"Marius Radtke raus aus Weißensee", brüllen die Demonstranten. Jetzt merkt der Zahnarzt, was es heißt, zur AfD zu stehen – und was passiert, wenn diejenigen, die für Toleranz eintreten, intolerant werden.
Auf dem Fensterbrett liegt ein Gebiss. Gestern hat der Mann, der hinter dem Fenster steht, hier zehn Patienten versorgt, Füllungen und Kronen, der älteste war 77, die jüngste fünf Jahre alt.
Heute hat der Mann keine Patienten. Heute kümmert er sich um das, was sonst liegen bleibt. Gerade hat er den Wohngeldantrag einer Mitarbeiterin ausgefüllt, da ist es laut geworden, und der Mann zum Fenster gegangen. Unten auf der Straße drängen sich die Menschen. Einige tragen Transparente, andere haben Sonnenbrillen im Haar. Es ist ein warmer Tag. Einer hat ein Kind auf den Schultern
Der Mann späht durch die Vorhänge. Die Polizisten haben ihn gewarnt. Er solle besser nicht zu dicht an die Scheibe treten.
Die Menschen vor dem Haus rufen einen Namen.
„Marius Radtke.“
„Radtke.“
„Radtke.“
„Radtke.“
Der Mann hinter dem Fenster schaut starr geradeaus
Dem Mann zittern jetzt ein bisschen die Hände. Seine Frau ist zu Hause. Sie passt auf den Enkel auf. Als der Mann ging, haben die beiden gerade Blumen gegossen. Wenn er nach Hause kommt, will er mit dem Kind noch Bücher anschauen.
Unten beginnt nun einer zu reden. Er erwähnt noch einmal den Namen. Marius Radtke. Dann sagt er, dass Radtkes Praxis weg müsse. Und dass sie so lange demonstrieren würden, bis dieses Ziel erreicht sei.
Die Menschen jubeln, sie beginnen zu skandieren: „Marius Radtke raus aus Weißensee. Keinen Raum der AfD.“
Der Mann hinter dem Fenster schaut starr geradeaus.
Marius Radtke, 65 Jahre alt, ist seit 41 Jahren Zahnarzt und seit vier Jahren in der AfD. ............
http://www.tagesspiegel.de/themen/re.../19909658.html