Ukrainische Kriegsflüchtlinge in Berlin: Die Helfer warten vergebens auf Hilfe
Im Untergeschoss des Berliner Hauptbahnhofs herrscht Hochbetrieb. Hunderte Menschen drängen sich an den Tischen, an denen Getränke und Essen ausgegeben werden, die darauf warten, wie es weitergeht. Es sind Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind. Freiwillige Helfer in gelben und roten Westen verteilen Flyer, auf denen steht, wo die Busse zu finden sind, die sie weiterbringen sollen.
Seit Tagen kümmern sich Freiwillige um die Menschen, die Hilfe benötigen. Seit Tagen fühlen aber auch sie sich im Stich gelassen und sprechen von chaotischen Zuständen. Weil sich nach ihren Worten kaum jemand aus der Berliner Verwaltung blicken lasse. Helfer kritisieren, dass sie oft stundenlang nach einem Ansprechpartner in der Senatsverwaltung suchen müssen.
Gennadi ist 59 Jahre alt und Ukrainer. Seit zwanzig Jahren lebt er in Berlin. Er hat sich gemeldet, um am Hauptbahnhof seine Landsleute zu unterstützen. Seine gelbe Weste ist mit einer ukrainischen Fahne versehen. „Hier herrscht totales Chaos. Das ist keine gute staatliche Organisation“, sagt er. Es gebe auch keine Informationen, die zuverlässig seien. Der eine Helfer sage, die Leute müssten sich im Empfangszentrum in Reinickendorf registrieren lassen, der andere wiederum erwähne Reinickendorf mit keinem Wort.
Gerade hat Gennadi eine ukrainische Familie zum Zug nach Paris bringen wollen, doch dort sei ihnen gesagt worden, der Zug sei ausgebucht. Also habe er die Menschen zu einem Bus gelotst. Eine andere Helferin hingegen erzählt, dass es eigentlich ganz gut laufe – auch ohne die Senatsverwaltung. In der RBB-„Abendschau“ spricht eine Freiwillige von der fehlenden Unterstützung: „Wir haben gehofft, dass der Senat hilft. Ich weiß nicht, wo die alle sind.“
Auch Bernhard Moser, Organisator des Feinschmeckerfestivals eat! berlin, kritisiert, dass die Helfer gebremst werden. Moser versorgt derzeit die Kriegsflüchtlinge, hat dafür die Küche seines Weddinger Restaurants umfunktioniert. Es sei unmöglich, am Hauptbahnhof eine Catering-Küche aufzubauen, um den Ankommenden ein warmes Essen zuzubereiten. Die Deutsche Bahn stelle keinen Strom zur Verfügung.
Doch dass Moser keine Küche im Hauptbahnhof aufbauen darf, hat nichts mit der Stromversorgung zu tun, die die Bahn angeblich verweigert. Vielmehr geht es um den Brandschutz. Eine Küche zu betreiben würde laut Feuerwehr eine zu hohe Brandlast bedeuten und sei sicherheitstechnisch nicht zulässig – zumal bei diesen Menschenmassen.
Norbert Raeder, Bezirksverordneter und Gastronom aus Reinickendorf, gehört zu den freiwilligen Helfern in der zentralen Ankunftsstelle in Reinickendorf. „Ich bin jeden Abend dort, um mich um die ankommenden Flüchtlinge zu kümmern. Was ich dort erlebe, ist total chaotisch“, sagt er. Es kämen überwiegend Mütter mit Kindern an. Sie würden nach seinem Empfinden in einem „recht ruppigen Umgangston“ von Security-Kräften angesprochen. „Wenn ich höre, wie ihnen in einem Befehlston gesagt wird, dass sie sich am Testzentrum anstellen sollen, denke ich jedes Mal, dass man die Menschen doch erst einmal willkommen heißen kann.“
Viele Geflüchtete sind laut Raeder mit ihrem Hund, ihrer Katze oder ihrem Kanarienvogel nach Berlin gekommen. Sie könnten in den herkömmlichen Flüchtlingsunterkünften gar nicht mit einem Haustier aufgenommen werden. Schon das sei ein Problem, sagt Raeder. Hinzu käme, dass auch das Empfangszentrum selbst gar nicht für so viele ankommende Menschen ausgerichtet sei. Der Gastronom selbst nimmt in seiner Eventkneipe „Kastanienwäldchen“ die Menschen vorübergehend auf, die nicht mehr verteilt wurden und übrig bleiben. Raeder wünscht sich eine bessere Organisation vom Staat. Er sagt:
„Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer wären die Geflüchteten total aufgeschmissen. Das kann doch nicht sein.“
Thomas de Vachroi, Armutsbeauftragter des Diakoniewerks Simeon und Kirchenkreises Neukölln, findet die Kritik an der Senatsverwaltung ungerechtfertigt. De Vachroi ist krisenerfahren. Bei der Flüchtlingswelle 2015 leitete er die Einrichtung für Geflohene im Rathaus Wilmersdorf. „Wir stehen vor einer ganz anderen Situation als 2015 und müssen diese Flut von Menschen, die täglich in Berlin ankommen, erst einmal bewältigen“, sagt er. Vor allem seien diesmal überwiegend Mütter mit Kindern unter den Geflüchteten. Das stelle auch den Senat noch einmal vor eine ganz andere Herausforderung, da die Ankommenden einen besonderen Schutz brauchen.
Bisher sind es vor allem private Spender und Vereine, die die Krise managen. Der bei der Senatskanzlei angebundene Krisenstab des Senats hat inzwischen Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz und die Malteser in die Hilfsmaßnahmen eingebunden. Das THW ist seit Sonntag am Hauptbahnhof und in Reinickendorf im Einsatz.
Ab Mittwoch, so hofft der Senat, soll es weniger chaotisch am Hauptbahnhof zugehen. Auf dem Bahnhofsvorplatz wird an diesem Tag ein „Willkommensareal“ eröffnen. In dem riesigen Zelt mit dem Namen „WELCOME HALL LAND BERLIN“ sollen ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine betreut und mit Informationen versorgt werden. Von dort aus würden sie zum neuen Ankunftszentrum gebracht, das derzeit im ehemaligen Flughafen Tegel entstehe, sagt die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), als sie am Dienstagabend das neue „Willkommensareal“ zusammen mit Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) vorstellt. Das Ankunftszentrum in Reinickendorf komme an seine Grenzen. Normalerweise kämen hier 1000 Menschen im Monat an, so Giffey. Wann das neue Ankunftszentrum in Tegel eröffnet wird, konnte sie noch nicht sagen.
Zu Vorwürfen von Helfern, dass sich angeblich niemand von der Sozialverwaltung vor Ort blicken lasse, sagt Kipping: „Als Land Berlin organisieren wir die Infrastruktur. Aber es gibt erfahrene Akteure, denen man verantwortungsvoll den Betrieb übergeben kann. Die Leute im Krisenstab leisten vollen Einsatz. Aber deren Arbeit ist mit Kameras nicht so schnell einfangbar.“
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