Herrschaft der Osmanen
Ende des 14. Jahrhunderts drangen die osmanischen Truppen zum ersten Mal in die albanisch besiedelten Länder vor. Die osmanische Eroberung jener Gebiete geschah etappenweise und war erst Jahrzehnte später abgeschlossen. Die Fürstentümer und Feudalherrschaften in Epirus und Südalbanien mussten schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Oberherrschaft des Sultans anerkennen. Vlora und Berat wurden 1417 erobert, Ioannina folgte 1430. Erst einige Jahre nach dem Tod Skanderbegs konnten die Türken 1478/79 auch den Norden Albaniens besetzen. Sie beherrschten das Land dann mehr als 400 Jahre. Die langen Abwehrkämpfe und hernach die vorübergehende Unterbrechung der Handelsbeziehungen nach Italien und dem übrigen Europa schadeten der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Shkodra, das alte Zentrum Nordalbaniens, verfiel und gewann erst im 17. Jahrhundert wieder an Bedeutung.
Große Teile der Bevölkerung traten teils aus Überzeugung teils unter Zwang, teils bewogen durch gesellschaftliche und ökonomische Anreize zum Islam über. Spätestens im 17. Jahrhundert waren die Muslime in der Mehrheit. Die Albaner waren das einzige Balkanvolk, das mehrheitlich den Glauben der osmanischen Eroberer angenommen hat. Dies führte dazu, dass nicht wenige Albaner Karriere in der osmanischen Verwaltung und im Heer machten und Stellungen erlangten, die den christlichen Untertanen des Sultans verschlossen blieben.
Wie in vielen peripheren Regionen des Reiches übte der Sultan die Herrschaft über Albanien vor allem indirekt aus. Die osmanische Zentralgewalt erwartete in erster Linie Steuerzahlungen und militärische Leistungen von den Untertanen; die Ordnung der inneren Verhältnisse blieb in Albanien wie auch anderswo weitgehend den lokalen Eliten überlassen. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurden in den albanisch besiedelten Ländern die nach ihren Hauptorten benannten
Sandschaks Vlora, Delvina, Shkodra, Prizren, Prishtina, Skopje und Janina errichtet. Diese Verwaltungsorganisation diente in erster Linie der Rekrutierung und Versorgung der
Spahis. Die ersten Sandschak-Beys kamen aus in der Region führenden Familien. Normalerweise war es im osmanischen Verwaltungssystem üblich, die Sandschak-Beys jährlich auf Neue zu ernennen oder bei Versagen auszutauschen. In Albanien wurde dieses Amt faktisch erblich. Bis auf wenige Ausnahmen kamen die Beys immer aus denselben Familien. Auf diese Weise wurden die feudalen Verhältnisse, wie sie im mittelalterlichen Albanien bestanden hatten, in der osmanischen Zeit konserviert. Während der Regierung
Suleimans des Prächtigen (1520–1566) wurden für alle albanischen Sandschaks
Defter (Steuerregister) angelegt. Seit dem 17. Jahrhundert fanden keine allgemeinen Erhebungen mehr statt und die Steuern waren an private Einnehmer verpachtet.
Einige relativ unzugängliche Gebiete waren für die Türken praktisch nicht zu kontrollieren. Dazu gehörten die
Mirdita, das Mati-Gebiet, die Region Dibra, die Landschaften Dukagjin und
Malësia sowie im Süden die Region
Himara. Aus diesen Gebieten bezogen die Beys nur einen eher symbolischen Tribut. Die nördlichen Gebirgsregionen verharrten in archaischen Stammestraditionen und hielten sich bis ins 20. Jahrhundert hinein an ihr eigenes Gewohnheitsrecht. Auch die zwischen den Almen im
Pindosgebirge und den Winterweiden an der Küste hin- und herziehenden Aromunen genossen einen hohen Grad an Autonomie.
Wirtschaftlich waren die albanischen Länder im Gefüge des Osmanischen Reiches nahezu bedeutungslos. Die Bauern betrieben Subsistenzwirtschaft und produzierten nicht für den überregionalen Markt. Letzteres galt im Großen und Ganzen auch für das städtische Handwerk. Nur im Handel konnten einige albanische Städte eine größere Rolle spielen. Bedeutender Exportartikel war Salz, das schon im Mittelalter bis nach Venedig exportiert worden war. Im 18. Jahrhundert gewann die Ausfuhr von Wolle und Getreide an Bedeutung. Zur selben Zeit gelang es in Albanien einer Reihe von Kaufleuten, von der Belebung des Fernhandels zwischen Europa und der Türkei zu profitieren. Der Aufstieg der Handelsstadt
Voskopoja war eine der Folgen. Kaufleute reisten von dort bis nach Venedig und Wien. Andere überregionale Märkte im oder am Rand der albanischen Länder waren Shkodra und Prizren für den Norden, Elbasan und Berat für die Mitte sowie Bitola und Ioannina für den Süden des Landes.
An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert befand sich das Osmanische Reich in einer tiefen Krise und in vielen Randprovinzen verlor die Zentralmacht die Kontrolle. In Südalbanien versuchte der albanische Pascha
Ali von Tepelena eine vom Sultan unabhängige Herrschaft zu begründen. Auch die Familie Bushati schuf sich in der Region um Shkodra Ende des 18. Jahrhunderts ein halbautonomes Gebiet, das die Hohe Pforte erst in den 1820er Jahren wieder unter ihre Kontrolle brachte.
Die
Tanzimat-Reformen (1839-1856), die eine Modernisierung des osmanischen Staatswesens bewirken sollten, stießen in den albanischen Ländern auf viel Widerstand. Vor allem viele Muslime, die gegen die rechtliche Gleichstellung der christlichen Untertanen waren, aber auch die autonomen nordalbanischen Stammesverbände, die zu regelmäßiger Steuerzahlung verpflichtet werden sollten, opponierten gegen die angestrebten Neuerungen. Durch Reformen in der Verwaltung verloren schließlich die Sandschak-Beys ihre quasi erbliche Machtstellung, denn solche Posten sollten fortan nach Eignung und Ausbildung vergeben werden. 1847 führten einige der degradierten Beys ihre Klientel in den bewaffneten Aufstand gegen die Osmanen.
1865 teilte die osmanische Regierung das albanische Siedlungsgebiet auf vier Vilayets auf: Shkodra, Kosova,
Ioannina und
Monastir. Diese administrative Neuordnung verärgerte die nordalbanischen Stämme, die befürchteten, ihre Selbstverwaltung und Steuerfreiheit zu verlieren.
Osmanische Truppen konnten zwar lokale Aufstände in den zugänglichen Küstenebenen niederschlagen, sich in den Bergen aber nicht durchsetzen. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen haben die ohnehin schwache Wirtschaft in den albanischen Vilayets schwer getroffen. Die schlechte Wirtschafts- und Sicherheitslage trieb vor allem viele
Tosken aus dem Süden Albaniens in die Emigration. Zielländer waren Rumänien, Ägypten, Bulgarien, Italien und später die USA. Auch die osmanische Hauptstadt Istanbul hatte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen verstärkten Zuzug von Albanern zu verzeichnen.