ARMENIEN-PREMIER NIKOL PASCHINJAN WARNT
Türkei bald nahe Wien
Der Premier wirkt angespannt, als er BILD am Samstagabend in seinem Amtssitz in Jerewan empfängt, der Hauptstadt Armeniens.
Nikol Paschinjan (45) schläft kaum noch, immer wieder gibt es neue Schreckensmeldungen über Opfer, eine weitere Eskalation.
Die Opferzahl ist unklar, es gibt keine unabhängigen Angaben: Beide Seiten sprechen von tausenden Opfern auf der jeweils anderen Seite und wenigen hundert auf der eigenen.
Allerdings scheint klar, dass die Verluste viel höher sind als bei bisherigen Eskalationen.
....... jetzt ist die Situation komplett eskaliert, weil Aserbaidschan das Gebiet mit Unterstützung des türkischen Präsidenten Erdogan zurückerobern will.
BILD fragt ihn: Die Welt spricht über Donald Trump und seine Corona-Infektion statt über Armenien – ärgert Sie das?
Paschinjan: „Ich finde, dass die Ereignisse, die sich in unserer Region zutragen, von der internationalen Gemeinschaft hinreichend beachtet werden. Vielleicht liegt das auch daran, dass Söldner und Terroristen aus Syrien in der Bergkarabach-Konfliktgebiet aufgetaucht sind.“
BILD: Woher wissen Sie das?
Paschinjan: „Sie wurden von der Türkei angeheuert und transportiert, um auf der Seite von Aserbaidschan gegen Bergkarabach und Armenien zu kämpfen. Ich denke, dass dies jetzt in dieser Situation nicht mehr nur ein örtliches Sicherheitsthema ist. Es ist ein wesentlicher Teil der globalen Agenda.
Denn was hier geschieht, ist aus drei Gründen international wichtig. Erstens, weil, wie gesagt, Terroristen aus Syrien von der Türkei angeheuert und transportiert werden, um gegen Bergkarabach und Armenien zu kämpfen.
Zweitens, die türkische Armee ist an diesem Prozess beteiligt. Daran zeigt sich die imperialistische Politik der Türkei, deren Vorgehen auf die Wiederherstellung des türkischen Reiches abzielt. Dazu gehören auch sonstige Aktivitäten im Mittelmeerraum, im Nahen Osten und in Libyen – wie die Türkei in diesen Regionen vorgeht. Drittens glaube ich, dass die Türkei nach 100 Jahren in die Region Südkaukasus zurückgekehrt ist, um den Genozid an den Armeniern fortzusetzen, der 1915 in der Türkei stattfand.“..........Warum unterstützt Erdogan Aserbaidschan?
Paschinjan: „Wie gesagt ist es das Ergebnis der imperialistischen Politik Erdogans und der Türkei. Das Ziel lautet wahrscheinlich, die Existenz eines unabhängigen Staates Aserbaidschan zu beenden, damit die Türkei ihn übernehmen kann.
Als ich über den Genozid an den Armeniern und die entsprechende Politik sprach, wollte ich betonen, dass dies nicht nur eine Manifestation des historischen Hasses auf die Armenier ist.
Das Problem besteht darin, dass die Armenier im Südkaukasus das letzte Hindernis für die Expansion der Türkei Richtung nördlicher Südosten und Osten darstellen. Denn die imperialistische Politik der Türkei reicht deutlich weiter als in den Südkaukasus. Schauen wir uns das Vorgehen der Türkei im Mittelmeerraum, in Libyen, im Nahen Osten und Irak und in Syrien an. Meine Auffassung ist, dass Bergkarabach und Armenien aktuell eine Zivilisationsfront bilden. Und wenn die internationale Gemeinschaft nicht angemessen auf diese Tatsache reagiert, sollte die Türkei nahe Wien erwartet werden.“
Hält sich Deutschland aus Sorge vor einer Reaktion Erdogans zurück?
Paschinjan: „Ich möchte die Positionen deutscher Politiker nicht kommentieren. Ich möchte lediglich die Gelegenheit nutzen, um die notwendigen Informationen darzustellen, die die deutschen Politiker – und andere – vielleicht benötigen.“........Kann Kanzlerin Merkel helfen?
Paschinjan: „Die auf Wahrheit beruhende Stimme solcher Anführer kann die Wirklichkeit stark beeinflussen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sehr deutlich gesagt, dass der Angriff von Aserbaidschan ausging. Er hat sehr deutlich gesagt, dass die Türkei den Angriff Aserbaidschans gegen Bergkarabach und Armenien ermutigt hat. Ebenfalls sehr deutlich hat er erklärt, dass es von der Türkei in Syrien rekrutierte und in das Konfliktgebiet transportierte Söldner gibt, die gegen Bergkarabach und Armenien kämpfen sollen.
Im Wesentlichen hat Russland dasselbe gesagt, wenn auch nicht ebenso exakt und direkt. Aber die Tatsachen in Bezug auf die Söldner wurden im Grunde auch von der Islamischen Republik Iran anerkannt, das ist sehr wichtig.“.................
https://www.bild.de/politik/ausland/...6824.bild.html