BUNDESPRESSEKONFERENZ
Zum Tag der Pressefreiheit: Journalisten attackieren kritische Journalisten
Schon wieder Angriffe
Passend zum Tag der Pressefreiheit haben 58 Mitglieder der Bundespressekonferenz (BPK) einen „offenen Brief“ veröffentlicht. In dem Schreiben wenden sie sich gegen Journalisten-Kollegen, die angeblich „Verschwörungsmythen und Desinformation“ verbreiten würden. Konkrete Beispiele dafür nennen sie ebenso wenig wie Namen. Doch die werden auf andere Weise öffentlich gemacht. In den sozialen Medien. Mit manipulativen Mitteln. So etwa in einem Tweet des Medienjournalisten Daniel Bouhs. Der erweckt dort den Eindruck, ich hätte den offenen Brief bewusst nicht unterzeichnet. Das ist manipulativ. Mich hat niemand von dem Brief unterrichtet. Ebenso wenig wie Florian Warweg von RT. Aber so ist mein Name schon einmal im Spiel:
Verwiesen wird dann in einem weiteren Tweet als „Hintergrund“ auf einen Beitrag des Medienmagazins Übermedien. Dort kann man dann nachlesen, gegen wen der offene Brief sich offenbar richtet:
„Die BPK ist gekapert worden, heißt es aus diesem Kreis. Einige Journalisten und Blogger – vor allem die Namen Boris Reitschuster und Florian Warweg fallen da immer wieder – würden die Veranstaltung sehr erfolgreich als Bühne für Verschwörungsmythen und Fake News nutzen.“
Von mehr als 900 Mitgliedern der Bundespressekonferenz haben 58 den Brief unterschrieben. Viele davon sind für gebührenfinanzierte Sender tätig. Bemerkenswerterweise haben auch drei Vorstandsmitglieder unterschrieben. Diese sind gleichzeitig Moderatoren der Bundespressekonferenz und damit in besonderer Weise der Neutralität verpflichtet.
Bemerkenswert ist auch, dass ich die Mehrheit der Unterzeichner noch nie auf einer Bundespressekonferenz gesehen habe. Sie sind also mit dafür verantwortlich, dass die Reihen dort so spärlich besetzt sind. Und nun sorgen sie sich um das Funktionieren der Institution. In dem Brief heißt es nun paradoxerweise: „In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die Präambel zum Pressekodex, in der über Berufsethik der Presse Folgendes zu lesen ist: ‚Sie umfasst die Pflicht, im Rahmen der Verfassung und der verfassungskonformen Gesetze das Ansehen der Presse zu wahren und für die Freiheit der Presse einzustehen‘. Dieser Pflicht wollen wir nachkommen. In unserer täglichen Arbeit. Und mit diesem offenen Brief.“
Unterzeichnet hat den Aufruf gegen das „öffentliche Diskreditieren einzelner Mitglieder“ auch Tilo Jung – der mich bereits mehrfach öffentlich attackierte, schon direkt nach meiner Aufnahme in die Bundespressekonferenz und auch später, als er mir in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung absprach, Journalismus zu betreiben. Ich habe Herrn Jung bereits vorgeschlagen, die Vorwürfe öffentlich im Dialog zu klären. Dieses Angebot kann ich nur noch einmal wiederholen: Ich stehe für ein Zweiergespräch gerne zur Verfügung: fair und öffentlich.
Faszinierend.
Am „Tag der Pressefreiheit“ Kollegen auf diese Art und Weise anzugreifen, diesen Angriff unter den Titel „Für Pressefreiheit. Gegen Instrumentalisierung“ zu setzen und damit zu begründen, die Kollegen würden andere öffentlich diskreditieren – auf diese Idee muss man erst einmal kommen.
Offen gestanden fehlen mir da einfach die Worte.
Kern des Briefes ist eine kaum verhohlene Drohung: „Wer die Bundespressekonferenz für propagandistische Zwecke und für die Verbreitung von Verschwörungsmythen und Desinformation benutzt, für Polarisierung und Profilierung, hat keinen Platz.“
Zugespitzt ist das der Wink mit Berufsverbot für den Fall, dass weiter kritisch aus und vor allem über die Bundespressekonferenz berichtet wird. Und zwar nicht (direkt) von den Regierenden, sondern von denen, die eigentlich die Regierenden kontrollieren sollten.
Ich dachte, Polarisierung sei ein legitimes Mittel des Journalismus in einer Demokratie. Und geradezu zwingend dort notwendig, wo ein medialer Einheitsbrei vorherrscht, in dem die Regierenden mit Samthandschuhen angefasst werden. Und einzig und allein diesem Einheitsbrei ist es zu verdanken, dass man sich als Einzelner mit kritischen Fragen an die Regierung profiliert – ob man will oder nicht. Ich dachte bisher auch immer, zu einem guten Journalisten gehöre es, ein Profil zu haben und sich zu profilieren. Erstaunlich, dass viele Kollegen das umgekehrt sehen.
Meine erste Assoziation war die, dass ich an meinen väterlichen Freund Wladimir Wojnowitsch denken musste, einen Schriftsteller und Dissidenten, gegen den in der Sowjetunion eine massive Kampagne losgetreten wurde mit dem Ziel, ihn aus dem Schriftstellerverband auszuschließen und ihn zu diskreditieren. Doch so sehr sich manche der Vorwürfe gleichen – jede Gleichsetzung verbietet sich.
https://reitschuster.de/post/zum-tag...-journalisten/