Zahlungsmoral der Behörden
"Die ziehen Ihnen das letzte Hemd aus"
Wer den Strafzettel zu spät bezahlt, sich mit der Steuer Zeit lässt oder Fristen versäumt, hat schnell den Kuckuck am Auto und das Konto gepfändet. Wenn die öffentliche Hand allerdings Rechnungen offen hat, wartet sie nicht selten, bis ihre Gläubiger am Rande des Bankrotts stehen.
Hamburg - 30 Angestellte des Bauunternehmers Christian Guss kriechen durch Berlins Kanalisation, um Dichtungen zu reparieren, treiben Kanäle in den Boden der Stadt, legen Gehwege auf Straßenränder, pflanzen Poller in die Erde und teeren, was das Zeug hält, damit die Berliner freie Fahrt haben. Vor wenigen Wochen wusste Guss wieder einmal nicht mehr, ob er ihnen dafür den Lohn überweisen kann - weil die Stadt ihre Rechnungen zu spät bezahlt. "Im Prinzip", sagt Guss, "stehen wir immer mit dem Rücken an der Wand."......Oft ist es um die Zahlungsmoral der öffentlichen Hand schlechter bestellt. Das haben die Statistiker der Wirtschaftsauskunftei Creditreform im Frühjahr mit einer Studie untermauert: Private Auftraggeber bezahlen die Handwerksunternehmen in 72,5 Prozent der Fälle so schnell, wie es das Gesetz vorsieht. Nicht so die Verwaltung: Sie hält sich nur in jedem zweiten Fall an die Regelung. Oft dauert es noch länger: Bis zu 32,6 Prozent der von der öffentlichen Hand vergebenen Aufträge werden erst nach 30 bis 60 Tagen beglichen. Elf Prozent der öffentlichen Auftraggeber lassen sich sogar bis zu 90 Tage Zeit und fünf Prozent noch länger.....Heinz Grigo kann ein Lied davon singen: Der Handwerks-Meister betreibt in Niedersachsen einen Betrieb für Wärmedämmtechnik. Zurzeit führt er zwei Prozesse: Einmal geht es um Arbeiten an der Marineortungsschule Bremerhaven. Ursprünglich sollte der Auftrag rund 30.000 Euro kosten. Ein Jahr später, im November 2001, schrieb Grigo eine Rechnung über rund 155.000 Euro, weil die Nachträge seine Kalkulation über den Haufen geworfen hätten, sagt er. Bremen wollte lediglich 30.000 Euro überweisen, auch weil Grigo vorher nichts angekündigt habe. Grigos Nachforderungen seien nicht haltbar. Das Landgericht Bremen gab der Stadt Recht, das Oberlandesgericht indes sah dies anders und hat den Fall an das Landgericht zurückverwiesen, das noch einmal verhandeln muss.
Alle Angestellten entlassen
Grigo kann sich über den Teilerfolg nur wenig freuen: "Ich werde das Urteil wohl nicht mehr erleben, weil ich es mir nicht leisten kann." Viel Zeit und rund 50.000 Euro habe er in die beiden laufenden Verfahren investiert - allein das Oberlandesgericht hat ihm trotz des positiven Urteils eine Rechnung über 2568 Euro geschickt. Fünf weitere streitige Fälle würde er gern durchfechten: "Ich habe aber letzten Endes keine Chance. Jeder Prozess dauert fünf Jahre", sagt er. "
Die Kommunen ziehen Ihnen das letzte Hemd aus." Schließlich könnten sie so lange prozessieren, wie sie wollen. Vor wenigen Jahren hatte Grigo noch sieben Angestellte - alle musste er entlassen. Er habe sie wegen der offenen Rechnungen nicht mehr bezahlen können......
https://www.spiegel.de/wirtschaft/za...-a-265080.html