Zitat:
Die Verbreitung des Islam in Albanien
...
Während der ersten Jahrzehnte osmanischer Herrschaft gab es nur wenige Moslems unter
den Albanern. Im Jahre 1577 waren Nord- und Mittelalbanien noch fest in katholischer Hand,
aber bis zu den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts hatten sich 30 bis 50 % der nordalbani-
schen Bevölkerung bekehren lassen. Bis 1634 war auch die Mehrheit der Bevölkerung von Ko-
sova zum Islam übergetreten.
..
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges soll es in Albanien 1.127 Moscheen, 1.306 Imams und
Muftis und 17 islamische Grundschulen gegeben haben. Ab 1945 kam die islamische Gemein-
schaft, nunmehr in vier Verwaltungsgebiete mit je einem Großmufti aufgeteilt, zunehmend
unter die Kontrolle des Staates. Das Gesetz vom 26. November 1949 verlangte, dass alle Kir-
chengemeinschaften ihre Mitglieder zur Treue gegenüber dem kommunistischen Regime auf-
rufen. Die Leiter der islamischen Gemeinschaft mussten nunmehr auch vom Ministerrat ge-
nehmigt werden. Einige führende Moslems wie der Mufti von Shkodra und der Mufti von Dur-
rës, Mustafa Efendi Varoshi, weigerten sich sehr früh, mit den Kommunisten zusammenzuar-
beiten; sie wurden daher liquidiert, andere kamen ins Gefängnis. Bis zum Jahre 1967 standen
in Albanien zwar immer noch ca 1.050 Moscheen unbeschädigt, doch dann, in einem beispiel-
losen Akt des Extremismus, wurden der Islam und alle anderen Religionsgemeinschaften von
den Behörden einfach per Erlass verboten.
Die gegen die islamische Kultur in Albanien angestrebte Vernichtungskampagne wurde in
den späten 60er und frühen 70er Jahren umso intensiver, als beinahe alle Moscheen im Lande
einschließlich mancher in den Vorjahren mühsam restaurierter Gebetshäuser von unermess-
lichem historischen Wert einfach abgerissen oder umfunktioniert wurden. Nur wenige Mo-
scheen überstanden die Vernichtungswut der Kulturrevolution in einer mehr oder weniger er-
kennbaren Form.
Sie wurden mit Schloss und Riegel versperrt und in den folgenden Jahren
nur gelegentlich anlässlich von Delegationsreisen ausländischer Kunstwissenschaftler und
Historiker wieder geöffnet.
...
Als das unabhängige Albanien sich zunehmend nach Westen ausrichtete, verloren die Der-
wisch-Sekten allmählich ihre Bedeutung, auch wenn die größeren Sekten in organisierter
Form bis zum Zweiten Weltkrieg weiter bestanden. Obwohl ihre Geschichte in Albanien und
auf der Balkanhalbinsel i.A. in den letzten Jahren – v.a. von den französischen Wissenschaft-
lerInnen Nathalie Clayer,
6
Alexandre Popovi
c
7
und Gilles Veinstein – hervorragend dokumen-
tiert wurde, bleibt einiges weiterhin im Dunkeln.
Mit der Machtergreifung durch die Kommunisten 1944 erhielten die Sekten, zumindest die
Bektaschi, ihren Status als unabhängige Glaubensgemeinschaften. Sie wurden dann aber
nach und nach gezielt aufgelöst. Bis zum Jahre 1950 waren beinahe sämtliche kleineren Sek-
ten verschwunden, während die Bektaschi – zumindest äußerlich – bis zum Jahre 1967 über-
lebten, als jegliche Religion in Albanien gänzlich verboten wurde. Seit der Aufhebung des Ver-
bots im Dezember 1990 sind die Bektaschi wieder zu neuem Leben erwacht, und auch einige
andere tariqat beginnen wieder aufzublühen.
...
