, schließlich wirft er sie auf den Müll. Dieses Mal will er nichts behalten, nicht einmal seine Kleider. Zum Schluss schneidet er sich die Haare wieder kurz und kehrt zu seiner tiefen Stimmlage zurück. Das Testosteron, das er nimmt, verändert seinen Körperbau. Nun ähnelt er wieder dem Mann, der er vor der Operation war.......In Belgien erhielt ein transsexueller Mann 2013 Sterbehilfe, weil er nach der Operation „unerträgliche psychische Schmerzen“ litt. Die Veränderung hatte ihn noch unglücklicher gemacht.......Die Schweizer Trans-Ikone Coco erkrankte nach dem Eingriff an Osteoporose, mutmaßlich als Folge der Geschlechtsangleichung. Auf die Frage, ob sie sich wieder für eine Operation entscheiden würde, antwortete Coco: „Nein, eher bringe ich mich um.“ Sie nahm sich 1998 das Leben....
https://www.tagesspiegel.de/gesellsc...3758764-3.html