Türkei wird "Hochrisikoland für Investoren"
Firmen bangen um Aufträge, Analysten, die unbequeme Studien erstellen, verlieren ihren Job: Erdogans hartes Durchgreifen nach dem Putschversuch trifft auch die Wirtschaft. Im Interview mit dem 3sat-Wirtschaftsmagazin makro stuft Politologe Babacan die Türkei als "Hochrisikoland für Investoren" ein.
makro: Es ist zurzeit nicht einfach, Gesprächspartner zur Türkei zu finden. Interviewanfragen laufen ins Leere, Investoren ziehen sich zurück. Was könnten aus Ihrer Sicht die Gründe dafür sein?
Errol Babacan: Es wächst angesichts der prekären Lage in der Türkei, in der die ökonomische eng mit der politischen Stabilität verknüpft ist, die allgemeine Sorge. Während ökonomische Indikatoren schon länger eine Finanzkrise erwarten lassen, verdichten sich andere Unsicherheiten. Der Putschversuch verweist auf eine politische Unberechenbarkeit, der aktuelle Ausnahmezustand behebt diesen Zustand nicht.
Im Hintergrund schwelt der Bürgerkrieg mit der kurdischen PKK. Schließlich hält die Syrienpolitik Rückwirkungen bereit, insbesondere seitens militanter islamistischer Gruppen, die in der Türkei einen Rückzugsraum erhalten und teils auch Anklang in der Bevölkerung finden. Es steht zu befürchten, dass sich diese Krisenherde gegenseitig hochschaukeln. Ich würde daher sagen, dass die Türkei aus Investorensicht ein Hochrisikoland geworden ist, daher wohl die Zurückhaltung.
makro:
Die Türkei galt lange Zeit als vielversprechendes Boomland. Heute aber sehen wir, dass der Aufschwung vor allem durch Erdogans gigantische Bauprojekte und den privaten Konsum angetrieben wurde. Wie dünn ist das Eis, auf dem sich die türkische Wirtschaft bewegt?
Babacan: Der Aufschwung wie auch die Verlangsamung des Wachstums - von einem Abschwung kann noch nicht gesprochen werden - sind nur begrenzt mit der Politik der türkischen Regierung oder mit Erdogan erklärbar. Die türkische Wirtschaft ist global eingebunden, ihre Entwicklung hängt von Entscheidungen internationaler Kapitalanleger beziehungsweise führender Zentralbanken ab. So ist das türkische Wirtschaftsmodell auf steten Zufluss internationalen Kapitals angewiesen, sowohl für Investitionen privater Unternehmen als auch zur Refinanzierung bestehender Schulden.
Wenn wir vom Bau- und Konsumboom als volkswirtschaftliche Fehlentwicklung sprechen - Fehlentwicklung, weil damit kein nachhaltiges Wachstum, aber eine massive Verschuldung verbunden ist -, so sollten wir zudem nicht vergessen, dass dieses Modell europäischen Anlegern hohe Profite ermöglichte: mittels Beteiligung an Bauaufträgen und Zinsen, die durch Kredite in die Türkei erwirtschaftet wurden, und mittels europäischer Waren, die exportiert wurden.
Die Grenze dieses Modells besteht in einem anwachsenden, privaten Schuldenberg, der irgendwann wieder abgebaut werden muss. Aller Voraussicht nach wird dies nicht geordnet geschehen, sondern in Folge einer Schuldenkrise. Wann die Grenze erreicht sein wird, ist offen. Dass internationale Ratingagenturen die Bonität der Türkei jüngst hinabgestuft haben, deutet aber darauf, dass dieser Zeitpunkt näher gerückt ist.
makro: Erdogan galt bei vielen als Hoffnungsträger für eine funktionierende islamische Demokratie in der Region. Ist diese Hoffnung gescheitert?
Babacan: Ich würde nicht nur von einem Scheitern, sondern auch von einer Täuschung sprechen. Sofern es um eine parlamentarische Demokratie geht, so war von Anfang an deutlich, dass das Gesellschaftsprojekt des politischen Islam damit nicht kompatibel ist. Eine funktionierende Gewaltenteilung und verbriefte Bürgerrechte waren nie Bestandteile dieses Projekts.
Dies drückt sich auch im Anspruch des Staatspräsidenten Erdogan und seiner Partei aus, authentische Repräsentanten der gesamten Bevölkerung zu sein, die unterschiedslos "muslimisch" sei und daher keiner anderen politischen Repräsentation bedürfe. Damit ist eine klare Verneinung anderer kultureller Gruppen verbunden - kurdischer, alevitischer, säkularer -, die sich eben nicht im politischen Islam repräsentiert sehen.
makro: Erdogan hat immer wieder angekündigt, sich vom Westen abwenden und Richtung Russland und Asien orientieren zu wollen. Die EU und auch Deutschland suchen im Gegenzug den Schulterschluss zu Erdogan. Ist es richtig, weiter auf die Türkei als engen Partner zu setzen?
Babacan: Die politische Rhetorik Erdogans täuscht. Die Türkei ist faktisch ein enger Partner des Westens, militärisch und wirtschaftlich langfristig eingebunden. Es bestehen nicht nur enge Handelsbeziehungen, sondern auch eine vielseitige Anbindung an westliche Produktionsstrukturen.
Ohne technologischen Input aus der EU würde die Produktion in der Türkei einbrechen, viele große wie auch kleine Firmen in der Türkei existieren auf der Grundlage von Joint-Ventures mit oder als verlängerte Werkbank und Zulieferer von westlichen Konzernen. Von den finanziellen Abhängigkeiten - Kredite für Investitionen und zur Refinanzierung der Schulden kommen hauptsächlich aus EU-Staaten - ganz zu schweigen.
Dennoch gibt es Konfliktpotenzial. So betrachtet der Westen die allzu große Machtkonzentration bei Präsident Erdogan mit Argusaugen. Ich erkenne hier jedoch keine Sorge um die türkische Demokratie, sondern die Berechenbarkeit politischer Entscheidungen.
Das Interview führte makro-Moderatorin Eva Schmidt.
http://www.heute.de/wirtschaft-unter...-45428216.html