Bundesländer bauen wegen starker Zuwanderung ihre Asyl-Kapazitäten aus
Weil wieder mehr Asylsuchende nach Deutschland kommen, bauen mehrere Bundesländer ihre Aufnahmekapazitäten wieder aus. Unter den Migranten sind viele Syrer. Exklusive Zahlen von WELT AM SONNTAG zeigen: 2021 wurden wenige Ausreisepflichtige in ihre Heimatländer abgeschoben.
Mehrere Bundesländer reaktivieren stillgelegte Unterkünfte für Asylsuchende und eröffnen neue. Mindestens 46 Einrichtungen dieser Art sind seit Anfang 2021 wieder in Betrieb genommen worden oder werden zurzeit eingerichtet. Das ergab eine Umfrage von WELT AM SONNTAG.
Die Entwicklung erklärt sich vor allem durch eine zunehmende Zahl an Zuwanderern. Zugleich gibt es wenig Rückführungen. Hinzu kommen Corona-Auflagen, die einen größeren Raumbedarf zur Folge haben.
Wie das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) berichtet, wurden in der Stadt 14 neue Unterkünfte und Containerdörfer mit 3000 Plätzen eröffnet. „Acht dieser Standorte waren stillgelegt und mussten aufgrund der gestiegenen Zugangszahlen kurzfristig reaktiviert werden“. Sieben weitere Wohnheime stehen kurz vor der Eröffnung.
Zudem, so heißt es, werden „berlinweit leer stehende Gebäude“ geprüft, ob sie sich zur Unterbringung von Geflüchteten eignen. „Wir rechnen neben den Asylbewerbern mit weiteren Zugängen aus den Aufnahmeprogrammen aus Afghanistan, Libanon und der Türkei. 2021 waren das 845 Personen, diese Zahl wird sich wohl in diesem Jahr verdoppeln“, sagte LAF-Präsident Alexander Straßmeir WELT AM SONNTAG.
Bayerns Innenministerium teilte mit: „Angesichts der Migrationspolitik der neuen Bundesregierung besteht auch im Freistaat die Notwendigkeit, die Kapazitäten an die steigenden Asylzahlen anzupassen.“ Das gelte ganz besonders „im Hinblick auf den Zugang“ weiterer sogenannter Ortskräfte aus Afghanistan. Die Eröffnung eines Aufnahmezentrums in Oberbayern stehe fest.
Der Schwerpunkt liege aber „klar auf der Ausweitung der Kapazitäten in der Anschlussunterbringung – also durch Anmietung von Wohnungen und geeigneten Gebäuden für Gemeinschaftsunterkünfte und dezentrale Unterkünfte“. Hierdurch werde sichergestellt, „dass die in den Anker-Zentren dringend benötigten Plätze wieder schnell verfügbar werden“.
In Niedersachsen wurden im Januar drei Jugendherbergen temporär als Außenstellen für die Erstaufnahme von „Asylsuchenden eingerichtet, um im Zusammenhang mit bundesweit steigenden Ankunftszahlen und den Herausforderungen der Corona-Pandemie die Kapazitäten zu erhöhen“, wie das Land mitteilt. In Hannover wurde im Januar ein Hotel als Notunterkunft für neu zugewiesene Asylsuchende angemietet.
Zahl der zuziehenden Syrer steigt deutlich
Seit vergangenem Sommer nimmt die Asylzuwanderung nach Deutschland wieder deutlich zu: monatlich von etwa 8000 auf rund 14.000 Erstanträge. Vor allem handelt es sich um unerlaubt aus anderen EU-Staaten weiterreisende Personen, die vor oder während des Verfahrens weiterziehen oder schon abgelehnt wurden.
Immer häufiger sind darunter Syrer, die weitergewandert sind, nachdem sie in langwierigen Verfahren in Griechenland, Dänemark und anderen Ländern als Schutzsuchende anerkannt wurden. Deutschland ist unter anderem auch deswegen das Hauptziel in Europa, weil das Abschiebungsrisiko gering sind und sich hier vergleichsweise stark um die Integration der Neuankömmlinge gekümmert wird.
Gerade einmal 11.982 Ausländer wurden im vergangenen abgeschoben, darunter nur 4202 in nichteuropäische Staaten, wie aus einer WELT AM SONNTAG vorliegenden Aufstellung der Bundespolizei hervorgeht. Ende Juni 2021 lebten rund 290.000 Ausreisepflichtige im Land, davon etwa zwei Drittel abgelehnte Asylbewerber, die übrigen wurden etwa wegen Straftaten oder abgelaufener Visa ausreisepflichtig.
Vier von fünf Ausreisepflichtigen haben allerdings eine Duldung. Das bedeutet, sie bleiben zwar zur Ausreise verpflichtet, der Staat sichert ihnen zu, sie mittelfristig nicht abzuschieben. Das betrifft viele Afghanen oder Syrer, die wegen der schlechten Sicherheitslage generell nicht in ihre Heimat abgeschoben werden. Aber auch beispielsweise in die zentralafrikanische Republik und die Elfenbeinküste gab es jeweils nur eine Abschiebung 2021, nach Marokko lediglich drei. In die Türkei wurden 361 Menschen zurückgeführt – obwohl fast 3300 Asylanträge von Türken abgelehnt wurden.
Stephan Thomae, Parlamentsgeschäftsführer der FDP, sagt: „Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann auch bleiben. Als Ampel haben wir eine Rückführungsoffensive beschlossen, um insbesondere Straftäter und Gefährder schnell in ihre Herkunftsländer zurückzuführen.“ Grundvoraussetzung dafür sei eine verbesserte Zusammenarbeit mit wesentlichen Herkunftsländern. Thomae weiter: „Wir werden deshalb einen Sonderbevollmächtigten einsetzen, der entsprechende Migrationsabkommen organisiert.“
Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, kritisiert die Regierungspolitik: „Statt Anreize für mehr Asylzuwanderung zu senden, sollte die Ampel-Regierung ihre angekündigte Rückführungsoffensive umsetzen. Sie streitet aber lieber darüber, ob ein Sonderbevollmächtigter für Migrationsabkommen im Auswärtigen Amt oder im Innenministerium anzusiedeln ist. Mit einer Ansiedlung im Auswärtigen Amt würde der Bock zum Gärtner gemacht und das Innenministerium in einer zentralen Funktion geschwächt.“
Die Zahl der Abschiebungen ist seit Jahrzehnten sehr gering, gemessen an der Zahl von abgelehnten Asylbewerbern und ausländischen Straftätern. 1994 wurde mit 53.043 Abschiebungen ein Höchststand verzeichnet, in den folgenden Jahren bis 2000 waren es jeweils etwa 35.000.
Danach sanken die Zahlen stetig bis auf ein Niveau unter 10.000, um dann erst auf dem Höhepunkt der Migrationskrise 2015 (21.000) und 2016 (25.000) anzusteigen. Danach gingen die Zahlen leicht zurück. Im ersten Corona-Jahr 2020 sackten sie auf 10.800 ab. Im vergangenen Jahr waren es dann knapp 12.000.
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