Die Bektaschi-Gemeinschaft hat nicht nur eigene Glaubenssätze, Riten und Praktiken, son-
dern auch eine eigene hierarchische Struktur, die folgendermaßen gestaltet ist. Der Ashik, tür-
kischasik, wörtlich »Liebhaber«, ist der einfache Gläubige ohne besondere Einweihung. Die
unterste Stufe des eigentlichen Klerus, ist der Muhib, auch mit der Bedeutung »Liebhaber,
Zugeneigter«, der mittels einer zeremoniellen Reinigung und eines Glaubensbekenntnisses
initiiert wurde. Nach einer Probezeit kann ein Muhib dann ein Var f, »Derwisch« werden. Der
Derwisch erhält als Erkennungszeichen eine weiße Kopfbedeckung namens Tadsch, albanisch
Bektaschi einige Glaubenssätze des Islam umgehen. Die Bektaschi verrichten ihre Gebete z.B.
nur zweimal am Tag, und nicht notwendigerweise in Richtung Mekka, im Gegensatz zu den
Sunni-Moslems, die fünfmal am Tag beten sollen. Bei Bektaschi-Gebeten ist die Prostration,
d.h. der Fußfall mit der Stirn auf dem Boden, nicht notwendig. Wie andere Moslems auch es-
sen die Bektaschi kein Schweinefleisch. Auch verzehren sie keine Schildkröten, Hunde, Schlan-
gen und v.a. keine Hasen. Sie dürfen aber Alkohol trinken, und in einigen Bektaschi-Tekes wird
ein vorzüglicher Raki hergestellt. Ihre Frauen nehmen zusammen mit den Männern an Zere-
monien teil, was bei nicht wohlgesonnenen Moslems bisweilen zu wüsten Spekulationen und
Gerüchten geführt hat. Die Bektaschi fasten nicht während des Ramadan-Festes. Sie fasten
oder nehmen nur wenige Flüssigkeiten während des Matem, d.h. während der ersten zehn Tage des Ramadan-Monats zu sich, während derer der Leiden und des Todes des Imam Hussein
gedacht wird. Nach Matem folgt das Ashura-Fest, bei dem eine Schüssel mit einer mit Zucker eingekochten Mischung aus Getreide, Rosinen und Obst gegessen wird. Auch wird Newruz, das persische Neujahr und der Geburtstag des Propheten Ali, eingehalten.
Das Bektaschitum ist eine synkretistische, heterodoxe Glaubensform, dessen Lehre aus
verschiedenen Quellen stammt. Zu den frühesten Komponenten dieser Lehre zählen 1.) die
turkmenische Heterodoxie, 2.) die vom persischen und indischen Mystizismus beeinflusste as-
ketische Kalendari (Qalendari)-Bewegung des 13. und 14. Jahrhunderts, 3.) der jenseitsbetonte
sufistische Melametismus (Malamatijja), 4.) die Kulteinstellungen des Futuwwa-Ordens im
Nahen Osten, sowie 5.) die gnostische und kabbalistische Lehre des persischen Hurufismus. In
späteren Jahrhunderten entwickelte sich das Bektaschitum im engen Kontakt zum schiiti-
schen und alewitischen Islam sowie – zumindest auf der Balkanhalbinsel – zum Christentum.
...
Zitat:
Um die Lebenshaltung der Bektaschi zu beschreiben, wird folgende Anekdote erzählt:
Der Kalif besuchte das Oberhaupt des Bektaschi-Ordens. Als er die üppigen Weinberge um das Konvent des Ordens erblickte, fragte er: „Mein lieber Freund, was macht ihr denn mit den vielen Weintrauben?“ „Ach“, antwortet der Derwisch, „wir essen gerne süße, reife Trauben.“ Der Kalif darauf: „Aber es ist doch unmöglich, so viele Weintrauben zu verspeisen.“ Der Derwisch daraufhin: „Das ist kein Problem. Was wir nicht essen können, das pressen wir und lagern es in Holzfässern. Und was dann geschieht, ist allein Allahs Wille.“[12]