Dreißig Jahre nach Tschernobyl gibt es Anzeichen, dass sich Islamisten für nukleare Anlagen interessieren. Wie groß ist das Risiko eines Attentats?

Und so weist einiges darauf hin, dass der nächste Atom-GAU ein Terror-GAU sein könnte.

Anhaltspunkte:

- Im März 2000, sechs Monate vor den Olympischen Spielen in Sydney, machte die neuseeländische Polizei in Auckland eine merkwürdige Entdeckung bei einer Razzia. Im Hinterzimmer einer afghanischen Menschenschmuggler-Bande stieß sie auf eine regelrechte Kommandozentrale, ausgestattet mit Technik, einem Konferenztisch und Kartenmaterial, darunter ein Stadtplan von Sydney, auf dem deutlich der Atom-Reaktor Lucas Heights, 25 Kilometer vom Olympia-Stadion, und alle Zufahrtswege deutlich markiert waren. Außerdem ein Notizbuch mit Angaben über die Sicherheitstaktiken und Befehlsstrukturen der Polizei. Spuren konnten zurückverfolgt werden, zu einem gewissen Usama Bin Ladin.

- Im Mai 2001 besichtigt Mounir al Motassadeq, Student an der TU Hamburg, das Atomkraftwerk Stade. Er ist Mitglied in Mohammed Attas Islam-AG. Zwei Monate später, am 4. Juli, erwähnt Atta während eines Al-Qaida-Treffens in Madrid, er erwäge, eine Nuklearanlage anzugreifen, die er während Erkundungsflügen in der Nähe von New York gesehen hatte. Dabei muss es sich um das AKW Indian Point gehandelt haben, 40 Kilometer nördlich von New York und auf mehreren Flugrouten von Verkehrsflugzeugen gelegen. Das Ziel hatte den Code-Namen „Elektrotechnik“. Laut Ramzi Binalshib, einem weiteren Mitglied der Hamburger Terrorzelle, lehnten die anderen 9/11-Piloten diesen Plan jedoch ab, weil sie - fälschlicherweise - annahmen, dass der Luftraum um das nukleare Ziel besonders gesichert sei.

- 2010 geriet der im Jemen lebende US-Bürger Sharif Mobley in den Verdacht, für Al Qaida tätig zu sein. Mobley war in Kontakt mit dem islamistischen Prediger Anwar al-Awlaki, einem der wichtigsten Anwerber für Al Qaida. Pikant: Mobley arbeitete zwischen 2002 und 2008 in fünf verschiedenen Atomkraftwerken in den Vereinigten Staaten.

- Im August 2014 schaltete sich Block 4 des belgischen AKW Doel unerwartet automatisch ab, nachdem 65 000 Liter Schmieröl ausgelaufen waren. Dadurch überhitzte die Turbine und verformte sich die Achse. Sabotage. Vier Monate stand der Block still. Der Schaden belief sich auf 80 bis 160 Millionen Euro. Von den Tätern fehlt nach wie vor jede Spur. Bei den Untersuchungen stellt sich aber heraus, dass zwei Sicherheitstechniker, die jahrelang im Hochsicherheitsbereich des AKWs gearbeitet hatten, 2012 nach Syrien verschwunden sind, um für den IS zu kämpfen. Einer von ihnen kam ums Leben.

- Im Herbst 2014 sind an verschiedenen Tagen insgesamt mehr als 30 Drohnen über 19 verschiedenen französischen und belgischen Atomanlagen gesichtet worden. Bis heute ist vollkommen unklar, wer die Drohnen gesteuert hat. Einige dieser Drohnen waren zwei Meter breit und damit potentiell in der Lage, kleinere Sprengstoffmengen zu transportieren.

- Anti-Terror-Fahnder haben im November in einer Brüsseler Wohnung zehn Stunden umfassende Videoaufnahmen entdeckt, die von einer heimlichen Überwachungskamera vor dem Wohnhaus des Direktors des Zentrums für Nuklearenergie aufgezeichnet worden sind. Dieses Zentrum verfügt über den Forschungsreaktor „BR2“, einen der ganz wenigen Reaktoren in Europa (wie auch Garching), die mit hochangereichertem Uran betrieben werden, einem Atombombenstoff. Der Fund wurde in der Wohnung eines Vertrauten von Salah Abdeslam, einem der Hauptverdächtigen bei den Anschlägen von Paris, gemacht. Inzwischen wurden die Männer identifiziert, die diese Kamera abmontiert hatten: Es waren Ibrahim und Khalid El Bakraoui, die späteren Selbstmordattentäter vom Brüsseler Flughafen.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleto...ue#pageIndex_2