Paschtunwali ist nicht nur das paschtunische Stammesrecht, sondern auch ein Ehrenkodex. Im Laufe der Zeit wurde dieses Stammesrecht, was überwiegend mündlich, aber auch teilweise, insbesondere in den Landai-Gedichten schriftlich fixiert, auch als Ehrenkodex der Paschtunen bezeichnet und hat allmählich - wie in jeder oralen Gesellschaftsstruktur üblich, pathetische Züge angenommen.
"Landai"-Gedichten, (das paschtunische Wort "minna" bedeutet Liebe) sind Minnesang der Paschtunen, in denen Unabhängigkeit, Gast- und Asylrecht, Heldenmut, Tapferkeit, Widerstand, Liebe und Ehre besungen wurden.
Die zunächst für die Zusammenarbeit der Stämme und Sippen in den Jirgas konzipierten Direktive des Paschtunwali wurden nicht nur zu Werten der Gemeinschaft avanciert, sondern sie nahmen auch regulative Funktionen ein. Folgende Gesetze sind zwar in allen Stämmen und Volksgruppen Afghanistans vorhanden, aber nicht unter dem Begriff Paschtunwali. Z.B. Gastrecht, Asadi (Freiheit) Esteqlal oder Khpolwaki (Unabhängigkeit) ist bei allen afghanischen Volksgruppen und Ethnien vorhanden. Allerdings straffe Stammesrecht besitzen die Turkmenen und Paschtunen des Landes.
Ghairat (Ehre): Ehre ist das oberste Prinzip des Paschtunwali.
Badal = Tausch oder Rache
Badraga = Begleitschutz für eine Gemeinschaft oder für eine Person, damit sie ihr Ziel unversehrt erreichen, auch wenn sie feindliches Gebiet durchqueren. Es ist unehrenhaft auf die Person und ihre Begleitung zu schießen.
Barabari = Gleichheit
Gattlaka = „heiratsfähig“. Das Wort ist ein Kompositum aus „Gatta = Finger“ und „Lakawol = Stehen und bedeutet in Afghani genauso viel wie Peghla = Mädchen. Allerdings handelt es sich um ein Mädchen, auf das die Männer aufmerksam geworden sind.
Gond = “Partei“, Wettbewerb zwischen Leitern von Stämmen im Bezug auf das Wohlergehen des Stammes: bei Essenausgabe, Gastfreundschaft, Tapferkeit, Heldenhaftigkeit usw. Dadurch entstehen zwei oder mehrere Parteien. Gond regelt diesen Wettbewerb.
Istegamat = Widerstand bzw. Beharren
Jarga bzw. Jirga = Versammlung, Kreis, Zelt; siehe auch
www.afghan-aid.de/loya-jirga.htm
Kana oder (Tiga=Stein) = Schlichtung bei einem Streit
Karkhanda = wörtlich „Linie“ bedeutet „jemanden unfreiwillig
schleppen“.
Kodday oder Koddakha = Hütte auf dem Berg, in der der Hirte schläft.
Konda = Frau bzw. Braut, deren Mann gestorben ist
Lashkar = Armee zur Verteidigung der Heimat
Mahreka = Verhandlungen
Melmastia = Gastrecht
Meschrano Jarga bzw. Jirga = Ältesten Rat, Senat (Legislative)
Nagona = Entschädigung beim Diebstahl von Tieren
Namus = Schutz der Frau, der Familie, Heim sowie Heimat
Nanawatai = Asyl bzw. Vergebung, Entschuldigung
Pana =Asylrecht
Pur = eigentlich „Leihen“ Ausgleich bzw. Entschädigung, Geldstrafe, jedes Körperorgan hat seinen eigen Preis.
Rogha = „Gesundheit“ ; bedeutet soviel wie Frieden. Friedenschluss nach Jarga bzw. Mahreka
Siali o Schariki = Siali = Wettbewerb unter Verwandtschaft bzw. Sippschaft; Schariki = Teilhabe
Sor Lassi = „rote Hände“, wird verwendet für Kapitalverbrecher bzw. Mittäter
Spin = wörtlich „weiß“, alle Organe, die nicht durch Kleidung bedeckt sind oder derjenige, der sich nichts zu Schulden kommen lässt.
Spin patscha = „blankes Bein“; Frau, die ohne Hochzeitsfeierlichkeit, ohne Musik und Brautgabe verheiratet wird.
Tiga (Tiza) = „Stein“
A) Stein wird von dem Ältesten auf den Boden gelegt, um für eine bestimmte Zeit z.B. für drei Monate, einen Waffenstillstand zwischen den Stämmen zu vereinbaren, damit in dieser Zeit Verhandlungen zum Frieden aufgenommen werden können.
B) Jeder Stamm hat seinen eigenen Stein. Die Steine der Stämme wie Ahmadzai, Mohmmand, Afridi und Djadran sind die bedeutendsten Steine. Sie sind erstklassig. Steine der Tochis, Hotaks und Durani kommen an zweiter Stelle. Stein bedeutet in diesem Zusammenhang Preis. Manchmal wird Tiga (Stein) auch für Jirga bzw. Jarga (Verhandlung im Kreis bzw. Zelt gebraucht.
Tor = wörtlich „schwarz“, Organe, die durch Kleidung bedeckt sind oder jemand, der schuldig ist.
