Der falsche Mann im höchsten Staatsamt
Kurzfristig hat Frank-Walter Steinmeier den lang erwarteten Besuch beim ukrainischen Präsidenten abgesagt. Der neueste Fehltritt des Bundespräsidenten zeigt: Steinmeier ist den Krisenzeiten nicht gewachsen. Er agiert als Bellevue-Verwalter – und das liegt auch an seiner Vergangenheit.
Und wieder hat Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine Irritationen ausgelöst. Der Bundespräsident sollte am Donnerstag in Kiew den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen – sagte dann aber aus Sicherheitsbedenken kurzfristig ab.
Zwar ist unzweifelhaft, dass die Sicherheitslage in der ukrainischen Hauptstadt infolge russischer Angriffe volatil ist. Aber das hält Vertreter anderer Staaten nicht davon ab, persönlich Solidarität mit dem Land zu zeigen; am Donnerstag etwa besuchte der Schweizer Präsident Selenskyj.
Nicht nur deshalb hinterlässt Steinmeiers Rückzieher, der etwa von der Union scharf kritisiert wurde, den Eindruck einer befremdlichen Unentschlossenheit. Immerhin war das Staatsoberhaupt im Frühjahr wegen seines Beitrags zu Deutschlands Russland-Verstrickungen – aus seiner Zeit als sozialdemokratischer Kanzleramtschef und Außenminister – gar nicht in Kiew erwünscht. Umso wichtiger wäre es gewesen, schnellstmöglich dorthin zu reisen.
Zwar soll die Visite bald nachgeholt werden. Die Absage ist aber dennoch ein Beispiel dafür, was man im Englischen tone-deaf nennt und die Amtsführung Steinmeiers kennzeichnet: Der protokollarisch höchste Repräsentant der Bundesrepublik scheint auch nach fünfeinhalb Jahren kaum Gespür dafür entwickelt zu haben, wie er sein Amt auf würdige Weise ausfüllt.
Gesellschaftliche Debatten hat er kaum geprägt
Die Lage im Iran ruft das ebenfalls in Erinnerung: Steinmeier appelliert an Teheran, die Gewalt gegen die Protestbewegung zu stoppen – was auch sonst? Der Aufruf wirkt dennoch seltsam schal, denkt man an sein Glückwunschtelegramm an das Regime zum 40. Jahrestag der Islamischen Revolution 2019 zurück. Obwohl es freilich schon damals Frauen gemäß der Scharia unterdrückte, die Auslöschung Israels anstrebte und Homosexuelle hinrichtete. Noch peinlicher wurde es im Folgejahr, als Steinmeier auf Glückwünsche zum Nationalfeiertag verzichten wollte – diese aber versehentlich doch rausgingen.
Die größte Aufmerksamkeit in jüngster Zeit zog der Präsident mit einem weiteren Fehltritt auf sich: Er ließ sich während einer Bahnfahrt ohne Corona-Maske fotografieren – trotz FFP2-Pflicht. Laut Sprecherin tat er das ausschließlich für ein Video-Statement sowie für ein Foto.
Natürlich entstand sofort der Eindruck: Der Präsident halte sich nicht an das, was von den Bürgern erwartet wird. Auch wenn er um „Verständnis“ bat, dass er 40 Sekunden lang keine Maske getragen habe: In Zeiten, in denen die Corona-Politik zu beunruhigenden Absetzbewegungen von der Demokratie geführt hat, ist der Vorfall eine unverständliche Fahrlässigkeit.
Solche Pannen wögen nicht so schwer, schaffte Steinmeier es sonst, präsidiales Format zu zeigen. Doch auch da: Fehlanzeige. Sein Markenkern scheinen profillose Sonntagsreden zu sein. Gesellschaftliche Debatten hat er kaum geprägt, geschweige denn angestoßen. Anders als sein Vorgänger Joachim Gauck, der etwa entgegen der merkelschen Linie die Endlichkeit der Möglichkeiten thematisierte, Flüchtlingen zu helfen – oder rechtsextreme Umtriebe mit dem Begriff „Dunkeldeutschland“ provokant umriss.
Am 28. Oktober will Steinmeier – dessen zweite Amtszeit plangemäß bis zum 18. März 2027 läuft – eine Rede unter dem Titel „Alles stärken, was uns verbindet“ halten. Zwar wäre es zu begrüßen, wenn er es in der schwersten Krise im Nachkriegs-Deutschland schaffen würde, der Bevölkerung Orientierung anzubieten.
Doch es wäre unrealistisch, genau das von einem Mann zu erwarten, der in den vergangenen fünf Jahren eher wie der Verwalter von Bellevue wirkte. Frank-Walter Steinmeier ist der falsche Mann im höchsten Staatsamt.
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