Diesmal kein Video, sondern ein Interview:
Interview Heinz Rudolf Kunze: "Allein an Lindenberg habe ich vier Musiker verloren"
Heinz Rudolf Kunze ist ein Garant für deutschsprachige Rockmusik. Ein Gespräch über öffentliche Kritik, die Bildungsmisere – und natürlich über Musik.
Herr Kunze, Sie sind einer der wenigen deutschen Künstler, die sich noch kritisch und kontrovers zu gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen äußern. Was regt Sie aktuell am meisten auf?
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es gibt viele Dinge, die einen heutzutage aufregen müssen und die einem Sorgen machen müssen. Entsprechend verwundert es mich, dass ich tatsächlich einer der wenigen bin, der sich zu den aktuellen Entwicklungen öffentlich kritisch äußert, während sich die meisten meiner Kollegen sehr taktisch oder feige – je nachdem, wie man es ausdrücken möchte -, um diese Fragen herumdrücken, weil sie nicht festgelegt werden möchten und es sich mit niemandem verderben wollen. Vielleicht ist es auch unklug von mir, eine eigene Meinung zu haben.
Was passieren kann, wenn man sich öffentlich festlegt, zeigte jüngst das Beispiel von Ex-Pink-Floyd-Sänger Roger Waters, dem nach seiner Israelkritik Antisemitismus unterstellt wurde.
Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass Roger Waters ein Antisemit ist. Er ist ein englischer Alt-Linker.
Trotzdem ist es eine Tatsache: Wer sich mit einer unliebsamen Meinung zu weit aus dem Fenster lehnt, dem droht schnell ein gewaltiger öffentlicher Shitstorm. Ein Phänomen, das es vor einigen Jahren noch nicht gab. Woher kommt das, was sind die Gründe?
Der Hauptgrund sind die neuen Medien, die jeder radikalen hysterischen Meinung sofort eine Öffentlichkeit bieten. Dieter Nuhr hat dazu einmal treffend gesagt, dass es diese Meinungen schon immer gab, nur, dass sie früher am Stammtisch hängen blieben, aber heute sofort eine Öffentlichkeit bekommen. Ein weiterer Grund ist der offenbar nicht aufzuhaltende Verfall unserer Bildung. Je weniger Bildung, desto mehr unqualifiziertes Gebrüll und Gehetze – und desto weniger Diskussionen und qualifiziertes Miteinander sind möglich.
Woher kommt dieser offensichtliche Bildungsabfall? Die Kinder sind doch eigentlich unsere Zukunft.
Seit 40, 50 Jahren gibt es in diesem Land eine völlig verfehlte Bildungspolitik. Die sozialdemokratische Gleichmacherei von allem und jedem, das ständige Senken des Niveaus. Dann höre ich, dass jeder vierte Viertklässler nicht richtig lesen und schreiben kann. Die Lösung ist ganz einfach: Die Ansprüche müssen wieder gehoben werden! Natürlich soll jeder das Abitur machen können, egal, aus welcher Schicht er kommt. Aber das muss mit Anstrengung zu tun haben, mit Leistung und mit Noten. Laut einer Umfrage wollen 80 Prozent der Deutschen, dass die Kinder in der Schule wieder Noten bekommen und nicht irgendein Geschwafel in den Zeugnissen.
Eine Ihrer Herzensangelegenheiten ist das „Gendern“. Wie wird sich das Thema weiterentwickeln? Wird es sich in der deutschen Sprache etablieren?
Ich sehe, dass sowohl der WDR als auch der neue Regierende Bürgermeister Berlins den Zwang zum Gendern wieder aufgehoben haben. Es gibt also eine kleine Bewegung rückwärts zur Vernunft. Ich für mich kann nur sagen: Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, mit welchen Worten ich Menschen respektiere. Und wenn es Leute gibt, die mir nicht glauben, dass ich mit dem generischen Maskulinum alle Menschen gleichsam respektiere, dann ist das schade.
Seit einigen Jahren ist eine Aufsplitterung der Bevölkerung in verschiedenste politische und gesellschaftliche Lager zu beobachten. Ist das alte Rechts-Links-Schema überhaupt noch zeitgemäß?
Es ist auf jeden Fall fragwürdig geworden. Wie wertkonservativ ist Sarah Wagenknecht? Oder Gregor Gysi? Wie wertkonservativ bin ich? Es gibt heutzutage Leute, die sich selbst vor langer Zeit als eindeutig links definiert haben, die aber mittlerweile Nazis genannt werden. Es gibt ein ziemliches Durcheinander in der politischen Geografie mit links und rechts und oben und unten. Und es gibt erschreckend viele Menschen, die gerade mit der AfD sympathisieren und sie wählen, wie jetzt in Sonneborn. Diese Wähler sind nicht alles Nazis, ich bin davon überzeugt, dass das 90 Prozent nicht sind, sondern weil sie so verzweifelt sind über das, was die Politik aktuell debattiert und entscheidet. Übrigens ist ja die Union auch gerade merkwürdig still. Warum? Weil sie viele der Probleme mit angerührt hat, die die jetzige Regierung nicht in den Griff bekommt (lacht).