Turra = "Schwert" bedeutet Verdienst an der Allgemeinheit
Wolesi Jarga (Dschirga)= Volksvertretung, Unterhaus, Parlament (Legislative)
Zalwekhtai = Exekutive
Zar = "Gold", Eigentumsrecht
Die obengenannten Begriffe beschrieb Ustad Abdul Rahman Pazwak (1917 bzw. 1919 bis 1995 in seiner Abhandlung unter dem Thema "rechtlichen und strafrechtlichen Praktiken und deren Wechselwirkung innerhalb und außerhalb der afghanischen Stämme". Die Abhandlung ist in dem Jahrbuch Nr. 8 (Salnama Nr. 8) im Jahre 1939 in Kabul erschienen.
zu Asyl und Gastrecht (Melmeistia) ist nicht nur bloße Gastfreundschaft, sondern ist eine Frage der Ehre. Dem Gast (auch Feind) zu dienen und zu schützen, ist eine Angelegenheit der Ehre. Sollte die Ehre, welche als oberste Rechtsgut, gekränkt werden, kann diese Verletzung durch Asyl- und Gastrecht wiedergut gemacht werden, indem die Beleidiger die Familienoberhaupt besucht. Hier wird eine Jirga abgehalten. Dort wird solange diskutiert, bis eine Einigung erzielt ist.
zu Nanawati (Asylrecht) wörtlich bedeutet "Herein" ist eine Möglichkeit, Konflikte zwischen Gegnern beizulegen. Es ist unehrenhaft, Bitte um Verzeihung eines Gegners, der hereingekommen ist, abzuschlagen.
zu Roghai (Friede schließen, Versöhnen): die traditionellen Anlässen wie Geburt, Hochzeit, Beschneidung, Verlobung und religiösen Festen sind gute Gelegenheiten, die bestehenden Konflikte durch gegenseitige Besuche beizulegen.
zu. Badal (Tausch): Um Blutrache zu vermeiden, werden Geld oder eine Tochter bzw. eine Frau an die Opferfamilie übergeben.
zu Jirgas: Versammlungen: In jeder Familie (Sippe), und in jedem Stamm wird zu besonderen Anlässen Versammlungen abgehalten. Es wird solange diskutiert, bis eine Einigung erzielt ist. Jirga bedeutet Disput, Streit, Beratung, Verhandlung, Handeln.
zu Tega/Kanrai = "Stein" An anberaumten Datum müssen alle Feindlichkeiten zwischen streitenden/kämpfenden Parteien unterbrochen werden. Der Stamm sichert dann die Umsetzung der "Tega" (Frieden).
weitere Begriffe:
Nang = "Schande"; Bei Nang handelt es sich um die Verletzung der Ehre eines Pashtunen oder die seiner Familie durch eigenen Verhaltensweisen oder Nichthandeln oder durch äußeren Umstände.
Tor = Schwarz . Bezieht sich auf Fälle, in denen es um die Ehre einer Frau oder die Verletzung eines Körperorgans geht. Tor (Schwarz) kann nur in Spin (Weiß) durch eine bestimmte Strafe umgewandelt werden.
Tarboor = "Cousin"; In der pashtunischen Gesellschaft hat der "Tarboor" (oder der Sohn des Bruders des Vaters) die Anmutung bzw. Nebenbedeutung einer Rivalität bzw. Feindschaft.
Lashkar = "Stammesarmee". Sie setzt die Entscheidungen der Jirga um.
Nikkat = Vorfahre ; ist abgeleitet von dem Wort "Nikka", welches für "Großvater" steht. Es steht für die Verteilung von Profiten und Verlusten innerhalb von Stämmen und Unterstämmen. Der Verteilungsschlüssel richtet sich nicht unbedingt nach demographischen Werten, sondern kann auch vor Generationen festgeschrieben sein und einem außenstehenden ungerecht erscheinen.
Hamsaya = "Gleiche Schatten teilen" = Nachbar" ; Jeder Angriff auf die "Hamsaya" wird als Angriff auf eigene Familie gewertet.
Qalang "Miete oder Steuer"; Qalang wird von dem Gutsherrn gegen seine Pächter erhoben. In diesem Kontext ist er typisch für die Yusufzai, kann allerdings auch andere Bedeutungen bei anderen Stämmen haben.
Malatar steht für die Mitglieder einer Gruppe, die an einem Kampf teilnehmen stellvertretend für deren Führer oder gemeinsam mit ihm.
Muajib steht für die jährliche oder halbjährliche, feste, Auszahlung eines Betrages an Stämme und/oder Unterstämme durch die politische Macht.
Lungi = "Turban" Lungi steht für die Auszahlung durch die politische Macht an einzelne Führer. Bei Friedensverhandlungen bekommen sie Lungi.
Nagha ist eine Strafsumme, die durch die Stammesältesten festgelegt und einem Verurteilten / als Strafe auferlegt wird. Die Umsetzung dieser Maßnahme kann ggf. durch die "Lashkar" vollzogen werden.
Hujra ist ein Verweil- oder Schlafplatz für Gäste und männliche, unverheiratete Mitglieder eines Dorfes. Die Kosten werden für gewöhnlich durch die Bewohner des Dorfes geteilt. Jede "Hujra" hat für gewöhnlich eine anliegende Moschee, die an die Dorfstruktur gekoppelt ist.