Wechseln wir doch das Gespräch hin zur Musik – Glückwunsch, dass es Ihr aktuelles Album in die Top-5 der Charts geschafft hat. Wie gefällt Ihnen das?
Wir sind natürlich sehr stolz. Es ist tatsächlich erst das dritte Top-5-Album meines Lebens. Das letzte war „Der Wahrheit die Ehre“, das auf Platz 3 landete und vor vielen Jahren „Brille“ mit Platz 4.
Sie schreiben jährlich hunderte Songtexte. Wie findet diese unglaubliche Menge den Weg auf ein Album?
Ich schreibe jeden Tag. Von 1981 bis heute habe ich an die 10.000 Texte geschrieben, bisher habe ich um die 550 Lieder veröffentlicht. Man kann sich also leicht ausrechnen, wie viele der Texte ich in diesem Leben noch veröffentlichen kann. Wie es die Texte auf ein Album schaffen, kann ich nicht rational erklären, ich handel instinktiv. Wenn ein neues Album ansteht, schaue ich mir die Ausbeute der letzten ein, zwei Jahre an. Ich blätter die Ordner durch und dort, wo ich hängen bleibe, wo mich etwas anschaut oder anlacht, das nehme ich mir, gehe zum Klavier oder zur Gitarre und beginne zu komponieren. So mache ich es immer: Erst der Text, dann die Musik.
Im Laufe der Jahre hat sich die Zusammensetzung Ihrer Band immer wieder geändert. Wonach richtet sich Ihre Entscheidung, wer spielen darf und wer nicht?
Das ist jedes Mal eine andere Geschichte. Oft haben mich, speziell in der Anfangszeit, Leute verlassen, weil sie von besser zahlenden Kollegen abgeworben wurden. Ich habe unter anderem mindestens vier Musiker allein an Udo Lindenberg verloren. Manchmal gibt es aber auch Abnutzungserscheinungen, die selten etwas mit Sympathie oder Antipathie zu tun haben. Man hat sich, ähnlich wie in einer langen Beziehung, nichts mehr zu sagen oder einander zu geben. Das Schwierige ist, dass das Spannungsfeld bei Musikern untereinander irgendwo zwischen Freundschaft und Liebe liegt. Man verbringt ja viel Zeit miteinander und weiß vieles vom anderen. Deswegen ist es auch schwer, eine Trennung relativ gut hinzukriegen. Die meisten Trennungen bei mir waren dann doch eher böse oder traurig oder mit Vorwürfen versehen. Es ist selten so gut ausgegangen wie mit Heiner Lürich, mit dem ich mich nach wie vor hervorragend verstehe.
Welche Werte, welche Tugenden sind Ihnen als Mensch besonders wichtig?
An Werten und Tugenden habe ich einiges zu bieten, schließlich komme ich aus einem kleinbürgerlichen Lehrerhaushalt, wo Werte wie Disziplin, Fleiß und Leistung sehr hoch gehalten wurden. Für mich spielen Leistung und „etwas erreichen“ eine große Rolle. Dabei möchte ich mich nicht verbiegen lassen und ehrlich und aufrecht durchs Leben kommen. Und ich möchte ein guter Vater gewesen sein. Ob mir das gelungen ist, müsste man jetzt aber meine beiden erwachsenen Kinder fragen.
Information
Über den Künstler
Heinz Rudolf Kunze, kurz HRK, ist am 30. November 1956 in Espelkamp geboren und lebt heute in der Nähe von Hannover. Er ist ein bekannter deutscher Schriftsteller, Rocksänger, Liedermacher, und Musicaltexter/-übersetzer. Ab 1975 studierte er Germanistik und Philosophie in Münster und Osnabrück und beendete es mit dem Ersten und Zweiten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien.
1980 begann Kunze seine künstlerische Karriere mit einem erfolgreichen Beitrag beim deutschen Pop-Nachwuchs-Festival in Würzburg. Ein Jahr später schloss er seinen ersten Plattenvertrag ab und veröffentlicht sein Debütalbum „Reine Nervensache“, worauf die erste Deutschlandtour startet. Insgesamt hat HRK bisher 36 Studioalben veröffentlich und vier Millionen Tonträger verkauft.
Er wurde drei Mal mit der „Goldenen Stimmgabeln“ ausgezeichnet, erhielt den Deutschen Schallplattenpreis der Phone-Akademie, den Niedersächsischen Staatspreis sowie den Fred-Jay-Preis der GEMA für Autoren, Kunstpreis der Stadt Osnabrück.
https://www.nw.de/nachrichten/kultur...-verloren.html